VII. Das Zweite Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der EKD – MVG.EKD 2013 111
Auch durch das MVG.EKD 2003 wurde das Bestreben, einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren offenbar noch nicht befriedigt. Bereits kurz nach dem Inkrafttreten gab es Überlegungen, wie die Sanktionsmöglichkeiten für die Rechte der Mitarbeitervertretungen verbessert werden könnten 112. Insbesondere wurde auch darauf verwiesen, dass bei groben Pflichtverletzungen zwar die Auflösung der Mitarbeitervertretung und der Ausschluss von Mitgliedern vorgesehen sei (§ 17 MVG.EKD 2003), bei vergleichbaren Verstößen der für den Dienstgeber handelnden Personen aufgrund der bestehenden Rechtslage aber allenfalls die gerichtliche Feststellung erwirkt werden könne, dass ein Handeln oder Unterlassen grob den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 33 MVG.EKD verletze. Die fehlenden Sanktionen für Dienstgebervertreter bestätigten damit die Notwendigkeit von Vollstreckungsmöglichkeiten 113. Der Rechtsschutz wurde trotz seiner ständigen Fortentwicklung weiterhin als ineffektiv kritisiert. So resümiert Schliemann als Präsident des KGH.EKD noch im Jahre 2012: „Störend ist indessen, dass es in beiden Kirchen keine hinreichenden Mittel der zwangsweisen Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen gibt. Die zur Verfügung stehenden Durchsetzungsmittel sind schlicht nur solche der Rechtsaufsicht, zuweilen angereichert mit einem Zwangsgeld in sehr überschaubarer Höhe“ 114. Damit nimmt er Bezug auf die mit „Vollstreckungsmaßnahmen“ überschriebene Vorschrift des § 53 III KAGO, nach der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Geldbuße bis zu 2500,00 Euro verhängt werden kann. Obwohl auch diese Regelung bereits durchaus kritisch gesehen wurde 115, entschloss sich der kirchliche Gesetzgeber, den Rechtsschutz im MVG.EKD 2013 nach dem katholischen Vorbild zu „ergänzen“, weil sich diese Regelung nach Bewertung der Katholischen Kirche und der Caritas bewährt habe 116. Nach § 63 a I MVG. EKD 2013 kann das Kirchengericht angerufen werden, wenn ein Beteiligter, der zu einer Leistung oder Unterlassung verpflichtet wurde, nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses die Verpflichtungen erfüllt hat. Stellt das Kirchengericht auf Antrag eines Beteiligten fest, dass die Verpflichtungen nach Absatz 1 nicht erfüllt sind, kann es ein Ordnungsgeld bis zu 5000 Euro verhängen (63 a II MVG.EKD 2013).
VIII. Zusammenfassung und Ausblick
In der Weimarer Republik waren die Kirchen trotz der ihnen durch Art. 137 III WRV eingeräumten weitgehenden Autonomie in Angelegenheiten der Selbstverwaltung ohne Einschränkung an das staatliche Betriebsverfassungsrecht gebunden. Damit standen im kirchlichen Bereich für etwaige Streitigkeiten zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem „Betriebsrat“ dieselben rechtlichen Instrumentarien zur Verfügung wie den Betriebsparteien in den säkularen Betrieben.
Der Nationalsozialismus beseitigte durch Aufhebung der Weimarer Reichsverfassung den Sonderstatus der Kirchen und eliminierte mit dem geltenden Betriebsrätegesetz jegliche Mitbestimmungsrechte. Diese Zeit führte in der Kirche zu der Erkenntnis, dass sie auf dem uneingeschränkten Recht bestehen müsse, den kirchlichen Dienst in freier, ihren Wesensgesetzen entsprechenden Selbstverantwortung zu regeln.
Diese Erkenntnis führte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, das den Kirchen wieder den verfassungsrechtlichen Sonderstatus einräumte (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV), und ihrer Freistellung von der staatlichen Gesetzgebung im Bereich des Betriebsverfassungsrechts (vgl. § 118 BetrVG, § 112 BPersVG), zu einer wegen der föderalen Strukturen der evangelischen Kirche nur allmählichen Ausbildung eines autonomen Mitarbeitervertretungsrechts. Stand zunächst vor allem das Bestreben nach Vereinheitlichung im Vordergrund, so bildete ab Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts der Ausbau des gerichtlichen Rechtsschutzes immer mehr den Schwerpunkt. Der kirchliche Gesetzgeber suchte damit nicht nur einem Anliegen der eigenen Mitarbeiterschaft 117, sondern auch Kritik von außen 118zu entsprechen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass im Mitarbeitervertretungsrecht ein Rechtsschutz gewährleistet sein muss, bei dem die Rechtsdurchsetzung keine „Nebensache“ sein darf 119.
Es kann davon ausgegangen werden, dass hierzu die Einbeziehung der Einrichtungen der Diakonie in den Geltungsbereich des MVG.EKD wesentlich beigetragen hat 120.
32 So Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1.
33 Allgemein zur Historie des Mitarbeitervertretungsrechts und insbesondere zur Entstehung des MVG. EKD: Fey/Rehren, MVG.EKD, Einl. Rn. 22-28.; Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21-23; Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 73-105; Richardi, Atbeitsrecht in der Kirche, § 19 Rn. 1-9; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1-31.
34 RGBl 1920, S. 147.
35 Ob das geltende Betriebsverfassungsrecht damals als „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ angesehen wurde, wird in der ausführlichen Untersuchung von Bauersachs offengelassen (Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 13).
36 Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 14; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn. 4. Nach Schielke wurde in kirchlichen Einrichtungen niemals ein Betriebsrat errichtet (Das Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 62).
37 So Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn.4. Nach § 10 II Nr.2 BRG zählten nicht zu Arbeitnehmern i.S.d. Gesetzes „Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern mehr durch Rücksichten der körperlichen Heilung, der Wiedereingewöhnung, der sittlichen Besserung und Erziehung oder durch Beweggründe charitativer, religiöser, wissenschaftlicher oder künstlerischer Art bestimmt wird.“
38 Nach §1 und § 2 BRG „sind“ Betriebsräte bzw. „ist“ ein Betriebsobmann zu wählen. Deshalb durften nicht nur (so Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung, S. 42), sondern mussten nach dem BRG Betriebsräte gewählt werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorlagen.
39 Vgl. hierzu Schatz, Arbeitswelt Kirche, S. 34. Nach §§ 66 BRG hat der Betriebsrat die Betriebsleitung durch seinen Rat zu unterstützen, an der Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitzuarbeiten, den Betrieb vor Erschütterung zu bewahren, für die Arbeitnehmer gemeinsame Dienstvorschriften im Rahmen der geltenden Tarifverträge zu vereinbaren, das Einvernehmen innerhalb der Arbeitnehmerschaft sowie zwischen ihr und dem Arbeitgeber zu fördern, für die Wahrung der Vereinigungsfreiheit einzutreten, Beschwerden entgegenzunehmen und auf ihre Abstellung hinzuwirken. Nach § 78 BRG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die im Betrieb geltenden gesetzlichen und tarifvertraglichen Vorschriften durchgeführt werden.
40 Zur Gründung eines Bezirkswirtschaftsrates ist es im Geltungszeitraum des BRG nicht gekommen. „Der SchlA. ist ein unter Mitwirkung der sozialen Selbstverwaltungskörper, (vgl. Art. 165 letzter Absatz der Reichsverfassung) gebildetes (§§ 15 der VO über Tarifverträge usw. vom 23. Dezember 1918) Verwaltungsorgan [ …]. Die Entscheidungen des SchlA. sind demnach reine Verwaltungsakte“ (RG, Urteil v. 16.2.1923 – III 182/22, RGZ 106, 242 ff., 243). Das Schlichtungsverfahren wurde in der VO über das Schlichtungswesen v. 30.10.1923 (RGBl 1923 I, 1043, nachfolgend: VO) neu geregelt. Danach wurde zunächst ein paritätisch besetzter Schlichtungsausschuss unter einem unabhängigen Vorsitzenden auf Anrufung hin oder von Amts wegen tätig, um beim Abschluss von Gesamtvereinbarungen (Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen) Hilfe zu leisten (§ 3 VO). Gelang dies nicht, war unter einer mit einem unabhängigen Vorsitzenden und im Übrigen paritätisch mit Beisitzern besetzten Schlichtungskammer zu verhandeln. Wurde auch hier keine Einigung erzielt, unterbreitete die Schlichtungskammer einen Vorschlag (Schiedsspruch), wenn ihn beide Teile annahmen (§ 5 VO). Wurde er nicht angenommen, konnte er für verbindlich erklärt werden, wenn die in ihm getroffene Regelung bei gerechter Abwägung der Interessen beider Teile der Billigkeit entsprach und die Durchführung aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen erforderlich war. Für die Verbindlichkeitserklärung war der Schlichter zuständig, in dessen Bezirk der Geltungsbereich der vorgeschlagenen Gesamtvereinbarung lag (vgl. § 6 VO).
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