Ernst Wiechert - Die Jeromin-Kinder - Roman in zwei Bänden

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Die Jeromin-Kinder - Roman in zwei Bänden: краткое содержание, описание и аннотация

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Wenn das Herz und die Seele nicht am selben Ort leben. In dieser zweiteiligen Familienchronik erzählt Ernst Wiechert über das Leben von Jons Ehrenreich Jeromin. Der tugendhafte Jons unterscheidet sich bereits in seiner Jugend von der Einfachheit der ländlichen Bevölkerung. Nach seinem Aufenthalt beim Militär gelingt es ihm mithilfe seiner Familie und seines ehemaligen Lehrers seinen Traum vom Medizinstudium in Königsberg wahr werden zu lassen. Doch bald wird Jons klar, dass er dem Leben in der Großstadt nicht gewachsen ist. Wird es Jons gelingen seine Heimat in Königsberg zu findet oder zieht es ihn zurück aufs Land?-

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Ernst Wiechert

Die Jeromin-Kinder - Roman in zwei Bänden

Saga

Die Jeromin-Kinder - Roman in zwei Bänden

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1945, 2021 SAGA Egmont

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9788726927498

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Erster Band

I

Die Frauen von Sowirog kehrten in ihr Dorf zurück. Sie hatten zum Wochenmarkt in der Kreisstadt das Wenige getragen, was sie im Haushalt erübrigt hatten: etwas Butter, etwas Sahne, ein paar Pfund Fische aus dem See. Und Gogun, der Fröhliche, der »Kranichräuber«, hatte in einem strohgefüllten Leiterwagen ihre Ferkel hingefahren.

Mit ihm hatten sie auch zurückkehren wollen, denn es war ein zwei Meilen langer Weg. Aber der Fröhliche war schon um die Mittagszeit betrunken gewesen. »Ihr Goldenen«, hatte er gesagt und sie der Reihe nach geküßt. »Noch ein Stündchen, ihr Goldenen. Ein einziges kleines Stündchen!« Und obwohl seine Frau ihn mit einem Stein, den sie in ihr rotes Taschentuch gebunden hatte, in den Rücken geschlagen hatte, »um ihm den Nebel aus dem Kopf zu treiben«, hatte er plötzlich auf beiden Händen vor aller Augen auf dem Marktplatz gestanden, hatte die eisenbeschlagenen Absätze hoch in der Luft zusammengeschlagen und dazu mit einer hellen Stimme sein Lieblingslied gesungen: »Zigánuschka, Zigánuschka, Zigánuschka moija ...«

Da hatten sie sich abgewendet, weil sie den Text des Liedes kannten, und waren noch einmal durch die Straße mit den großen Schaufenstern gegangen. Sie hatten mit müden Augen auf die Schätze geblickt, die dort, unerreichbar für sie, lagen, und nur Gina, die junge Frau des Waldarbeiters Bojar, die ihr erstes Kind erwartete, war plötzlich mit einem zornigen Wort die Steintreppe hinaufgeeilt und nach einer Weile mit einer Kinderklapper wieder zurückgekommen, einem zerbrechlichen, kostbaren Ding, hell wie Elfenbein, mit roten und blauen Blumen, die wie ein wunderbarer Kranz um die Rundung liefen. Trotzig hatte sie das Spielzeug in die Höhe gehalten, so daß die Blumen in der Sonne wie lebendig glühten, indes ihr Kindermund schon wie im Weinen zuckte; aber als die alte höhnische Stimme der Mutter Kroll etwas von einer Krone sagte, die man nächstens den Kätnerkindern auf das Haar setzen werde, hatte sie nur böse aufgelacht und gesagt: »Besser vertan als vertrunken!«

Als sie nach zwei Stunden wieder am Markt angekommen waren, hatte Gogun auf der Deichsel des Wagens gesessen wie auf einem schmalen Sattel, die Peitsche in der Rechten, die Flasche in der linken. »Noch ein halbes Stündchen, ihr Goldenen!« hatte er gebeten. Aber Marthe Jeromin, die wie eine Nonne unter ihnen war in ihrem schwarzen Kleid und dem weißen Kopftuch, hatte sich schroff umgedreht und war die Straße hinuntergegangen, die an der Kaserne vorbei ins offene Land führte. Und da war ihnen nichts übriggeblieben, als ihr zu folgen, wie sie ihr immer folgten, obwohl sie sie nicht liebten und sie immer noch eine Fremde war, aus den litauischen Mooren, wo sie Meineide schworen und farbige Kreuze auf den Kirchhöfen hatten.

Vor der Kaserne hatten sie noch einmal warten müssen, weil das Bataillon von einer Übung zurückkehrte und gerade in das geöffnete Tor bog. Die Klänge der Regimentskapelle erfüllten die schmale Straße mit Hall und Dröhnen, eine betäubende Woge von Silber und Gold, die sich an den Häusern brach und über den Köpfen der Wartenden zusammenschlug. Der Schritt der genagelten Stiefel schlug auf das Pflaster nieder, die Gewehrläufe schimmerten über dem verstaubten Blau der Uniformen, und sie standen und starrten regungslos mit verwirrten Augen auf diese Schlange des Glanzes, die sich prächtig und drohend vor ihnen in das Tor hineinwand, ein Gesicht dem nächsten, ein Glied dem andern gleichend, ja, als seien die Gesichter nur helle, leblose Flecken, die Glieder nur dünne Ringe unter einer bläulichen Haut und das Ganze dem Menschlichen und ihnen Vertrauten schon nicht mehr angehörig, eine drohende Kraft, die sich in eine unbekannte Höhle zurückwand.

Ihnen gegenüber, nur durch den schimmernden Zug von ihnen getrennt, hielt der Major und blickte über die Helmspitzen unter sich auf die Gruppe der wartenden Frauen. Er kannte diese demütigen und gebeugten Gestalten aus den Walddörfern in der Runde, die so viele Söhne für des Kaisers Rock geboren, und es befremdete ihn, daß vor ihnen eine dunkle, nonnenhafte Frau stand, hochgewachsen und schmal, mit strengem, abweisendem Gesicht, aus dem die grauen Augen durch ihn hindurch-, ja über ihn hinwegsahen, als stehe er wie ein Zaun in ihrem Wege.

Und noch als er hinter dem Bataillon her sein Pferd in das Tor lenkte, streifte er mit einem Seitenblick das dunkle Gesicht über dem herabgeglittenen weißen Kopftuch, das die Augen nicht nach ihm wandte, sondern geradeaus auf die nun freigewordene Straße blickte, einem Ziele zugewendet, das still und nüchtern in der Ferne der dunklen Wälder liegen mochte.

»Ein schöner Herr ...«, sagte eine ergriffene Stimme hinter ihr. »Fast so wie der Kaiser ...«

»Und beinahe so schön wie dein Gonschor mit den krummen Beinen«, kam die spottende Antwort.

Und dann gingen sie endlich die Straße aus der Stadt hinaus, zwischen Häusern, die immer niedriger und seltener wurden, an der Abdeckerei vorbei, über der eine Wolke bösen Geruches hing, an der Windmühle auf dem Hügel über dem See vorbei, bis das freie Feld weit und grün sie umschloß.

Sie schoben die Kopftücher zurück und atmeten tief. Schön war die Stadt, ein Ort des Glanzes und des Reichtums, der Wunder und Verheißungen. Soldaten marschierten über ihre gepflasterten Straßen, ein Denkmal mit einem eisernen Adler stand hoch und feierlich über dem Markt, hinter spiegelnden Fenstern lagen die Schätze der Welt. Aber die Füße schmerzten in den ungewohnten Schuhen, das Geld verschwand aus dem zugeknöpften Taschentuch, und die Männer betranken sich, sowie man sie aus den Augen verlor.

Leicht ging es sich nun im Staub des Sommerweges, der sich warm zwischen die Zehen legte, gut war der Geruch der jungen Birkenblätter und schön und vertraut der Ruf der Kiebitze, die über ihren Nestern kreisten. Und wußte man auch nie, was einen zu Hause erwartete, eine verlaufene Ziege, ein angebrannter Topf, der Mann, der im Kruge lärmte, oder das Kleinste, das einen Knopf verschluckt hatte: das Haus würde doch dastehen, das gebeugte Dach, die blinden Fenster. Der See würde glänzen, der Birnbaum auf dem steinigen Ackerrain blühen, die Kraniche auf den Moorwiesen rufen. Ohne Glanz war das Leben, mit schmerzendem Rücken ging man durch die Tage, auf der Schwelle saß die Sorge als Gast. Aber doch umschloß ein Zaun das Leben, ein Hund wachte, und Kinder wuchsen aus dem Gröbsten herauf, Blut vom eigenen Blut, die für einen Sarg sorgen würden und für ein Holzkreuz auf dem schmalen Hügel unter den alten Fliederbüschen und dem Holunder, in dem die Drosseln zur Herbstzeit lärmten.

Sie verließen die Chaussee, und die alte Landstraße stieg mit ihnen die Hänge zu den großen Wäldern hinauf. Weiße Frühjahrswolken zogen wie schwere Schiffe über ihnen dahin, und ihr Schatten legte sich kühlend auf ihre heißen Stirnen. Der Löwenzahn blühte, die Erde roch feucht und warm.

Sie hatten vier Stunden zu gehen, und einigemal rasteten sie auf einer der Lichtungen, auf der Grabenböschung, wo die Eidechsen über ihre nackten Füße glitten. Sie brachen von den Semmeln ab, die sie in ihren Körben trugen, vorsichtig die Krümel sammelnd, und tranken aus der blauen Blechkanne den kalten Kornkaffee. Sie beredeten die Stadt und das Dorf, den Wald und den See. Sie beredeten den Krugwirt Czwallinna, ob er wohl das Kind seiner Magd umgebracht habe, und den Gemeindevorsteher, ob er zwei oder drei Säcke mit Talern verborgen habe. Sie beredeten den Förster und den Gendarmen, den Fischereiaufseher und den Pfarrer, und nicht zuletzt den allmächtigen Herrn von Balk, dem der See gehörte und die Waldweide, die Torfbrüche und das Schilf, ja, dem sie fast alle gehörten mit Schuld und Zinseslast, Männer und Frauen und Mädchen. Besonders aber die Mädchen. Und der doch nicht der schlechteste Herr war. Nicht schlechter als der Kaiser, der ihre Söhne nahm, oder der Landrat, der ihre Groschen als Steuer nahm, oder der Tod, der sie alle nahm.

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