»Was ist los?« fragte der Kommissar streng, und der Beamte mit den wasserblauen Augen gab, nun etwas verlegen und stotternd, Auskunft. Er reichte seinem Vorgesetzten die Uhr, und dieser öffnete den Sprungdeckel, las die Inschrift und sah den Übereifrigen zornig an. »Rindvieh!« sagte er mit Deutlichkeit.
Dann legte er Stilling die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, Herr Stilling«, sagte er herzlich. »Bitte, vergessen Sie es ..., die unruhigen Zeiten verwirren die Leute ..., ein Glück, daß ich noch da war ..., hier, nehmen Sie Ihre Uhr wieder ..., ein schönes Stück ..., gut, daß Sie sie dem Halunken nicht verkauft haben ...«
Stilling nahm die Uhr und stand langsam auf. »Es macht nun nichts mehr«, sagte er. »Es tut nur etwas weh und wird noch eine Weile weh tun. Nicht der Irrtum, aber das andere.« Und er sah den Beamten, der ihn verhaftet hatte, mit seinen klaren Augen eine Weile an. »Das Recht zu schützen«, sagte er dann, »ist ein schöner Beruf. Aber es mit Roheit zu schützen, nimmt die Schönheit fort. Alles Wehrlose steht in Gottes Hand ...«
Der Kommissar hörte ihm etwas verlegen zu. »War etwas nicht in Ordnung, Herr Stilling?« fragte er. »Ich will es streng bestrafen ...«
Aber Stilling nickte ihm nur zu und hatte die Türklinke schon in der Hand. »Wir wollen es dabei bewenden lassen«, sagte er leise.
Es war ein langer Weg für den alten Mann, aber draußen war die gnädige Nacht, und der Regen hörte auf. Nur der Wind blieb, riß den Himmel auf und spaltete ihn in große Wolkenmassen, aus deren Lücken der halbe Mond rötlich heraustrat. Unruhe war über dem einsamen Land, und in den großen Wäldern roch es nach welkem Laub und nach den letzten Pilzen, an denen die Schnecken saßen.
Aber Stillings Herz war ruhig. Es war noch ein wenig betäubt von dem Gewesenen, wie ein Mensch von einem unvermuteten Schlage betäubt ist, aber seine Gedanken versuchten schon, Ordnung in diesen trüben und dumpfen Ablauf zu bringen. Da waren die drei Menschen, die beteiligt gewesen waren, und sie hatten wohl alle ihre Pflicht getan oder doch das, was sie dafür hielten. Einer war hinterlistig, und einer war roh gewesen, aber vielleicht lag es an der unruhigen Zeit, und vielleicht würde es ihnen schon jetzt leid tun. Dem Habichtsmann, daß er sich die Uhr hatte entgehen lassen, dem anderen, daß er nun einen Rüffel bekam, nachdem er schon ein Rindvieh genannt worden war. Merkwürdig, daß die Menschen im Zorn immer zu Tiernamen griffen und dazu, wie in diesem Falle, nach den Mustern der Sanftheit. Auch da war etwas nicht in Ordnung, ein Hochmut, der aus dem stillen Gesetz der Schöpfung heraustrat und mit Verachtung auf das Brüderliche blickte.
Ja, mit Jons Ehrenreich war es nun nichts, aber wenn Gott es nicht gewollt hatte, so hieß das, daß er schon einen anderen Weg bereit hielt, und Stilling hatte ihn nur nicht erkannt. Er war ungeduldig und voreilig gewesen, und er war belehrt worden.
Die Wolken jagten über den Kiefernwald, aber es sah aus, als jagte der Mond an den Wolken vorbei, eine Sichel, die schneiden wollte. Stilling blieb stehen und nahm den Hut ab. Der nasse Mantel war schwer und drückte auf seine Schultern, und es war schön, den kühlen Wind in seinem Haar zu fühlen. »Alter Freund«, hatte der Polizist gesagt, aber auch das war ein Mißbrauch der Sprache. Sie hatten die Ehrfurcht vor dem ursprünglichen Sinn verloren. Sie schoben andere Bilder hinter das Wort. Sie taten, was ihnen gefiel. Es war eine Welt der Willkür geworden, und deshalb war Stilling nicht mehr zu Hause in ihr. Für den einfachen Mann war Willkür immer gleich Sünde gewesen.
Er zog die Uhr aus der Tasche und drückte auf die Feder. Die zarten, zerbrechlichen Töne der vollen und der Viertelstunde verwehten im Wind, aber es blieb doch ein wunderbarer Trost von ihrem Klang zurück. Die Menschenhand, die die Zeit maß und sie in ein schmales, goldenes Gehäuse geborgen hatte. »Treu und Redlichkeit« ..., er hatte es überhören wollen, aber nun war es wieder da. Er brauchte nur einen Finger an den goldenen Rand zu legen, und sie waren wieder da. Es gab Dinge, die keine Willkür und keine Polizei den Menschen nehmen konnten.
Es war sehr spät, als er wieder in das Zwergenhaus trat. Elisas Stricknadeln klapperten, und sie sah ihn über die Brille hinweg an. »Wie ein Baalspriester«, sagte sie, »der zur Nacht seine Götzen beschwört!«
Aber Stilling lächelte wie immer. »Ich wurde aufgehalten«, sagte er in seiner stillen Weise. »Es tut mir leid, daß du dich geängstigt hast.«
»Kinder und Narren stehen in Gottes Hand«, erwiderte sie ungerührt und brachte ihm sein Abendbrot.
Als er allein war, saß er noch eine Weile vor der Weltkugel, die alte Bibel auf den Knien. Er hatte das Buch Hiob aufgeschlagen, und seine Augen gingen langsam von den blauen, schweigenden Meeren zu den großen, altertümlichen Buchstaben in dem schwarzen Buch. »Denn wir sind von gestern her«, las er, »und wissen nichts, weil unsere Tage nur ein Schatten auf Erden sind.«
Auch jene wußten es nicht, dachte er, daß sie von gestern her sind ..., aber auch sie werden es erfahren ..., ein Tag, der am Abend seinen Trost hat, ist ein schöner Tag.
Eine Weile blieb es verborgen, aber dann kam es natürlich unter die Leute. Die Spöttischen belächelten es, aber vielen anderen tat es leid. In Sowirog ballte man die Fäuste wie über einen Schimpf, und Korsanke schämte sich. Herr von Balk lachte zwar, aber er schrieb auch einen Brief an den Landrat, der mit Hohn getränkt war wie ein Schwamm und den der Landrat in seiner Faust zerdrückte, ehe er ihn in den Ofen warf. Elisa schäumte vor Zorn und nannte fortan jede Uniform das »Kleid der Sodomiter«.
Nur Jons erfuhr es erst viel später, weil alle fühlten, daß es ihn am schwersten treffen würde.
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