„Ich kenne den Herrn Dr. Randelsberger, sogar persönlich … Wir … wir arbeiten ja gerade in einem Projekt zusammen, so eine Spritzmittelgeschichte bei Lebensmitteln … Aber was hat der Dr. Randelsberger mit einem Mord zu tun?“, wusste Gradoneg freilich noch immer nicht, woher der Wind wehte.
Offenbar litt der Richter an Kurzsichtigkeit. Das Papier klebte schon auf seinem Gesicht und er fand noch immer nicht die richtigen Zeilen. Seine Nasenspitze und die hässlichen Tränensäcke schienen wie Tintenkleckse durchs Papier.
„Die sparen jetzt schon bei den Druckerpatronen …!“, fluchte er genervt hinter dem Blatt, fand dann die gesuchte Textpassage: „Also, und dieser Dr. Friedrich Randelsberger gab heute Morgen in einer ersten telefonischen Zeugenaussage Folgendes zu Protokoll …“, schob Höttinger einen Zeigefinger zwischen das Blatt und sein Gesicht, damit ihm die Zeilen nicht wieder entschwanden. „Ich zitiere: Die mir von Herrn Matthias Frerk Gradoneg gebrachten und übergebenen Fleischproben sind nach einer ersten Laboranalyse mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eindeutig einem menschlichen Gehirn zuzuordnen. Nach Auskunft des Überbringers – Herrn Matthias Frerk Gradoneg – entstammen diese von mir analysierten Gewebeproben einer Futterration für eine Katze in seinem Haushalt.“
Höttinger knallte das Blatt auf den Tisch, als wollte er der Aussage und dem Gutachten von Dr. Randelsberger noch mit einem zusätzlichen Donnerschlag Ausdruck verleihen.
„Ein Wissenschaftler von der Universität für Bodenkultur, der Leiter des Forschungslabors höchstpersönlich … eine international anerkannte Koryphäe kontaktiert das LKA Wien mit dieser Zeugenaussage, und das sind keine Beweise?! Das Gutachten einer renommierten Universität! Das sind für Sie keine Beweise?!“
Doch, das war nicht nur ein Donnerschlag für Gradoneg – das waren ein Gewitter und ein Funkenflug, ein Unwetter, wie ein solches noch nie in seinem Kopf getobt hatte. Zum Glück gab es für dieses Gewitter einen Blitzableiter, die logische Erklärung für diese schwerwiegenden Anschuldigungen.
„Ich … ich … kann das erklären … bitte … wirklich, Euer Ehren …“, stotterte sich Gradoneg zu einem einigermaßen klaren Gedanken, „… das … das mit dem Fleisch und dem Katzenteller stimmt schon. Und ich … ich hab das Fleisch auch zum Herrn Dr. Randelsberger ins Labor auf die BOKU gebracht. Ein Stück davon … Aber dieses Fleisch war doch nicht von mir, ich schwör’s … auch nicht von meiner Frau oder den Kindern. Wir … wir füttern den Whitey nur mit Bio-Packerln und … und beim Trockenfutter bekommt er auch nur ,bio‘.“
„Kommen Sie endlich zur Sache!“, donnerte Höttinger jetzt erst so richtig auf den Tisch und drehte seine Stimme zu einem Heavy-Metal-Konzert auf: „Möchten Sie mir vielleicht weismachen, dass Sie dieses menschliche Gehirn aus einem Supermarkt haben?! Hier auf dem Tisch liegt ein Universitätsgutachten über ein menschliches Gehirn! Und Sie erzählen mir was von Bio und Supermarktregalen!“
„Nein, nein … das … das mein ich nicht“, schepperte Gradoneg am ganzen Körper und spürte plötzlich, dass sich das Abführmittel wieder in seinem Magen meldete; sich dort oder irgendwo im Darm mit den verbliebenen Schleimhäuten anlegte. „Manchmal bekommen wir von unseren Nachbarn im Haus ebenfalls ein Fleisch für den Whitey … oft sogar … Am Sonntag ist das meistens ein ganzer Haufen … der … der liegt dann vor unserer Tür. Also, das Fleisch … das liegt dann vor der Tür oder hängt an der Türschnalle … Sind immer so Resteln, eher Flachsen und Abfälle … von einem Schnitzel oder Hendl … das ist dann meistens der Hals, also beim Hendl ist es meistens der Hals … Und das faschieren wir dann mit dem Fleischwolf und geben es dem Whitey. So wie gestern, da war auch wieder was vor der Tür … so eine Art Faschiertes, ich hab das dann mit dem Stabmixer noch ein bisschen püriert und dem Whitey gegeben.“
„Und wie hat dieses Faschierte ausgesehen?!“
„Das war bestimmt kein Hirn, ich … ich weiß ja, wie ein Hirn ausschaut. Allein von der Form her war es kein Hirn. Mein Sohn hat das ja bei den Organen in Biologie gelernt …“
„Mich interessiert nicht der Biologieunterricht Ihres Sohnes, sondern wie dieses Faschierte ausgesehen hat!“
„Relativ normal … Vielleicht etwas gröber, deshalb habe ich’s ja auch noch mit dem Stabmixer püriert. War so ein kleiner Klumpen Fleisch, wie ein Knäuel Regenwürmer … rote und weiße Regenwürmer … ein Faschiertes halt. Nur eben etwas gröber.“
Höttinger griff zu seinem Notizblock.
„Von welchem Nachbarn hatten Sie das Fleisch?!“
„Wie bitte …?!“
„Gestern! Wer aus der Nachbarschaft hat Ihnen dieses Fleisch gebracht?!“
„Das weiß ich doch nicht, ehrlich … Euer Ehren!“
„Also war es wieder das Bio-Sackerl aus dem Supermarkt?!“, meinte Höttinger spöttisch und verlor allmählich seine Geduld.
„Nein … ich … ich mein, unsere Nachbarn hängen das Fleisch einfach an die Tür oder legen es auf den Fußabstreifer. Das ist immer der Fall, ganz normal … da … da läutet niemand mehr an.“
„Ein menschliches Gehirn ist für Sie also ganz normal?“, brüllte Höttinger und beugte sich über seinen Notizblock. „Also, wird’s bald?! Wie heißen diese Nachbarn, die Sie so großzügig mit Fleischresteln versorgen?!“
„Die Frau Haberzettl, direkt neben unserer Wohnung, legt regelmäßig was hin, und die Deutsche unten im Hochparterre ist ebenfalls nett. Glaub, Zulin heißt die …“
Gradoneg stockte und erschrak vor sich selbst. So schnell wurde er also zum Denunzianten. Bei ihm brauchte der Hahn nicht dreimal zu krähen, es reichte schon, wenn ein Richter seine Stimme erhob. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, von unseren Nachbarn war das bestimmt niemand. Ganz sicher, da bin ich mir hundertprozentig sicher“, versuchte er seinen Fehler gutzumachen. Aber der Hahn hatte gekräht, und die Verleumdung stand im Notizblock des Richters.
„Haberzettl und Zulin, wer noch?!“
Vielleicht war es Gradonegs Schock, ein mieser, charakterloser Denunziant zu sein, so eine Nazi-Bestie oder ein Stasi-Scheusal, auf welche sein moralischer Zeigefinger bei jeder politischen Diskussion mit Abscheu deutete, oder es waren seine Magenschmerzen, die sich nun noch stärker meldeten – er wurde jedenfalls wütend, sehr wütend.
„Jetzt schalten Sie doch verdammt einmal Ihr Hirn ein!“, sprang er von seinem Sessel auf und schrie Höttinger an: „Sie palavern da immer von einem Hirn auf meinem Katzenteller und schalten dabei nicht einmal Ihr eigenes ein!“
„Setzen!“, brüllte der verdatterte Richter.
Nein, Gradoneg blieb stehen und verpasste dem Sessel einen demonstrativen Tritt, stellvertretend für den Arsch des Richters.
„Ich bring doch nicht einen Menschen um, leg sein Hirn auf einen Katzenteller und lauf dann damit auf die BOKU, damit ich überführt und lebenslänglich eingesperrt werde. Das ist doch krank! Absolut krank! Das macht nicht einmal der durchgeknallteste Verbrecher. Solche Drogen gibt es gar nicht, dass das jemand macht! Und Sie sind so verrückt und werfen mir diesen Blödsinn vor?!“
Höttinger schnappte nach Luft, als hätte Gradoneg ihm bei diesem Wutausbruch den ganzen Sauerstoff weggeatmet, rang nach Worten, setzte aber dann doch noch zum Gegenschlag an: „Wissen Sie, wer hier vor einem Jahr an diesem Tisch saß?! Auch so eine unschuldige Kreatur …“
„Ich sitz jetzt hier!“, schrie Gradoneg zurück. „Darum geht’s und nicht …“
„Ein braver, unscheinbarer Familienvater aus Döbling. Angesehen, Mitglied bei jedem caritativen Verein im Bezirk. Der liebste Mensch mit nur einem Problem: Er hat seiner Frau den Kopf abgeschlagen. Ans Bett gefesselt und noch seelenruhig eine Axt aus dem Bauhaus geholt.“
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