„Leider nein. Hier essen meistens nur die Farmgäste, die draußen bei den Paviangehegen entweder campen oder dort einen Bungalow beziehen. Einmal in der Woche dürfen aber die Leaver hier essen.“
„Leaver?“
„Die in der Woche dann abreisen. Die dürfen sich eine Gästeliste zusammenstellen und dann hier den Abend ausklingen lassen. Ist immer was Besonderes, so ein Leaver-Dinner.“ Anna lächelte.
„Oft ist das Restaurant aber auch leer, weswegen wir nicht verstehen können, dass wir dann nicht hier essen dürfen“, ergänzte Joschka.
„Warum nicht?“, fragte ihn Jessi. „Wenn ihr da essen geht, dann sind das doch auch Einnahmen für das Restaurant. Weswegen haben wir sonst eine Kreditkarte bekommen?“
„Ist halt nicht gewollt. Aber gut - was soll man machen?“ Joschka zuckte mit den Schultern. „Ist deren Problem.“
„Man muss nicht alles verstehen. Wir essen immer dort hinten. Kommt mit. Die anderen warten schon auf euch.“ Wir folgten Anna an den Restauranttischen vorbei und näherten uns immer mehr den Stimmen, die rechts vom Restaurant zu hören waren.
Sie verstummten, als sie uns kommen sahen.
30 VOLONTÄRE UND EIN DIEB
(CHAPTER SEVEN)
Ich fühlte mich wie ein Artist in einer Zirkusmanege. Nicht etwa, weil der Ort mit der Feuerstelle in der Mitte und den vielen Bänken und Tischen drumherum stark an ein Zirkuszelt erinnerte. Vielmehr, weil uns gerade dreißig Augenpaare neugierig anschauten und unsere Körper von Kopf bis Fuß scannten. Es fehlten nur noch die Scheinwerfer und der Zirkusdirektor, der uns ankündigte. „Keine unüberlegten Aktionen, Männer! Nur lächeln und winken“, schoss mir die Taktik der Pinguine aus Madagaskar durch den Kopf. Keine unüberlegten Aktionen, McKenzie. Wie er setzte ich mein schönstes Lächeln auf.
„Hey, Guys.“
„Hey, Anna“, schallte es zurück. Alle Augen waren auf sie gerichtet.
„Say hello to the Newbies.“
„Hello Newbies.“ Ich schmunzelte, schien ich mich doch sehr an ein Fußballspiel erinnert, in dem die Heimmannschaft gerade ein Tor erzielt hatte und der Stadionsprecher die fünfzigtausend Kehlen zum Ausrasten brachte.
„Torschütze mit der Nummer 10: Luuukas …“
„… Podolski.“
„Luuukas …“
„… Podolski.“
„Luuukas …“
„Podolski - Fußballgott!!!“
„Neuer Spielstand: Deutschland?“
„1.“
„Frankreich?“
„0.“
„Danke schön!“
„Bitte!“
„Schalala …“
„Schalalalalalaalalalalal“
Zufrieden drehte sich Moderator Anna zu uns. „So, Leute: Das sind die Oldies, also die anderen Volontäre. Nächste Woche gehört ihr dann auch zu den Oldies, wenn wieder Neue kommen. Setzt euch einfach an irgendeinen Tisch dazu und denkt dran: English please.“
Ich schaute in die Runde und in die vielen neugierigen Gesichter. Jungen und Mädchen, die Mädchen waren deutlich in der Überzahl, saßen bunt gemischt zusammen unter einem Holzdach, das sich im großen Bogen um die Feuerstelle erstreckte und die einzelnen Tische und Bänke bedeckte. Ich schaute zu Jessi und Marlene.
„Wollen wir uns erst mal bei jedem vorstellen? Vielleicht besser, als sich direkt irgendwo stumm hinzusetzen.“
„Wenn du vorgehst …“
„Gern!“, zwang ich mich zu sagen und steuerte den von uns aus nächstgelegenem Tisch an. An ihm saßen zwei Erwachsene von der Gruppe getrennt. Die Frau hatte schulterlange Haare, der Mann die gleiche Frisur wie Joschka. Die Frisur schien echt der Renner zu sein.
„Hi, I am Silas. Nice to meet you“, sagte ich zu dem Mann und bekam einen festen Händedruck zurück. Vor Schmerz biss ich mir auf die Lippe.
„Hi, I´m Alex. Nice to meet you.“ Von Alex ging ich um den Tisch herum zu der Frau und streckte ihr meine leicht zerquetschte Hand entgegen. Ich hoffte, dass sie einen sanfteren Griff hatte.
„Hi, I am Silas. Nice to meet you.“
„Nice to meet you, too. My name is Michi. Alex’s wife.“ Ich nickte. Michi und Alex machten beide einen netten und freundlichen Eindruck. Ich vermutete, dass sie wie Dossie als Koordinatoren hier arbeiteten. Sie waren deutlich älter als alle anderen Volontäre. Ich lächelte sie an und ging weiter zum nächsten Tisch. Dreißig Händedrücke und „Hi I am Silas. Nice to meet you“-Sätze später setzte ich mich an den Tisch, wo auch schon Anna und Joschka Platz genommen hatten. Von da aus versuchte ich noch einmal alle Namen am Tisch durchzugehen. Neben mir saß links McHänsi, äh McKenzie, rechts Jessi und daneben Marlene. Ganz rechts auf der anderen Seite Anna und daneben Joelle. Neben Joelle saß dann Lara, nein Lena. Oder hieß sie doch Lara? Ich war mir nicht mehr ganz sicher. Neben Lara-Lena saß Nathalie, die sich gerade mit Joschka am Tisch unterhielt und mit ihm tiefe Blicke wechselte. Und dann noch der Junge mit dem Rasiererhaarschnitt, ganz links gegenüber von McKenzie. Er fing, meine ich, auch mit J an. John oder Johnny. Er machte einen ruhigen, ganz gelassenen Eindruck. Der erste Eindruck täuschte nicht. Er sprach auch so. Wie ich einige Tage später herausfand, war er sechsundzwanzig Jahre alt und bildete mit Anna zusammen eins der beiden „Couples“ auf der Farm. Neben Anna und Johnny waren noch Nathalie und Joschka ein Pärchen. Sie alle hatten sich zum ersten Mal auf der Farm gesehen und kennengelernt. Und anscheinend auch gleich gut verstanden. Schon romantisch, so eine Afrika-Lovestory …
Mein Blick fiel auf Lea, die zwischen Nathalie und Lara-Lena saß und mich im gleichen Moment auch anguckte. Ich lächelte sie an. Lea hatte naturbraune Haare, die sie, ähnlich wie Michi, bis zu den Schultern trug. Auf ihrem weißen Shirt war ein Regenbogen abgebildet, der sich vom einen zum anderen Ärmel zog. Sie hatte braune Augen und ein paar Sommersprossen im Gesicht. Sie ist echt hübsch, dachte ich mir und schaute schnell nach vorne zu Anna, damit mein Blick zu Lea nicht zu auffällig wurde. Anna hatte sich hinter der Feuerstelle an einem Tresen positioniert, auf dem bereits mehrere dampfende Töpfe standen.
„Okay, guys. Today we have spaghetti with tomato sauce.“ Sie machte eine kurze Pause. Ein Raunen ging durch die Manege.
„Everyone can have one big scoop spaghetti and one scoop of sauce. This sauce here is with meat and this sauce is for the vegetarians.“
„Snooboobs starts“, rief Joschka rein.
„Nice try Joschka“, lachte Anna. „Newbies starts, snooboobs are the last group.“ Enttäuscht verschränkte Joschka seine Arme. Auf dem Hinweg zur Farm hatten wir Newbies von den beiden schon erfahren, dass es unterschiedliche Gruppen gab. Jede Gruppe hatte ihren eigenen Namen und war für verschiedene Tiere auf der Farm zuständig. Gruppenweise ging es dann auch zum Essenholen. An manchen Tagen kam es so durchaus vor, dass man trotz knurrendem Magen erst als Letzter sein Essen abholen durfte.
Nachdem neben uns Newbies auch alle Crocs, Owls und Foreveralones ihre Teller mit Nudeln und Tomatensauce befüllt hatten, durfte dann endlich auch Joschka mit seiner Gruppe die Kelle schwingen. Zumindest war er in seiner Gruppe der Erste in der Schlange.
„Lass es dir schmecken“, sagte ich zu Joschka und schob mir die x-te Gabel in den Mund. Mein Teller war schon fast leer, so einen Hunger hatte ich gehabt. Ich wollte gerade am Tisch fragen, ob man sich ein zweites Mal nachnehmen durfte, da wurde ich auf einmal von einem panischen Schrei unterbrochen. Erschrocken und fast an einer Nudel erstickt schaute ich auf, von wem der Schrei kam. Es war Jessi, die sich die Arme schützend vors Gesicht hielt.
„Ah, ein Affe. Hilfe.“ Affe? Hier? Ich dachte sofort an Jacobi, der vielleicht aus seinem Käfig ausgebrochen war. Joschka hatte von ihm erzählt, als wir zur Farmwiese gingen. Er lebte allein in seinem dunklen Käfig, weil er ein Problemaffe war. Bei Versuchen in der Vergangenheit, ihn in eine Paviangruppe zu integrieren, hatte es stets Verletzte gegeben. Mit ihm war wirklich nicht zu spaßen, vor allem, wenn es ums Essen ging. Die Schilder vorm Gehege hatten also ihren Grund. Aufgeregt schaute ich mich wie die anderen am Tisch um. Jacobi konnte überall sein. Vorsichtshalber ließ ich mein Essbesteck nicht aus der Hand. Plötzlich sah ich ihn. Jacobi, einen muskulösen, brüllenden Pavian mit großen Zähnen und Pranken? Nein, schlimmer. Erleichtert fing ich wie die anderen am Tisch an zu lachen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ein kleines Babyäffchen hüpfte vor mir über den Tisch. Mit seinem Schwanz stieß es fast eine Cola-Dose um.
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