Mit dem Birnen-Holunder-Saft lag ich zwar richtig, doch mit der Verpackung schwer daneben. Schon beim ersten Schluck bemerkte mein Kaninchen, dass ich ihr nicht die versprochene rosa ‚Hello-Kitty-Trinkflasche’ reichte, sondern irrtümlich mit der weinroten ‚Prinzessin-Lillifee-Flasche’ angetanzt war. Schon regnete es extrasüßen Birnen-Holundersaft auf meinen Kopf und nach dem ‚singenden Känguru’ ertönte nun: „Gacka-Papa … Lügner … !!!“
Das Schlimmste stand mir allerdings erst noch bevor: Durch mein unsensibles Gebrüll erlitt mein Kind einen schweren Beleidigungsschock. Das ist ein sehr, sehr ungewöhnliches Phänomen bei Kindern und wurde bisher von der Psychoanalyse nicht wirklich erforscht. Nach einer einzigen (!) Bitte hoppelte mein Kaninchen zu Hause in ihr Zimmer und begann allen Barbie-Puppen die Haare abzuschneiden, sich also selbst zu beschäftigen.
Pass auf deine Träume gut auf, denn sie könnten eines Tages wahr werden, lautet ein alter, buddhistischer Ratschlag. Mein Traum von der ersehnten Ruhe hatte mich plötzlich heimgesucht. Und ich wusste absolut nichts mit meinem unverhofften Zeitsegen anzufangen.
Die Bücher im Regal erschienen mir allesamt zu dick — mein Kaninchen konnte ja rasch wieder vom Beleidigungsschock genesen; die Blumen brauchten kein Wasser, der Geschirrspüler war leer, und dummerweise hatte ich bereits vor einer Woche die Filzstiftstriche an den Wänden übermalt.
Durch das Schlüsselloch sah ich, dass mein Kaninchen im spontan eröffneten Friseursalon noch einen ganzen Berg Barbie-Puppen zum Haareschneiden in der Warteschlange hatte. Zu allem Schrecken ging nun auch noch meine Frau einkaufen.
Schließlich gipfelte mein Elend in einer höchst unangenehmen Selbstreflexion: Fünf Jahre Superpapi-Dasein liefen vor mir ab. Wie ich damals mit meiner Frau in die große Welt des Kindersegens eintauchte, als ‚Gebärtourist’ alle Wiener Kreißsäle abgeklapperte, in der Abfahrtshocke begeistert mit zwanzig anderen Männern Geburtswehen simulierte, mich für Kinderwagen und Tragetücher interessierte, Eltern-Zeitschriften las … und dann endlich der erste Babyschrei, der unüberhörbare Startschuss zu meiner neuen Lebensphilosophie: Ab heute mache ich alles nur noch aus und mit Liebe! Richtig. Hatte ich auch … ohne Lobhudelei: Ich hatte in den letzten Jahren tatsächlich alles ‚nur’ aus Liebe zu meinem Kind gemacht. Mein Hirn lief währenddessen im ‚Stand-by-Modus’. Irgendwie war es höchste Zeit, mein Hirn wieder einzuschalten, denn kein Vater will ein ‚Gacka-Papa’ sein, und kein Kind will einen ‚Gacka-Papa’ haben.
Meinungsfreiheit
Das darfst du nicht!
Herbst 2012: Gut Ding braucht Weile, väterliche Erkenntnisse noch länger — und die Freiheit ist ohnehin die schwerste menschliche Geburt. Aber immerhin — ich habe in den letzten Monaten meinen einstigen ehrenamtlichen Hauptberuf ‚Kinder-Animateur’ radikal von 45 auf 25 Wochenstunden gekürzt und ein paar meiner Gehirnzellen wiederbelebt. Ja, sogar meine ehemaligen Freunde habe ich im Internet recherchiert und treffe sie regelmäßig ‚in echt’. Den meisten von ihnen passt es jedoch nicht, dass ich ein Buch über ‚Kindererziehung’ schreiben möchte. Und wenn ich ihnen dann auch noch verrate, dass ich darin ‚ernsthafte’ Tipps für überforderte, väterliche Leidensgenossen plane — ja, dann schäumt es nicht nur in unseren Biergläsern …
„So ein Quatsch! Das darfst du nicht!“, tönt es da einhellig im Chor. Ein überforderter Vater zu sein, wäre noch lange keine Legitimation, sich dilettantisch in die Kindererziehung einzumischen. Dilettantismus sei bloß im Fußball und in der Politik erlaubt, aber Kinder bräuchten Profis — Pädagogen, Psychologen, Lebensberater … ja, die hätten die Kinderseele und die familiäre Komplexität studiert, die seien da gefordert oder besser gesagt ‚aufgefordert’. Aber doch keine Kurpfuscher! So viel Praxis könne ein Kurpfuscher gar nicht haben, dass er zum Arzt tauge. Es wäre ja ganz witzig, dass ich in fünf Jahren 173 Tage auf Spielplätzen verbracht hätte; Barbiepuppen sammle und Emily Erdbeer und Prinzessin Lillifee besser zeichnen könne, als jeder Grafiker; auch mein Leserekord an Pixie-Büchern sei beeindruckend — aber bloß keine erzieherische Kurpfuscherei, bloß kein Rülpser aus dem Bauch raus! Das darfst du nicht!!!
Doch, doch, liebe Freunde. Darf ich und mach ich! Und damit ihr euch so richtig fürchtet und ärgert, gebe ich für dieses Buch nur zwei Garantien ab: Ersten werde ich keine schwachsinnige, braune Nazi-Scheiße von mir geben, wie dies etwa eine viel gepriesene Erziehungsikone namens Rudolf Steiner getan hat. Nein, ich werde nicht behaupten, weiße Frauen dürften in der Schwangerschaft keine Bücher von Schwarzen lesen, denn sonst käme bei der ganzen Geschichte ein ‚Mulattenkind’ heraus. Und zweitens werde ich nicht wie Jean-Jacques Rousseau meine Kinder in ein Heim stecken, damit ich genügend Zeit finde, einen halbphilosophischen, romantischen Verklärungsunsinn in die Welt zu setzen. Nur das kann und will ich euch garantieren.
Ach ja, noch was: Freilich nehme ich meine Leser (und heimlichen Leserinnen) sehr, sehr ernst. Die Texte und Tipps sind Gedankenanstöße, die mir bessere Nerven und einige freie Stunden beschert haben. Aber natürlich geht es in den folgenden Texten und Tipps um keine allgemeingültigen Betriebsanweisungen.
Wie hat Immanuel Kant so schön und vor allem klug gesagt: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Ja, haben wir den Mut, unsere Kinder mit unserem eigenen Verstand zu lieben.
Übrigens: Superpapis sind Extrembergsteiger.
Interviews von Extrembergsteigern und Eltern gleichen sich oft aufs Wort. Ein schauderlicher Klagegesang von der Talsohle bis zum Gipfel. Wer scheitert, den schluckt der Berg oder die Psyche. Wer durchhält, hat gute Aussichten: Staunen über das Leben und die Welt. Bergsteiger duzen sich auf ihrem Weg (oder ist es ein Aufstieg?) durch die Hölle. — Das machen wir in diesem Buch am besten auch.
Vaterfreuden
Opa werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr!
Ich will mich jetzt nicht über zähflüssige Tröpfchen in Reagenzgläsern und den sprunghaften Anstieg von Zwillingsgeburten lustig machen. Wobei … ‚alter Wein in neuen Schläuchen’ ist nicht nur in der Winzerei ein problematisches Thema. Auch beim Vater werden gibt es da Einiges zu beachten:
Bereits 40 % der ‚Jungpapas’ in Deutschland haben das fünfunddreißigste Lebensjahr überschritten. Die Tendenz zu vierzigjährigen — ja, gar fünfzig- und sechzigjährigen Jungpapas ist europaweit steigend. Kaum eine Illustrierte, die nicht einen prominenten Greisenpapi zum Helden des Monats kürt. Was das Windelgefühl anbelangt, waren sich Väter und ihre Babys noch nie so nahe. Angegraute Politiker, Popstars, Künstler und Industriekapitäne produzieren am laufenden Band Halbwaisen in spe. Und wie immer, wenn Großes in der Welt geschieht, wollen auch alle normalsterblichen Würstchen dabei sein, Trend ist schließlich Trend — selbst wenn uns damit senile Lemminge an den Abgrund führen, direkt in die Altersfalle des Vaterwerdens.
Ich habe meine ‚älteste’ Tochter erst mit zweiundvierzig Jahren kennengelernt und weiß, wovon ich spreche — und vor allem auch, worunter ich leide: Als normalsterblicher, alter ‚Jungpapa’ merkt man nur allzu schnell, dass einem da ein gravierender Gedankenfehler unterlaufen ist: Kein Au-pair-Mädchen spielt Babysitter, keine Haushaltshilfe kocht und keine Putzfrau wischt den Brei weg oder räumt das Kinderzimmer auf. Und weil die ‚eigentlichen’ Großeltern längst im Seniorenheim sind, passt auch sonst niemand auf die Kleinen auf.
Auch bei den Finanzen gibt es Schlimmes zu vermelden: Keine Privatstiftung übernimmt in zehn, zwanzig Jahren die Ausbildungskosten der Kinder. Mit Ach und Krach lässt sich gerade noch eine Lebensversicherung erhamstern, die später einmal Frau und Kind den Umzug von der Mietwohnung in eine Gemeindewohnung ermöglichen könnte.
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