Roswitha Gruber - Vom harten Leben einer Bauernmagd

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Nach dem Tod ihrer geliebten Großmutter kommt Franziska auf den Hof ihrer Tante, wo sie klaglos alle Schikanen erträgt, die ihr überwiegend vonseiten des Onkels zuteilwerden. Doch mit 21 flüchtet sie zu einem Großbauern, bei dem sie mit offenen Armen aufgenommen wird. Im Winter arbeitet sie dort als Stallmagd und im Sommer als Sennerin. Obwohl sie auch hier hart arbeiten muss, gefällt es ihr auf dem Berghof, denn die Bauersleute sind sehr nett zu ihr. Doch als nach dreißig Jahren der Hof an die Jungbauern übergeht, wird sie erneut schikaniert. Aber sie ist nicht gewillt, die Demütigungen und die Ausbeutung durch den Jungbauern und seine Frau länger zu ertragen.

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Es dauerte einige Zeit, bis Mami in der Lage war, zu erzählen: »Nachdem wir den ganzen Wald abgesucht hatten, kam Gregor auf die Idee, Toni könnte zum Bach gegangen sein. Er führte uns zu dem Platz, wo sie im Sommer immer gespielt hatten. Und richtig, als wir uns der Stelle näherten, sahen wir seine Strümpfe und Schuhe dort liegen. In dem Moment dachte ich, mir bleibe das Herz stehen. Wahrscheinlich hatte er, sich nichts Böses dabei denkend, nur seine Füße eintauchen wollen, als ihn ein Schwall mitriss. Wir liefen am Bach entlang talwärts. Das war gar nicht so einfach. An manchen Stellen versperrten uns Gestrüpp und überhängende Zweige den Weg. Obwohl der Bach wild schäumte und rauschte, hatten wir die unrealistische Hoffnung, dass wir Toni lebend wiederfinden würden. Vielleicht hatte er sich an einen Zweig klammern und sich aus dem Bachbett ziehen können. Durch Gestrüpp und Dornen hasteten wir weiter, schon völlig zerkratzt. Wir waren mittlerweile sehr weit nach unten gekommen, dahin, wo der Bach eine scharfe Biegung macht. Da entdeckten wir ihn. Sein Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Im Bachbett muss es ihn immer wieder gegen dicke Steine geschleudert haben. Ihr könnt mir glauben, es war ein entsetzlicher Anblick! Wir haben ihn nur an der Kleidung wiedererkannt.«

Warum der Totengräber bestellt worden war, begriffen sogar wir Kinder, bis auf Anni vielleicht. Dann stellte Vroni eine Frage, deren Antwort uns alle interessierte: »Warum bestellt der Dati denn den Doktor, wenn der Toni schon tot ist?«

»Das ist Vorschrift«, antwortete der Opa anstelle seiner Tochter. »Der Arzt muss den Tod feststellen.«

»Und wozu bestellt der Dati die Polizei?«, schaltete sich nun auch Gregor ein. Diesmal antwortete die Oma: »Die Polizei muss untersuchen, ob nicht ein Verbrechen vorliegt.«

Auf diese Weise lernte ich schon als Vierjährige, wie der Ablauf nach einem Unglücksfall ist.

Den toten Toni durften wir nicht mehr anschauen. Aber wir durften alle hinter seinem kleinen weißen Sarg hergehen. Wir schluchzten entsetzlich, als der Sarg in die Erde hinabgelassen wurde. Danach haben wir tagelang nicht mehr unser Bauernhofspiel machen mögen. Und im Sommer sind wir auch nicht zum Bach gegangen zum Plantschen. Wie üblich sind die großen Buben am Morgen zur Schule marschiert und haben am Nachmittag mit uns Fangermandl oder Verstecken gespielt. So waren wir wenigstens am Nachmittag ein bisserl von unserem Schmerz abgelenkt. Die Oma konnte es aber bald nicht mehr mit ansehen, wie traurig wir kleinen Mädchen am Vormittag auf der Hausbank hockten und nichts mit uns anzufangen wussten. Deshalb suchte sie aus ihrem Flickkorb drei alte Wollsocken mit Löchern heraus. Auf die Löcher setzte sie bunte Flicken. Dann füllte sie die Spitzen mit Sägemehl und band sie so ab, dass Köpfe daraus entstanden. Sie nähte Knöpfe als Augen an und stickte Nase und Mund darauf. Den Sockenteil unterhalb des Kopfes füllte sie ebenfalls mit Sägemehl und formte den Leib der Puppe mit zwei Beinen. So waren drei wunderschöne Puppen entstanden, denen nichts fehlte außer Haaren und Armen. Vorerst kam die Großmutter gar nicht dazu, die fehlenden Teile zu ergänzen. Wir rissen ihr nämlich die unfertigen Puppen regelrecht aus den Händen, weil wir es nicht abwarten konnten, mit ihnen zu spielen. Vroni nannte ihre Strumpfpuppe Toni. Deshalb nannten wir die unseren ebenfalls so. Eine ganze Weile trugen wir unsere Tonis liebevoll herum. Bevor wir zum Mittagessen hineingerufen wurden, »bauten« wir Bettchen aus Gras und legten unsere Püppchen da hinein zum Mittagsschlaf. Am Abend nahm jede ihren Toni mit ins Bett. Manchmal setzten wir unsere drei Puppen nebeneinander auf die Hausbank und hielten ihnen einen Vortrag darüber, dass man nicht weglaufen darf, dass man nicht an den Bach gehen und vor allem, dass man nicht hineinsteigen darf. Wir schilderten unseren Tonis in den schlimmsten Farben, welch schreckliche Folgen das haben würde. Auf diese Weise verarbeiteten wir unsere Trauer. Und schon bald waren wir wieder die lebensfrohen kleinen Mädchen, die gerne Bauernhof spielten. Irgendwie wurden unsere Puppen mit in die Höfe eingebunden.

Im Herbst spielten wir mit bunten Blättern, die wir im Obstgarten fanden. Manchmal brachten uns die Buben Kastanien und Blätter von Kastanienbäumen aus dem Dorf mit. Damit ließ es sich ebenfalls herrlich spielen. Und ehe man sich versah, war wieder Advent. Diese Zeit liebten wir besonders. Vom ersten Tag an roch es im ganzen Haus nach Bratäpfeln, die bei Oma im Backrohr schmorten. Während jedes von uns einen Bratapfel verzehrte, erzählte Oma uns Märchen.

Noch schöner aber war es, wenn endlich der Nikolaustag kam. Vorher waren wir natürlich besonders brav, damit wir uns nicht vor der Rute des Krampus zu fürchten brauchten. Trotzdem zitterten wir, wenn der heilige Mann mit seinem Begleiter die Stube betrat. Noch heute sehe ich ihn deutlich vor mir. Er war gekleidet wie ein Bischof. Über einem weißen, schmalen Gewand, das mit einer weißen Kordel umgürtet war, trug er einen weiten, roten Umhang. Auf dem Kopf hatte er eine rote Mitra, die mit Goldrändern eingefasst war. Sein Gesicht war halb verdeckt von einem wallenden Bart. Hinter ihm schlurfte knurrend der furchterregende Krampus herein, mit schwarzem Gesicht, mit Hörnern auf dem Kopf und einem Sack über der Schulter. Der Heilige verwies ihn mit strengen Worten unter den Tisch: »Gib a Ruah, Krampus. Hier wohnen nur brave Kinder.«

In der Hand hielt Sankt Nikolaus ein großes, dickes Buch, in dem alle unsere Schandtaten, aber auch unsere guten Taten aufgeführt waren. Diese las er mit dunkler Stimme vor. Während wir leise vor uns hin bibberten und ergriffen lauschten, krähte Anni auf einmal dazwischen: »Kathi, Kathi!«

Die Erwachsenen traf fast der Schlag, und der »heilige Mann« hatte Mühe, Haltung zu bewahren. Zwar hatten die großen Buben von ihren Mitschülern längst erfahren, dass nicht der echte Nikolaus vom Himmel heruntersteigt, um den Kindern Äpfel und Nüsse zu bringen, dennoch zeigten sie großen Respekt. Wenn der heilige Mann bei uns in der Stube ihre Sünden vorlas, lauschten sie andächtig. Gewiss, seit ein, zwei Jahren hatten sie schon gerätselt, wer sich wohl unter der Verkleidung verbergen möge. Dass aber unsere Nachbarin Kathi im Gewand des Heiligen steckte, darauf waren sie nicht gekommen. Meinen Cousins war es sichtlich peinlich, dass nicht sie, sondern die kleine Anni die Nachbarin an der Stimme erkannt hatte. Dabei kannten sie die Kathi doch schon wesentlich länger. Auf ihrem Schulweg gingen sie ja täglich an deren Hof vorbei, und immer hatte diese freundliche Worte für sie übrig. Wir anderen kannten die Nachbarin natürlich auch. Wenn sie auf dem Weg zu ihrem Wald war, machte sie meist bei uns auf dem Hof eine kurze Rast, um mit Oma zu ratschen. Dabei schenkte sie schon mal jedem von uns einen Apfel, eine Birne oder ein paar Zwetschgen.

Nach dem Nikolausabend ging es mit Riesenschritten auf Weihnachten zu. Zumindest sahen das die Erwachsenen so. Uns Kindern dagegen ging es viel zu langsam. Jeden Abend fragten wir: »Wie oft müssen wir noch schlafen?«

Einige Tage vor Weihnachten waren plötzlich unsere Strumpfpuppen verschwunden. Als wir suchend durchs Haus irrten, erklärte unsere Großmutter: »Das Christkind hat die Puppen abgeholt, weil es gesehen hat, dass ihnen noch etwas fehlt. An Weihnachten bringt es sie wieder.«

Über diese Aussicht zeigten wir uns hocherfreut. Am Tag vor dem Heiligen Abend roch es im ganzen Haus nach Zimt und Honigkuchen. Auf unsere Frage erklärte uns die Oma: »Im Himmel hat das Christkind gar nicht so viel Platz, dass es für alle Kinder Platzerl backen kann. Deshalb schickt es kurz vor Weihnachten in jedes Haus einen Engel, der dort für die braven Kinder backt.«

Am Nachmittag des Heiligen Abends durften wir Kinder alle mit in den Stall zum Helfen. Das taten wir mit Begeisterung, damit Mami und Dati schneller fertig wurden, denn umso eher würde die Bescherung sein. Außerdem konnte das Christkind dann ungestört in der Stube alles für uns vorbereiten. Insgeheim hofften wir auch, dass die Gaben für uns reichlicher ausfallen würden, wenn wir recht fleißig wären. Zunächst hatte der Onkel ausgemistet und den Tieren frische Streu untergelegt. Dann stiegen die Buben auf den Heuboden und warfen durch ein quadratisches Loch Heu herab. Wir Dirndln nahmen davon so viel zwischen beide Arme, wie wir tragen konnten. Wir brachten es dem Dati, der es den Kühen in den Barn (Raufe) stopfte, während die Mami molk. Als die Buben fertig waren, stellten sie sich an die Stalltür, deren obere Hälfte geöffnet war, und schauten aufmerksam hinaus, während wir Mädchen noch mit Heutragen beschäftigt waren. Plötzlich rief Gregor ganz aufgeregt: »Da, da, schaut, da fliegt das Christkind!«

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