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Pünktlich um 17 Uhr betrat Frank Hattinger die Anstalt. Er gab dem Pfortenbeamten sein Handy, aus dem er zuvor alle SMS und WhatsApp-Nachrichten gelöscht hatte. Die Schweizer Nummer hatte er sich auf einem Geldschein notiert, den er zwischen die anderen in sein Portemonnaie gesteckt hatte. Aus der Schweiz hatte sich niemand mehr gemeldet. Und die Nachricht, die er im Darknet auf einem Marktplatz hinterlassen hatte, war unbeantwortet geblieben. Man brachte ihn in den Nebenraum, damit ein anderer Kollege ihn abtasten konnte. Er war zufrieden, für den ersten Freigang war alles nach seinem Geschmack gelaufen. Dank Thomas Enders hatte er nun wirklich Freigang.
Er setzte sich auf eine Bank und wartete. Am nächsten Tag wollte er gleich richtig loslegen. In den Chatrooms wäre es für ihn ein Leichtes, einen süßen Kerl zu finden, mit dem er die nun gewonnene Freiheit feiern konnte. Obwohl er vor seiner Inhaftierung ab und an Sex mit Frauen gehabt hatte, war dies nach seiner Tat für ihn kein Thema mehr. In seinem Kopf arbeitete es. Was hatte die SMS zu bedeuten? Die Minuten schlichen dahin. Endlich kam ein Beamter und holte ihn ab. Er durchsuchte ihn nur oberflächlich, weder durchsuchte er die Taschen der Jeans noch tastete er ihn ordentlich im Schritt ab. In der Kammer erhielt er seine Knastklamotten, und um 17.30 Uhr war er wieder auf der Station II5. Langsam und ängstlich schlich Carlos Ribeiro sichtlich nervös auf ihn zu. Er knetete seine Hände, und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Vorsichtig sah er sich um und flüsterte:
»Das Dope wurde heute gefunden.«
»Scheiße, dann hast du nun nichts zum Drücken.« Hattingers Miene blieb wie versteinert.
»Ja, aber hoffentlich finden die nicht raus, wem das Zeug gehört.« Ribeiro fing hektisch an, seinen Oberkörper zu kratzen, und fuhr sich durch seine lockigen schmierigen Haare.
»War das Zeug in meinen Schuhen bei dem Kurz in der Hütte?«
»Ja, klar. So, wie du gesagt hast.«
»Dann gibt es kein Problem. Ich melde meine Schuhe als geklaut. Die wurden mir nach dem letzten Sport aus meiner Tasche genommen, als ich unter der Dusche stand. Der Kurz geht nicht zum Sport und hat nichts mit Drogen am Hut. Ich bin kein Junkie. Da dürfen die erst mal Rätselraten. Jedoch wenn du hier weiter so ’nen Affen schiebst, dann können die drei und drei zusammenzählen und nehmen dich in die Mangel. Halte dann ja die Fresse, du weißt, was sonst passiert.« Hattinger sah Ribeiro durchdringend an.
»Mach dir keine Sorgen. Ich kann schweigen.« Ribeiro schleppte sich mit hängenden Schultern zu seiner Zelle. Als Hattinger sich umdrehte, entdeckte er Hausarbeiter Savic, der etwa drei Meter entfernt bewegungslos auf einem Stuhl saß und zwar in eine andere Richtung blickte, aber garantiert das Gespräch mitverfolgt hatte.
»Und du hältst schön das Maul, sonst wird es hier ungemütlich für dich.« Hattinger ging zwei Schritte auf ihn zu und baute sich vor ihm auf.
»Ich weiß nicht, von was du redest. Was willst du von mir?« Savic setzte seine Unschuldsmiene auf.
»Du hast mich schon verstanden.« Hattingers Blick durchbohrte ihn.
»Jaja, alles klar.« Savic konnte drei und drei zusammenzählen. Er war Hattinger ganz klar körperlich unterlegen und trollte sich.
Als Hattinger seine Zelle betrat, sah er auf den ersten Blick, dass jemand den Raum durchsucht hatte. Siegessicher setzte er sich hin und nahm sich ein Formular. Wie es für ihn üblich war, richtete er seine Anliegen stets an den für ihn zuständigen Beamten in der JVA, Anstaltsleiter Richard Meurer. Hiermit melde ich meine Nike Turnschuhe Gr. 43 als gestohlen. Frank Hattinger. – Die Schweizer SMS ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Mittwoch, 5. September
Er war zu weit gegangen, verdammt noch mal. Dirk Herzberg saß zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch. So fühlte es sich also an, wenn die Welt unter einem zusammenbrach. Die Fahrt in die Schweiz hatte bisher auch nicht das Ergebnis gebracht, das er sich erhofft hatte. Vor diesem Augenblick hatte er sich immer gefürchtet. Alles zu verlieren, für das er jahrelang gekämpft hatte. Dabei sah bis vor einem Jahr alles noch so gut aus. Er hatte mit Investments ein stattliches Vermögen aufgebaut. Es schien wie von selbst zu laufen, und so wurde er immer mutiger und leider auch leichtsinniger. Der Spruch Gier frisst Hirn traf leider auch auf ihn zu. Anstatt mit sicheren Investitionen weiter langsam voranzukommen, wollte er den ganz großen Wurf auf einmal. Eine Rendite von 20 Prozent lockte ihn, einen großen Teil seines Vermögens in Aktien zu investieren, die ihm ein guter Freund und angeblicher Insider an der Börse empfohlen hatte. Es kam, wie es kommen musste, die Insiderinformationen erwiesen sich als falsch, und die Aktie stürzte ins Bodenlose. Er verlor innerhalb weniger Tage fast sein gesamtes Vermögen. Die Schmach, diesen Verlust vor seiner Frau, die zeitgleich ihrem unternehmerischen Höhepunkt entgegenstrebte, zuzugeben, kostete ihn eine Menge Überwindung. Aber er musste es tun, die Leasingfirma seines Mercedes hatte die überfälligen Raten bereits dreimal angemahnt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann der Wagen abgeholt wurde.
Susanne hatte den Ernst der Lage nicht erkannt, denn sonst hätte sie ihn nicht mit Urlaubsplänen behelligt, aber wie sollte sie auch verstehen, wie das war, wenn man am Abgrund stand. Der Schweiß lief ihm in Bächen den Rücken runter. Seinen Angestellten hatte er bereits vor Wochen gekündigt, jedoch rief der eine oder andere noch an und erinnerten ihn an die offene Lohnzahlung. Freunde aus seiner Studentenzeit, darunter sein Freund Michael, hatten ihm vertraut. Es war zum Verzweifeln. Sie alle hatten viel Geld verloren. Zum Golfplatz nach Groß-Zimmern traute er sich nicht mehr. Der heiße Tipp seines »Insiders« hatte auch den einen oder anderen Golffreund schmerzlich getroffen. Irgendwie musste er schleunigst an Geld kommen.
Susanne war tief getroffen. Es war das erste Mal gewesen, dass Dirk dermaßen ausfällig geworden war. Sie musste sich setzen. Seit über fünf Jahren kannte sie nur einen charmanten, aufmerksamen und äußerst kultivierten Dirk, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas. Er musste wirklich in großen Schwierigkeiten stecken, anders war seine Reaktion nicht zu erklären. Seit einiger Zeit war er oft mürrisch und schnell gereizt. Als sie seine finanziellen Schwierigkeiten einmal zum Thema machen wollte – sie hätte ihn leicht unterstützen können – wies er sie mit den Worten:
»Da wir Gütertrennung vereinbart haben, gehen dich meine finanziellen Sorgen nichts an«, brüsk zurück. Danach sprach sie das Thema nicht mehr an. Dieser Angriff jedoch am Telefon war eindeutig zu viel für sie. Egal, welche Schwierigkeiten er hatte, es gäbe ihm nicht das Recht, so mit ihr zu reden. Sollte er ruhig in Darmstadt bleiben, sie würde mit Katie einige Tage auf der Insel Usedom verbringen. Ein wenig frische Luft und Erholung hatte sie sich wahrlich verdient. In ihrem Telefonbuch war die Nummer des Grand Hotels in Heringsdorf gespeichert, mit ein wenig Glück würde sie morgen ihr Abendessen auf der wunderschönen Terrasse einnehmen und den Sonnenuntergang genießen. Abstand würde ihr und Dirk sicher guttun. Sie nahm ihr Handy zur Hand und wählte die Telefonnummer des Hotels, als ihre Sekretärin mit der Unterschriftenmappe in ihr Büro trat. Frau Krüger erwähnte die verbale Attacke ihres Mannes mit keiner Silbe, aber an ihrem Gesicht konnte Susanne sehen, dass sie alles gehört hatte. Sie hing mit ihrem Telefonat in der Warteschleife und sagte zu Frau Krüger, die gerade wieder das Büro verlassen wollte:
»Gut, dass Sie mich an Usedom erinnert haben, die ganze Zeit wollte ich schon buchen, aber ständig kam etwas dazwischen. Können Sie bitte die Damen und Herren der Marketingabteilung informieren, dass das Meeting am Freitag ausfällt. Ich denke, wir alle haben die letzten Wochen genug geschuftet und können die Sitzung verschieben. Ich bringe heute noch die wichtigsten Sachen zu Ende, und morgen früh fahre ich direkt los.«
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