Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2021
© 2021 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
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Titelfoto: © Bundesarchiv, B 145 Bild-F005921-0012
Lektorat: Christine Rechberger, Rimsting
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
eISBN 978-3-475-55454-4 (epub)
Worum geht es im Buch?
Roswitha Gruber
Der Einödhof und sieben Töchter
Liesi wächst auf einem Einödhof im oberbayerischen Dorfen als älteste von acht Geschwistern auf. Von klein auf besteht ihr Alltag aus Arbeit und Pflichten. Mit vierzehn Jahren wird sie Dirn bei einem Großbauern. Schon bald lernt sie Hans kennen, ihre große Liebe. Sie ist überglücklich, als sie ein paar Jahre später als seine Frau in seinen Einödhof einzieht und innerhalb von zehn Jahren acht Töchter zur Welt bringt. Für die junge Frau könnte das Leben mit ihrem geliebten Hans trotz aller Arbeit und Mühen sehr glücklich sein, wenn da nicht seine Stiefmutter wäre, die ihr das Leben immer wieder schwer macht.
Roswitha Gruber widmet sich der Schilderung starker Frauen mit außergewöhnlichen Lebensgeschichten. Für jeden ihrer Romane recherchiert sie ausführlich und nähert sich in langen, intensiven Gesprächen dem Schicksal ihrer Protagonistinnen an. Roswitha Gruber lebt und arbeitet in Reit im Winkl.
Inhalt
Die Vorgeschichte
Der verwaiste Bauernhof
Im Elternhaus
Kriegsjahre
Als Dirn im Dienst
Mein Leben als Bäuerin
Die Stiefmutter
Cousine Lisbeth
Der Einödhof und sieben Töchter
Das letzte Kapitel
Die Vorgeschichte
Vor einigen Jahren bekam ich von einer Frau aus Dorfen einen Brief, dem ein Zeitungsausschnitt beigelegt war:
Sehr geehrte Frau Gruber,
ich bin eine begeisterte Leserin Ihrer Bücher. Mir gefällt besonders, dass Sie immer wahre Geschichten über bemerkenswerte Frauen schreiben. In diesen Tagen fiel mir beiliegender Bericht über die Diamantene Hochzeit eines Bauernpaares in die Hände. Das Leben dieser Leute hat mich so beeindruckt, dass ich Sie fragen möchte: Wäre das nicht ein Stoff für ein Buch?
Mit freundlichen Grüßen,
N.N.
Außer dem Zeitungsausschnitt, dessen Überschrift »Sieben Kinder – lauter Töchter« lautete, waren die Adresse und die Telefonnummer der Familie beigefügt. Spontan bedankte ich mich bei der Briefschreiberin.
Erst nach einigen Monaten kam ich allerdings dazu, die erwähnte Bäuerin anzurufen. Zunächst erklärte ich ihr, wie ich an ihre Adresse gekommen war und welches Anliegen ich hatte. Bescheiden wehrte sie ab: »Ach, was wollen Sie über mich schreiben? Ich habe doch nichts Besonderes erlebt und auch nichts Besonderes geleistet.«
»Wenn man sieben Töchter großgezogen hat, das ist schon eine Leistung. Abgesehen davon fiel Ihre Kindheit in eine schwierige Zeit, und Ihre Jugend war vom Zweiten Weltkrieg überschattet. Und vermutlich haben Sie als Bäuerin viel Schweres durchgemacht.«
»Ja mei, da müsste ich mich erst mal besinnen, wie das früher war.«
Bevor ich auflegte, ermunterte ich sie, das zu tun.
Wieder vergingen einige Monate, bis ich sie erneut anrief.
»Ach, ich dachte schon, Sie hätten kein Interesse mehr an meiner Geschichte.«
»Doch, doch, ich wollte Ihnen nur genügend Zeit lassen zum Nachdenken.«
Sie war also durchaus bereit, mir aus ihrem Leben zu erzählen. Doch wie das Schicksal so spielt, zu einem Besuch bei ihr kam ich lange Zeit nicht, weil ich erst noch einige Bücher schreiben wollte über Frauen, denen ich es schon lange versprochen hatte.
An einem sonnigen Septembertag war es endlich so weit. Ich trat die Fahrt zu ihr an. Ihr Einödhof lag so versteckt, dass ich mich ohne Navi schwer getan hätte, ihn zu finden.
Endlich saß ich ihr in der heimeligen Bauernstube gegenüber. Doch ich kam nicht gleich dazu, meine Notizen zu machen. Zunächst plauderten wir bei Apfelstrudel und Tee über allgemeine Dinge. Dabei gewann ich schon einen ersten Eindruck von Liesi, einer kleinen, zierlichen Person. Ihr freundliches Gesicht war umrahmt von schlohweißem Haar, das sie als moderne Kurzhaarfrisur trug.
Nachdem sie das Geschirr abgeräumt hatte, sprudelten ihre Erinnerungen aber auch nicht gleich aus ihr heraus. Dieses Phänomen kenne ich von anderen Interviews, deshalb hatte ich einige Fragen vorbereitet. Als ich ihr diese stellte, kam das Gespräch in Gang. Eifrig machte ich Notizen. Bevor ich mich verabschiedete, überreichte sie mir einige Seiten, die sie bereits für mich aufgeschrieben hatte.
Natürlich blieb es nicht bei dem einen Besuch. Ein langes Menschenleben ist nicht in zwei bis drei Stunden zu erzählen.
Als ich glaubte, alles beisammen zu haben, konnte ich nicht sofort mit der Niederschrift ihrer Geschichte anfangen. Auf mich stürmten so viele Dinge ein, dass ich die Notizen über Liesi beiseitelegen musste. So gerieten sie in Vergessenheit. Anfang August 2020 fielen sie mir, nebst dem Zeitungsbericht über diese Bäuerin, wieder in die Hände, und ich legte los.
Was daraus geworden ist, können Sie im vorliegenden Buch nachlesen. Nun lasse ich also Liesi zu Wort kommen. Dabei wünsche ich Ihnen gute Unterhaltung.
Roswitha Gruber
Der verwaiste Bauernhof
Im schönen Isental in Oberbayern liegen nahe dem Ort Dorfen zahlreiche Einödhöfe, weil jeder Bauer seine Felder direkt um seinen Hof herum hat. Schon seit Langem hatte es keine Realteilungen mehr gegeben, sonst wären die Anwesen zu klein geworden und hätten die Familien nicht mehr ernähren können. Die Acker- und Waldflächen eines Anwesens waren also über Generationen hinweg gleich groß geblieben. Es sei denn, der glückliche Umstand war eingetreten, dass ein Bauer die einzige Tochter eines benachbarten Hofes heiratete, dann hatte sich das Anwesen sogar vergrößert. Normalerweise bekam der erstgeborene Sohn den Hof. Nur wenn dieser partout nicht wollte oder wenn er starb, kam der nächste zum Zug. Damals gab es noch viele kinderreiche Familien auf dem Land. Daher hatte es ein Jungbauer leicht, eine passende Frau zu finden. Wer von den Geschwistern nicht das Glück hatte, auf einen anderen Hof einzuheiraten, blieb als Dirn beziehungsweise Knecht im elterlichen Betrieb.
Der Hof, auf dem ich das Licht der Welt erblickte, war aber nicht das Anwesen, auf dem seit Generationen meine Ahnen gelebt hatten. Das kam so: Meine Großmutter Theresia hatte eine Schwester namens Amalia, die von allen Amal genannt wurde. Dieser wurde das Glück zuteil, bereits im Alter von 18 Jahren bei Leonhard, genannt Hardi, der einen ansehnlichen Bauernhof besaß, einheiraten zu können. Er war zwar 16 Jahre älter als sie, dennoch waren sie sehr glücklich miteinander. Bald bekamen sie zwei gesunde Buben: Leonhard wurde 1889 geboren und Franz 1891. Damit war zu ihrer Beruhigung die Hofnachfolge gesichert. Doch einige Jahre später verließ das Glück die Familie. Sohn Leonhard wurde im Spätherbst 1912 am frühen Nachmittag beim Holzfällen im eigenen Wald von einem heftigen Regen überrascht. Aber man war nicht zimperlich. Was ein gestandenes Mannsbild ist, lässt sich von ein »paar Regentropfen« doch nicht an der Arbeit hindern. Erst die hereinbrechende Dunkelheit trieb ihn heim. Tropfnass kam er endlich nach Hause. Obwohl er sofort die nasse Kleidung gegen trockene wechselte, wurde er krank. Am folgenden Morgen lief ihm die Nase, und es plagte ihn ein Husten. Trotzdem begab er sich in den Wald, um da weiterzumachen, wo er am Vortag aufgehört hatte. Bis zum Abend arbeitete er unermüdlich. Kaum war er zu Hause, überfiel ihn ein Schüttelfrost und das Thermometer zeigte erhöhte Temperatur. Da er auch keinen Appetit hatte, ging er früh zu Bett, und seine Mutter gab ihm einen erwärmten Ziegelstein mit. Am folgenden Morgen ging es ihm richtig schlecht. Amal versuchte, ihn mit den üblichen Hausmittelchen wie Kamillen-, Salbei- und Lindenblütentee zu kurieren. Um das weiter ansteigende Fieber zu senken, machte sie ihm Wadenwickel.
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