„Ja, weil nur zehn Prozent heil auf der Farm ankommen.“
„Das stimmt.“ Sie lachte. „Wenn überhaupt.“
„Dann gibt es heute Abend halt Rührei“, sagte Marlene freudig. „Gibt Schlechteres.“
Salz und Pfeffer hätten wir ganz sicher nicht mehr gebraucht. Der Staub wirbelte nur so durch die Luft. Ich hustete und trank danach ein wenig Wasser aus meiner Flasche. Meine Kehle war durch die staubige Luft ganz trocken geworden.
„Meint ihr, wir brauchen noch lange?“, fragte Marlene und schaute auf ihre Uhr.
„Keine Ahnung. Wie spät ist es eigentlich?“ Ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr.
„Du hast doch selber eine Uhr …“
„Oh stimmt ja.“ Um meinen Orientierungssinn schien es durch das ganze Gerüttel auch nicht mehr so gut zu stehen. „Was, halb sechs?“ Ungläubig starrte ich auf meinen Arm. „Marlene, weißt du noch, wie ich am Morgen gehofft hatte, dass wir zum Mittagessen pünktlich auf der Farm ankommen?“ Sie lachte und nickte mit dem Kopf.
„Könnte knapp werden mit dem Essen, wenn du mich fragst.“ Ich gab ihr recht. Von nun an ging es nur noch darum, wenigstens zum Abendessen pünktlich anzukommen. Die Käsebrötchen waren bei den ganzen Schlaglöchern längst verdaut, sodass ich einer richtigen Mahlzeit mehr als offen gegenüberstand. Den anderen ging es nicht anders. Nur bei McKenzie war ich mir nicht ganz sicher. Manchmal lachte er plötzlich und murmelte in der Folge irgendwelche Sätze vor sich hin. Fünf Minuten später war er wieder am Schlafen oder machte irgendwelche Dehnbewegungen für seinen Nacken und Rücken. So richtig wurde ich aus seinem Verhalten nicht schlau.
Wir passierten ein großes Tor auf der linken Seite und fuhren weiter durch den Busch. Begleitet wurden wir von einem Zaun, der mich an die Serie erinnerte, die ich vor Jahren im Fernsehen gesehen hatte. Aufmerksam versuchte ich, Tiere zu erkennen, die sich vielleicht dahinter im Gebüsch versteckten. Ich war mir nicht sicher, aber manchmal schien ich mir einzubilden, etwas im Busch gesehen zu haben. Jessi, Marlene und McKenzie taten es mir gleich und scannten mit ihren Augen die Landschaft hinter dem Zaun.
„Hä?“ McKenzie drehte sich überrascht zu Jessi. Jessi musste mehrmals schnipsen, bis er reagierte. Er war wieder am Träumen gewesen.
„What do you think? When will we arrive?“
„Well, I think …“, überlegte er. „Maybe twenty minutes. I guess.“ Wir erreichten ein weiteres Gatter. Auf ihm stand auf einem Schild geschrieben: „10 Kilometers.“ McKenzie lag mit seiner Vermutung gar nicht mal so falsch. Zwanzig Minuten konnte bei dem Tempo gut hinkommen. Wir fuhren mit vielleicht zwanzig Stundenkilometer zwischen den beiden Zäunen her. Die Straße war an einigen Stellen nicht allzu breit. Aufgeregt zählte ich die Minuten runter und versuchte mich an die Folge zu erinnern, in der Volontäre mit einem etwas kleineren, robusteren Bus die Farm erreichten und von den anderen empfangen wurden. Ich meinte, dass in der Folge ein grünes Haus vorkam.
„Leute, ich glaube, wir sind da“, sagte Marlene plötzlich. „Guckt mal: Da steht so ein grünes Haus. Da zwischen den Bäumen.“
„Wo?“ Gespannt schaute ich aus dem Fenster. Leider verdeckte gerade ein Dornenbusch die Sicht. „Ich sehe nichts.“
„Ich auch nicht.“
„Ja, wartet. Gleich müsstet ihr es sehen. Da …“ Jetzt sah ich es auch. Ohne Brille konnte man das gut getarnte Haus gar nicht erkennen. Kein Wunder, dass Marlene im Vorteil war und es zuerst sah. Umringt von Büschen stand es direkt unter einem großen Baum, dessen Äste fast bis zum Boden hingen. Es sah wirklich genauso aus wie in der Serie. Wir parkten wenige Meter vom Gebäude entfernt. Erst von Nahem fiel mir auf, dass das Gebäude keine Türen und Fenster hatte. „Hey Rico.“ McKenzie schien es nicht großartig zu interessieren, dass das Haus keine Fenster hatte. Wie aus dem Nichts sprang er plötzlich von seinem Platz auf und hämmerte seine Faust gegen die Fensterscheibe. Es fehlten nur Millimeter und er wäre volle Kanne gegen die niedrige Decke des Busses gedonnert.
„Hey Rico. Rico. What´s up, määäään? Hey Rico, haha.“ Euphorisch griff er im Stehen nach seinem Rucksack und sprang wie ein energiegeladener Flummi über die 1080 Eier. „Yeah. Rico haha.“
Er hörte gar nicht mehr auf mit seinen Rico-Rufen. Vielleicht war er bei einem großen Schlagloch doch gegen die Decke gekommen. Wir stiegen über die Eier-Kartons und folgten ihm nach draußen.
„Silas, schau, der Strauß dahinten.“ Jessi hatte zuerst herausgefunden, wen McKenzie so überschwänglich begrüßte. Sie zeigte auf einen Strauß, der gerade über die Wiese an zwei grasenden Gnus vorbei sprintete.
„Hey Rico. Why are you running? Stop it!“ Bei McKenzies Rufen hätte ich wahrscheinlich auch die Flucht ergriffen. Neugierig schaute ich mich in der Gegend um. Bis auf den panisch, flüchtenden Strauß hatte sie noch viel mehr zu bieten. Vom grünen Gebäude aus hatte man einen super Blick auf eine Wasserstelle, die gute zweihundert Meter von uns entfernt in der grünen Graslandschaft lag. An ihr versammelten sich gerade mehre Antilopen und Springböcke, die vom Lärm irritiert in unsere Richtung starrten. Mein Blick fiel auf einen Pool, der mir beim Aussteigen noch gar nicht aufgefallen war. Auf seiner Wasseroberfläche schwammen mehrere tote Motten, wenn sie nicht im Kies neben dem Pool lagen. Um den Pool standen mehrere Holzliegen bereit, wobei eine ziemlich kaputt und ramponiert aussah.
„Ich weiß schon, wo ich meine Freizeit in den nächsten vier Wochen verbringen werde.“
„Ich weiß es auch“, grinste Marlene.
„Wir brauchen nur so was wie einen Kescher. Ich sehe das Wasser vor lauter Motten nicht.“ Glücklicherweise lag direkt neben den Treppenstufen einer.
„Hey, guckt mal, Leute, da kommen zwei auf uns zu.“ Jessi hatte ein Mädchen und ein Junge entdeckt, die hinter einem Dornenbusch aufgetaucht waren. Auf einem schmalen Weg, der vorbei am Dornenbusch mitten aus dem Busch zum Gebäude führte, liefen sie in unsere Richtung. Sie lächelten von Weitem.
„Hey, guys, nice to meet you. My name is Anna and that is Joschka.“
„Hi.“
„Can we help you with your baggage?“ Anna hatte blonde lange Haare und erinnerte mich vom Aussehen ein wenig an meine Schwester. Sie hatte einen richtigen Lockenkopf. Joschkas Haare waren dagegen ein wenig kürzer als ihre. Um einiges kürzer. Ich überlegte, ob mir sein Maschinenkurzhaarschnitt auch stehen würde, ließ den Gedanken jedoch schnell fallen, auch wenn kurz geschorene Haare bei den Temperaturen in Namibia sicherlich keine allzu schlechte Idee waren. Beide kamen wie ich aus Deutschland. Dankend nahmen wir ihre Hilfe an. Bei unseren ganzen Koffern, Taschen und Jacken konnten wir gut Hilfe beim Tragen gebrauchen. Vor allem McKenzie brauchte bei seinem XXL-Koffer Hilfe, den er kaum durch den ganzen Sand geschoben bekam. Voll bepackt folgten wir Anna und Joschka ins Gebäude. Im Inneren standen überall Holzbänke und Tische mit Soßen und Gewürzflaschen bereit.
„Hier essen wir immer zu Mittag und verbringen unsere Pausen. Wir haben hier sogar einen Kiosk, wo ihr Kaltgetränke und Chips kaufen könnt“, sagt Anna und deutete auf einen Tresen, hinter dem ein Kühlschrank mit Cola- und Fanta-Dosen stand.
„Is Hermän still the barkeepär?“, fragte McKenzie neugierig.
„Yes, haha“, lachte Joschka. „Why do you know him?“
„Well, it is my fourth time here. Last year I always ordered juice by him. What is with crazy Ädlin? Is he still coordinator on the farm?“
„Whaat, your fourth time?“ Joschka schaute ihn mit großen Augen an. „Sick. Yes he is …“ McKenzie grinste zufrieden. Wir setzten uns auf eine Bank, die direkt am Eingang stand. Von da aus ließ ich meinen Blick im Raum umherschweifen. Der Boden war mit Kieselsteinen bedeckt, während an den Wänden Bilder von ehemaligen Volontären hingen, die gemeinsam mit Affen auf den Schultern in die Kamera lachten. Oben an der Decke sah man mehrere Handabdrücke, die in den unterschiedlichsten Farben und Größen zu uns runterwinkten.
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