„Wie viele Volontäre sind momentan hier auf der Farm?“, fragte Jessi beim Anblick der Bilder.
Anna schaute Joschka fragend an, der bereits am Zählen war.
„Was meinst du? Wie viele sind wir momentan? Zwanzig, oder?“
„Kommt ungefähr hin. Neunzehn, zwanzig müssten wir etwa sein.“
„Und wo sind die alle?“, fragte Marlene. Bis auf Rico waren Anna und Joschka die einzigen Zweibeiner, die wir bisher gesehen hatten.
„Die sind auf der Farm und warten schon gespannt auf euch“, sagte Anna. „Ihr werdet sie beim Abendessen gleich alle kennenlernen.“ Abendessen klang gut, dachte ich mir und zwinkerte Marlene zu. „Wir warten jetzt hier noch auf Dossie. Dossie ist Headcoordinator auf der Farm und verantwortlich für alle Volontäre.“ McKenzies Augen fingen an zu leuchten.
„You know Dossie, right?“ McKenzie nickte.
„Ihr werdet sie auch mögen“, versprach uns Anna. „Genau, was ich euch noch sagen wollte. Dossie wird es euch wahrscheinlich gleich auch noch ans Herz legen. Die meisten Volontäre sprechen deutsch, jedoch gibt es auch ein paar, die kein Deutsch verstehen. Deswegen unterhaltet euch am besten auf Englisch, damit die anderen nicht ausgeschlossen werden.“ Sie schaute zu McKenzie. „I told them that we have to speak in English. Not all people understand German …“
„Oh, I know the rule, but in the last years the rule did not work very successful. The most people spoke German. I do not care.“ McKenzie zuckte lachend mit den Schultern. Wie sich in den nächsten Wochen herausstellte, mussten Anna und Dossie mehrmals die Englisch-Regeln vor allen wiederholen und uns ins Gewissen reden.
„Look, Dossie is coming.“ Wir schauten nach draußen zum Pool, an dem Dossie gerade vorbeiging. Mit einem großen Lächeln begrüßte sie uns wenig später herzlich in der Tür.
„Hey guys, nice to meet you.“ Sie reichte jeden von uns die Hand. „My name is Dossie and I am responsible for all volunteers with my team. Hopefully you had a good trip?“ Sie setzte sich neben Anna und Joschka auf die Bank und legte eine Mappe auf den Tisch. Dossie hatte eine etwas stämmigere Figur. Sie trug eine Kappe, unter der ein Pferdeschwanz zum Vorschein kam. Wie Anna hatte sie naturblondes Haar. An ihrem Hals trug sie ein kleines Tattoo, das wie ein Herzschlag aussah. Zumindest interpretierte ich die Linie hinter dem Herzen so. Auch Anna war tätowiert. An ihrem Unterarm stand „Hakuna Matata.“ Passte zu ihrer Person. Irgendwie bekam ich jetzt auch Lust auf ein Tattoo. Eines, das mich vielleicht an die Reise erinnern würde. Die Zahlen 800 und 1080 kamen mir gleich in den Sinn. Naja, die Auswahl war noch nicht so überzeugend. Vielleicht würde sich in den nächsten Wochen noch bessere Motive ergeben.
„Yes, thank you Dossie“, sagte Marlene.
„Nice to hear.“ Dossie lächelte. „McKenzie nice to see you. How are you, my friend?“
„Hi Dossie. I am good. Thänks.“
„Nice that you are here guys. There is a lot of work on the farm, and we really appreciate your help.“ Anna und Joschka nickten. Ihren dreckigen Beinen und Armen zufolge hatten sie heute schon ordentlich angepackt.
„Did Anna and Joschka already tell you something about the rules and the AM-Tour?“
„The English rule?“
„Exactly.“
„They did, but not about the AM-Tour.“
„Alright. You must know that we have people from all over the world here. People from France, New Zeeland, Norway, Germany, Switzerland and Namibia. I really thank you when you respect it. Speak English. That’s the language everyone understands.“ Wir nickten brav, wobei wir uns keine Illusionen über unsere mangelnden Sprachkenntnisse machten.
„Tomorrow you will be part of the AM-Tour. Anna, did you tell them about the breakfast time?“
„No. Do you want?“
„You can do it.“
„Okay. McKenzie, I guess you know the times, right? McKenzie?“
„Hä?“ McKenzie war mit seiner Aufmerksamkeit schon wieder woanders. Er hatte Rico entdeckt, der gerade neugierig um unseren Bus schlich und nach Nahrung suchte. Wahrscheinlich hatte er den Geruch von Eiweiß aufgenommen. Ich schaute auf seine aufgepumpten, muskulösen Beine. Ein Tritt von ihm und ich hätte mein afrikanisches Tattoo.
„The times, yes. I can remember.“
„Perfect. Breakfast is always from seven to quarter to eight. After breakfast, all volunteers have a meeting with Dossie and her team. In the meeting we normally speak about the day, the upcoming work and yes …“ Sie überlegte, ob sie irgendwas vergessen hatte.
„… the AM-Tour tomorrow.“
„Ah yes, thanks, Dossie. As Dossie said before all of you will be part of the AM-Tour tomorrow. Please be at quarter to six at the farm. My advice: Wake up against five, then you have enough time to walk over.“ Fünf Uhr. Ich schaute zu Jessi, die wie ich mit Ausschlafen morgen gerechnet hatte. Zumindest sehnten wir uns jetzt schon danach, auch wenn wir noch keinen Tag gearbeitet hatten. Das Volontär- und Farmleben - nichts für Langschläfer.
„How the tour looks like you will see tomorrow.“ Ich war beeindruckt von ihrem einwandfreien, flüssigen Englisch. Beim Koffertragen zu unseren Schlafplätzen erzählte uns Anna später, dass sie schon seit Weihnachten auf der Farm lebe. Davor war sie für mehrere Wochen in Kapstadt gewesen und hatte dort ein Kinderprojekt betreut. Kein Wunder also, dass sie so gut Englisch sprach.
Dossie reichte uns Neuankömmlingen jeweils einen Umschlag mit der Bitte, das Schreiben darin unterschrieben samt Umschlag bis spätestens Montag im Farmoffice abzugeben. Irgendein Schreiben mit einer Einverständniserklärung. Das Schreiben fasste mehrere Seiten. Neben dem Schriftstück, das bestimmt in Schriftgröße 6 verfasst war, lag in dem Umschlag eine Karte, die unser Zahlungsmittel für all unsere Käufe auf der Farm sein sollte.
„You have to pay 500 Rand when you lose your card“, ergänzte Dossie und schaute in meine Richtung. Sie schien zu ahnen, wer von uns Neuen wahrscheinlich am ehesten seine Karte verlieren würde. Damit lag sie auch gar nicht mal so falsch. Neben Schlüsseln, die ich auch gerne mal im Haustürschloss von draußen stecken ließ, ging mir meistens irgendwas verloren. Vorsichtig steckte ich die Karte erst mal zurück in den Umschlag.
„Anna und Joschka will show you the accommodations where you sleep. After that you will meet all volunteers and the staff by dinner. I think that’s all information for this moment.“ Sie kontrollierte ihre Liste. „Oh no. Maybe one word to the rooms. Marlene, you share a room with Jessi, Adelle and Flo. And Silas you …“ Gespannt schaute ich zu ihr. „You will share your room with Mckenzie. Alright?“ Bitte nicht … Mir schossen sofort die beiden Erdnussbuttergläser in den Kopf. Ich konnte nur drauf hoffen, dass McKenzie keine Erdnussbutterunverträglichkeit hatte. Aber er war Amerikaner. Stolzer Amerikaner. Er konnte Erdnussbutter bestimmt gut ab. McKenzie grinste mich glücklich an.
„Sounds good“, sagte ich diplomatisch. Hoffentlich ging das mit ihm auf einem Zimmer gut …
„Joschka, gehst du mit Silas und McKenzie? Ich zeig dann Marlene und Jessi, wo ihre Hütte ist.“
„Machen wir so.“ Dossie hatte sich mittlerweile von uns verabschiedet. Mit einem weißen Geländewagen fuhr sie schon mal Richtung Farm vor. Wir sollten sie nachher wiedertreffen.
Der Weg, den Joschka einschlug, führte vorbei an mehreren Büschen und Bäumen. Die Holzhütten, die wir passierten, sahen alle gleich aus. Zu jeder Holztür führte eine dreistufige Treppe mit einer Holzreling. Neben den Hütten waren Wäscheleinen gespannt, auf denen Socken und Unterwäsche im Wind hin und her baumelten. Wenn sie nicht schon am Boden im Sand lagen. Jede Hütte hatte ihren eigenen afrikanischen Namen. Manche kamen einem Zungenbrecher gleich. Unsere Hütte hatte einen vergleichsweise einfachen Namen …
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