»Ist er schon einmal wegen Drogen aufgefallen?« Gerber sah Maria fragend an.
»Nicht, dass ich wüsste, aber er ist in letzter Zeit sehr nervös, ich habe ihn die letzten Tage beim Einrücken von der Arbeit reden hören. Er spricht ohne Punkt und Komma. Früher war er eher zurückhaltend, scheinbar hat er Stress.« Maria schnappte sich die Schuhe, und gemeinsam verließen sie die Zelle.
»Na, dann schreibe bitte den Bericht. Ich lasse den Kurz von der Arbeit holen. Wir treffen uns in meinem Büro, mal sehen, was er uns zu erzählen hat.« Mit diesen Worten machte Jan Gerber auf dem Absatz kehrt und ging über den Stationsflur in Richtung Büro. Maria verschloss noch die Zellentür und folgte ihm. An der Stationstür angekommen sagte sie: »Das ist ’ne arme Socke, ich denke, den haben sie hier unter Druck gesetzt.« Maria blickte nachdenklich auf den Turnschuh.
»Da kannst du recht haben, aber ich will wissen, wer ihn unter Druck setzt.« Gerber steckte das Herointütchen in die Brusttasche seines Hemdes und lief die Treppe runter zu seinem Büro.
Eine Viertelstunde später saß Kurz im Büro von Jan Gerber. Der Sicherheitsdienstleiter betrachtete ihn genauer. Ein kleines Männlein, etwa ein Meter 60 groß und schmächtig, seine dünnen Ärmchen sahen aus, als würden sie bei der geringsten Anstrengung zerbrechen. Auf seinem Vollstreckungsblatt, eine Din A4 Seite, auf dem der Grund der Inhaftierung und eventuelle Vorstrafen vermerkt waren, stand nur die derzeitige Haftstrafe: wiederholtes Fahren ohne Führerschein unter Alkoholeinfluss, was ihm zwei Jahre ohne Bewährung einbrachte. Der Gesichtsausdruck von Kurz sprach Bände, er ahnte, weshalb er im Büro des Sicherheitsdienstleiters saß. Sein Blick war nach unten gerichtet, und er knetete nervös seine Finger.
»Also, Herr Kurz«, begann Gerber, seine Stimme war freundlich. »Frau Saletti hat dieses Tütchen mit Heroin in einem Ihrer Sportschuhe gefunden.« Jan hielt die Drogen direkt vor seine Nase. Kurz blickte auf, seine Augen flatterten hektisch hin und her.
»Das kann nicht sein«, sagte er, »ich nehme keine Drogen.« Die letzten Worte waren kaum zu verstehen. Gerber hob den Sportschuh hoch und fing gerade an, die Sohle herauszunehmen, als Kurz rief: »Das ist nicht mein Schuh!«
Maria und Jan blickten sich an.
»Aha, und wessen Schuh ist das dann, in Ihrer Zelle?«, fragte Maria.
»Weiß ich nicht, aber der sieht auch viel zu groß aus für mich.« Kurz hatte rote Flecken am Hals und schluckte nervös.
»Wenn das nicht Ihr Schuh ist, warum ist er dann in Ihrer Zelle?« Gerber sah Kurz durchdringend an.
»Ich kenne diesen Schuh gar nicht. Ich habe Schuhgröße 40 und der ist mindestens 43, das sieht man doch.« Kurz wurde langsam sicherer, seine Stimme wurde fester.
»Nun gut, Herr Kurz«, fuhr Gerber fort, »wir nehmen das mal so zu Protokoll.«
»Aber wo sind dann Ihre Sportschuhe? Ich habe nur dieses eine Paar in Ihrer Zelle gefunden.« Maria stand direkt vor Kurz. Der kleine Mann musste seinen Kopf in den Nacken legen, um Maria in die Augen zu blicken.
»Ich habe keine Sportschuhe, oder sehe ich aus, als ob ich hier unten in die Muckibude gehe?« Kurz schob den kurzen Ärmel der Arbeitsjacke nach oben, damit man seine Spatzenärmchen in voller Pracht sehen konnte. Ein erleichtertes Lächeln huschte über sein Gesicht. Er war sich sicher, man konnte ihm nichts nachweisen.
Eine Wespe flog gerade geräuschvoll von innen an die Fensterscheibe des Büros, sie hatte das offene Fenster nur um einige Zentimeter verfehlt. Karl-Heinz Kurz lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie Maria ein Glas aus dem Regal nahm und es über das brummende Tier stülpte.
»Sie dachte, sie wäre frei, dabei habe ich sie in der Hand«, sagte Maria und schob ein Blatt Papier unter das Glas. Die Wespe war gefangen.
»Also gut«, sagte Gerber, »dann bringt Sie ein Kollege mal wieder zu Ihrem Arbeitsplatz.«
Als Kurz das Büro verlassen hatte, sahen Jan und Maria enttäuscht aus dem Fenster.
»Für wen bunkert der das Dope, das ist hier die eigentliche Frage.« Gerber kratzte sich hinter dem rechten Ohr.
»Das werde ich noch herausfinden.« Sie betrachtete den Schuh genauer, ein Nike Basketballschuh Größe 43. »Irgendwer wird ihn sicher die Tage vermissen. Mal sehen, wer in seiner Zelle keine Turnschuhe hat.«
»Da hast du ja was vor.« Gerber ließ das Plastikrollo am Fenster runter. Ein verzweifelter Versuch, die Affenhitze im Büro ein wenig zu mildern. Die Luft war heiß, es war kaum auszuhalten. Maria ging zum Waschbecken und ließ kaltes Wasser über ihre Unterarme laufen. Dies brachte ein wenig Abkühlung. Die Wespe kämpfte im Glas um ihr Leben, bis Maria zum Fenster ging, das Glas durch das Gitter aus dem Fenster hielt und sie in die Freiheit entließ.
»Aber das Heroin haben wir. Vielleicht wird Kurz, wenn er nicht liefern kann, so unter Druck gesetzt, dass er bei uns freiwillig auspackt.« Jan Gerber setzte sich an seinen Computer und begann, seinen Bericht für die Kripo zu schreiben.
Maria sah aus dem Fenster und beobachtete die Mauersegler, die schreiend ihre Kreise immer an den Gefängniswänden entlang zogen. »Wenn ich logisch überlege, kommen nicht viele Gefangene für das Heroin infrage. Eigentlich nur die Russen, oder?«
Gerber war ganz in seinen Text vertieft und hatte Maria nur halb zugehört. Ohne aufzusehen sagte er: »Ja, aber die Russen, das weißt du selbst, bunkern nicht bei Nichtrussen.«
»Stimmt, also sagen wir mal, die scheiden aus. Wer konsumiert noch Heroin?« Maria sah im Geiste einige Gefangene ihrer Station. War ihr da schon einer aufgefallen?
»Am besten, du gehst die Vollstreckungsblätter durch, wer wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz einsitzt. Oder aber du siehst dir die Herren genauer an. Wer könnte auf Heroin sein? Vielleicht hat dann einer noch Schuhgröße 43, dann sind wir dem Ganzen schon näher.«
»Oh, Mann. Ich glaube, der Kurz hat soeben überhaupt nicht begriffen, dass er nun ein echtes Problem hat.« Maria griff sich die Wasserflasche, die auf dem Tisch stand und goss sich ein großes Glas ein.
»Ja, er dachte, wir wären sein Problem. Dabei bekommt er bestimmt mit demjenigen Stress, dem das Heroin gehört.«
Susanne Herzberg hatte den gesamten Vormittag mit ihren Angestellten die Einführung einer neuen Anti-Aging-Creme geplant. Marketing war in der heutigen Zeit fast noch wichtiger als das eigentliche Produkt. Wie konnte sie die Kundinnen von der neuen Creme überzeugen? Nach und nach spürte sie immer stärker werdende Kopfschmerzen, und auch ihr Nacken war total verspannt.
»Also, ich denke, für heute machen wir Schluss. Wenn jemand noch eine gute Idee hat, kann er sie mir mailen oder bis Freitag zu Papier bringen, wir treffen uns hier um 9 Uhr. Alles klar?« Susanne sah fragend in die Runde. Ein Raunen ging durch den Raum. Alle Anwesenden waren mindestens so abgekämpft wie sie selbst. Die Hitze des Sommers war kaum zu ertragen. Seit Monaten war kein Tropfen Regen gefallen, und das Thermometer kletterte beständig über 30 Grad, da wurde selbst die robusteste Natur schwach. Obwohl Tag und Nacht die Klimaanlagen liefen, waren die Räume aufgeheizt und stickig. Susanne stand auf, sofort war Katie an ihrer Seite und trottete neben ihr her durch den langen Flur zu ihrem Büro. Frau Krüger, ihre Vorzimmerdame und der Fels in der Brandung, hatte die eingegangene Post bereits für sie bereitgelegt.
»Gibt es etwas Wichtiges in der Post?« Susanne stand am Kühlschrank und holte eine Flasche Wasser heraus.
»Nein, ein paar Rechnungen, aber sonst nichts von Bedeutung. Im Moment ist es ja angenehm ruhig, viele sind im Sommerurlaub. Sagen Sie, fahren Sie dieses Jahr denn nicht an die Ostsee? Die Hitze ist dort sicherlich besser zu ertragen. Die letzten Jahre waren Sie immer um diese Zeit dort.« Frau Krüger richtete bei diesen Worten den kleinen Tischventilator direkt auf ihr Gesicht.
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