Wilfried Oschischnig
Herr Gacka wehrt sich!
Der Selbstverteidigungskurs für Superpapis
Inhalt
Anstelle eines Vorworts — Der mit dem Kaninchen hoppelt
Intention — Das darfst Du nicht!
Vaterfreuden — Opa werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr
Geburtsklinik- Vater oder bankrott werden?
Geburt — Achtung Achtsamkeit!
Nachtruhe — Alte Bauernregel: Stiere, Ochsen und Männer geben keine Milch
Ernährung — Füttere die Bestie gut!
Soziales Umfeld — Ihr werdet verdammt einsam sein
Bildung — Blöd, blöder, blödzlich Vater
Vaterrolle- Ein ernstes Wort unter Männern
Kinderbetreuung — Liebling, sind das nicht 150% Stress für mich?
Kindergeburtstage — Happy Birthday! Du armes Schwein!
Strafkatalog eins — Höchststrafe Selbstbeschäftigung
Rechtfertigung gegenüber Kind und Frau — Legt Euch eine Dodl-Liste zu!
Spielzeug — Unsere Wohnungen sind illegale Spielwarenhandlungen
Spielplatz — Gassi gehen mit Zweibeinern
Irrtum — Ist Rache wirklich süß?
Gleichschaltung — Ihr West-Koreanerlein kommet
Entwicklung — Wir sind immer zur falschen Zeit am falschen Ort
Selbstreflexion — Maßlose Maßstäbe — oder wie wir überproportional an der eigenen Kindheit scheitern
Bildung — Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Fünfjährige: „Ich weiß alles!“
Familie — Teamwork oder „Leiden im Rudel“?
Strafkatalog zwei — Attacke!
Freizeit — Urlaub! Endlich dürfen wir unsren Kindern in der Ferne nachlaufen
Ende — Morsezeichen aus der Zukunft
Anstelle eines Vorworts:
Der mit dem Kaninchen hoppelt
Freilich waren im Frühjahr 2011 die Augen der Weltöffentlichkeit eher auf die ‚Arabische Revolution’ als auf meine ‚Kaninchen-Revolution’ in der Wiener Volkshochschule Ottakring gerichtet. Immerhin purzelten in Tunesien und Ägypten blutrünstige Diktatoren von der politischen Bühne — so gesehen waren die 200 schockierten Elternblicke bei meiner verzweifelten Jagd nach meinem Kind, meinem geliebten ‚Kaninchen’ durchaus passabel: Ich hoppelte jedenfalls zeitgleich mit der Weltgeschichte auf der Festbühne der Volkshochschule hinter meiner fünfjährigen Tochter ‚Kaninchen’ her. Sie schrie hysterisch im Scheinwerferlicht: „Lügner … Gacka-Papa!“, und ich bekam sie so wenig zu fassen, wie mein Vaterdasein in den letzten fünf Jahren. Zu allem Überdruss hörte ich plötzlich auch noch meine eigene Stimme brüllen: „Jetzt ist Schluss mit lustig! Schluss mit der Sklaverei! Gleich hast du deinen Gacka-Papa!“
Ja, ich kündigte meinem geliebten Kaninchen lautstark alle bisherigen Superpapi-Dienste auf: Schluss mit der Nonstop-Animation, Schluss mit dem Barbie-Puppen-Sammeln, Schluss mit dem Zoo- und Schwimmbadtourismus, Schluss mit dem Kinowahnsinn, Schluss mit dem Kursprogramm, Schluss mit den Kinderhotels, Schluss mit dem Brief ans Christkind im Mai … Schluss, Schluss, Schluss!!!
Irgend so was schrie ich, dann packte ich meine Tochter an der Hand und zog sie von der Bühne — ganz ohne bitten und betteln!
„Ich scheiß jetzt auf den pädagogischen Quatsch! Ab heute gibt’s für mich ein Leben und für dich eine Erziehung!“, brüllte ich meine Kleine an.
Stille — absolute Stille im Festsaal der Volkshochschule Ottakring. Die Kinder liefen hinter die Bühne in Deckung, den Erwachsenen im Publikumsraum verschlug mein Freiheitsdrang die Sprache. Niemand erdolchte mich mit einem pädagogischen Zeigefinger, kein Montessori- oder Steiner-Lehrbuch erschlug mich … Alle 200 ‚Barbie-Mamas’ und ‚Baumeister-Bob-Papas’ hielten eine Schweigeminute ab. Offenbar gedachten sie ihrer eigenen ‚Freiheit’, grübelten darüber nach, ob sie auch solche überforderten Versager wie ‚der da oben’ waren. Oder sie pflichteten gar meinem rabiaten Auszucker bei:
So könnte sich vor 2.000 Jahren das Schweigen der römischen Senatoren bei Ciceros Rede gegen den Schurken Catillina angehört haben, als Cicero seinen Widersacher Catillina wüst beschimpfte, und kein einziger Senator ein verteidigendes Wort erhob — was wiederum Cicero triumphieren und frohlocken ließ: Siehst du! Sie pflichten mir bei! Indem sie schweigen, schreien sie!
Meine ‚Rede gegen das Kaninchen’ war freilich rhetorisch nicht so brillant, viel weinerlicher und ungeschliffener … aber die schweigende Menge, mein Publikum, die 200 Eltern schienen mir auch recht zu geben. Na ja, jedenfalls die erschöpften, ausgebrannten, überforderten … Väter.
Ja, ich hatte an diesem Tag (noch unbewusst) den ersten Knopf meines Kasperlkostüms — der Uniform aller modernen Superpapis — geöffnet, meiner Verzweiflung Luft verschafft und losgebrüllt. Endlich!!!
Was war geschehen?
Kinderkurse gehören heutzutage zum elterlichen Pflichtprogramm. Ob Turnen, Schwimmen, Basteln, Malen oder eben Ballett — drei, vier Nachmittage gehen pro Woche für Kinderkurse drauf. Und da erwischt es uns Papis eben auch manchmal. Vor allem wenn’s um die Abschlussveranstaltungen dieser Kurse geht, müssen wir pflichtbewusst und begeistert antanzen … Wie eben ich zu dieser Ballettveranstaltung.
Der Ballettkurs wurde von meiner Frau und mir als beste Alternative zu überfüllten Indoor-Spielplätzen in der kalten Jahreszeit erachtet. Zudem könnte unsere Tochter nach den vielen weihnachtlichen Vanillekipferln — sie ließ sich von mir nur noch gegen zwei Stück die Haare kämen, fürs Schlafengehen vor 21.00 Uhr mussten ich bereits drei Stück rausrücken — mit Ballett gesund ins neue Jahr starten. Hinzu käme auch noch die wichtige kindliche Erfahrung, öffentlich aufzutreten. Wobei man ja bei Kindern mit der Bezeichnung ‚öffentlicher’ Auftritt äußerst behutsam umgehen sollte, denn selbst das pflegeleichteste Kind schafft bis zu seinem ersten Geburtstag mindestens 100 öffentliche Auftritte — diese werden allerdings meist als ‚öffentliches Ärgernis’ wahrgenommen.
Egal: Meine Frau und ich wollten uns schlicht und einfach über einen öffentlichen Auftritt unseres Kindes freuen. Einmal einen geplanten, entspannten öffentlichen Auftritt unseres Kaninchens erleben. Hatten wir doch das Kunststück geschafft, ein Kind, ja, unserer Kaninchen auf die Beine zu bringen. Und jetzt durften wir es zur Belohnung öffentlich tanzen sehen — was für eine Vorfreude!
Die Tanzpädagogin bremste unsere Euphorie zwar etwas und meinte, Kinder seien derzeit eher schwer für eine erkennbare Choreografie zu motivieren. Sie werde aber die Kleinen klatschend in einen Kreis setzen oder — je nach Gruppe — als Stern formieren. So oder so werde es für uns Eltern ein schönes Erinnerungsbild geben. Optisch und akustisch habe sie da schon vorgesorgt: Mit rosa ‚Honolulu-Röckchen’ und dem Lied Hört gut zu! Hört gut zu! Hier kommt das singende Känguru würde die Gruppe garantiert lebendig wirken, auch wenn sich die Kinder kaum bewegten. Dann drückte sie meiner Frau ein braunes Stoffband und ein Knäuel mit etwa 500 rosa Baststreifen in die Hände. Daraus sollten wir gemeinsam mit dem Kind ein Baststreifen-Röckchen für die Abschlussveranstaltung, sozusagen ein ‚familiäres Band fürs Leben’knüpfen.
Wider Erwarten hat unser Kind tatsächlich drei Bastfäden zum Röckchen beigesteuert — die restlichen 497 bewältigte meine Frau in mehreren Nachtschichten.
In einem Punkt hatte die Tanzpädagogin allerdings recht: Still sitzende Kinder sind faszinierend. — Selbst wenn man für einen Tanzkurs bezahlt hat. Und als die Kleinen dann sogar aufstanden und einmal im Kreis liefen, tobten wir Eltern vor Begeisterung und Dankbarkeit.
Jedenfalls bis zum bitteren Ende: Unsere verausgabten Tanzprinzessinnen sollten nach ihrer Darbietung nicht verdursten und auch nicht im dunklen Zuschauerraum verängstigst nach ihren Eltern suchen. Also sollten wir Papas — damit wir auch einen Beitrag leisten — rasch mit einer Trinkflasche zur Bühne laufen, unsere Lieblinge auftanken und sie sicher zu den Müttern im Zuschauerraum geleiten.
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