1Die Beziehung zwischen Journalisten und Politikern sei „adversarial one moment and symbiotic the next“, schreiben Nielsen und Kuhn (2014, S. 14). Die Autoren weisen außerdem darauf hin, dass Politiker die Nähe zu Medieneigentümern und Journalisten suchen, um die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen.
2Kepplinger (2000, S. 39) bemerkte, dass sich die Sichtweisen von Journalisten besonders in Krisen und Konflikten weit von den Sichtweisen der fachlich ausgewiesenen Experten und der verfügbaren Statistiken entfernen. Er begründet dies damit, dass Journalisten sich am Verhalten der Kollegen orientieren. Aufgrund der Zirkularität des Prozesses ist die Berichterstattung in solchen Situationen eher ein Echo der vorangegangenen Beiträge als eine Reaktion auf das aktuelle Geschehen.
3Jay G. Blumler und Michael Gurevitch (1995, S. 3) diagnostizierten in ihrem Buch „The Crisis of Public Communication“ Mitte der 1990er Jahre: „Over the past quarter of a century, the media have gradually moved from the role of reporting on and about politics, ‚from the outside“ as it were, to that of being an active participant in, shaping influence upon, indeed an integral part of, the political process.“
4Der ursprünglich geplante Test der instrumentellen Aktualisierung beruhte auf der Annahme, der Konflikt, dessen Höhepunkt zwischen 2010 und 2012 war, würde sich während der Studienplanung im Jahr 2014 fortsetzen. In den folgenden Jahren schwelte der Konflikt um die Staatsverschuldung zwar, er wurde jedoch überlagert von anderen Themen, die die öffentliche Wahrnehmung dominierten. Dazu gehörten u.a. der Krieg in der Ostukraine, Terror im Irak, in Afghanistan und Somalia, der Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Die grundlegende Voraussetzung für einen Test der instrumentellen Aktualisierung, die Messung der Konfliktsicht von Journalisten auf dem Höhepunkt eines Konflikts, war damit nicht gegeben.
5Insgesamt wurden 3.200 Journalisten um die Teilnahme an der Befragung gebeten. Davon haben 316 Journalisten den Fragebogen vollständig ausgefüllt: 142 italienische, 130 deutsche, aber nur 15 britische, 17 französische und 11 spanische Journalisten. Für die spanischen Journalisten gab es kein umfangreiches Auswahlverzeichnis, sodass in der ersten Welle nur ca. 250 Journalisten angeschrieben wurden. In der zweiten Welle wurden die Chefredakteure der ausgewählten Zeitungen gebeten, den Fragebogen an die Politik- und Wirtschaftsjournalisten in der Redaktion weiterzuleiten. Auch diese Behelfsmaßnahme erwies sich als nicht erfolgreich.
2 Berichterstattung und Bevölkerungsmeinung zur Eurokrise
Ausgehend von der Bankenkrise im Jahr 2008/09, entstand auch eine Krise der Realwirtschaft. Die Entwicklung der Staatsschulden wurde zu einer handfesten Krise, die den Euro als Gemeinschaftswährung in Frage stellte. Bedingt durch den Binnenmarkt und enge Verflechtungen der Volkswirtschaften, betraf die Eurokrise alle Staaten der Europäischen Union, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Im Verlauf der Krise wurden unterschiedliche nationale Interessen und historisch gewachsene Einstellungen zum Verhältnis von Staat und Markt deutlich. 6Arrese und Vara benannten vier Charakteristika der Krise: Sie sei erstens neuartig und komplex, zweitens international und national, drittens vielschichtig und systemisch, zudem habe sie viertens technische und populäre Elemente (Arrese und Vara 2015, S. 150). Aufgrund der immensen Komplexität der Krise, ihrer Ursachen, Akteure und Lösungsmöglichkeiten stellte sie hohe Anforderungen an Journalisten: Wie vermittelt man Informationen an die Bürger und wie geht man mit Unsicherheit um? Die Eurokrise erfüllte alle Merkmale, die eine besondere Aufmerksamkeit und Behandlung von europäischen Journalisten rechtfertigen. Sie war verbunden mit einer signifikanten Krise, die nicht nur alle europäischen Staaten betraf. Sie hatte Auswirkungen auf die Zukunft der betroffenen Länder, auf die Zukunft des europäischen Projekts und auf die Beziehungen der Länder untereinander. Informationen zur Eurokrise waren meistens angereichert mit Konflikt- und Leidens-Elementen, die es für Journalisten besonders interessant machten (Salgado et al. 2015, S. 104).
2.1 Die Eurokrise in der Berichterstattung
Eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung zur Eurokrise in zehn europäischen Ländern wurde von Forscherteams aus diesen Ländern durchgeführt (Picard 2015). 7In jedem Land wurden vier Zeitungen untersucht: die führende Wirtschaftszeitung, eine liberale und eine konservative Zeitung sowie eine Boulevardzeitung. Die Analyse erfasste 11 kritische Zeitpunkte 8, die als zentrale Ereignisse zwischen Februar 2010 und Juli 2012 identifiziert wurden. Insgesamt wurden 13.718 Artikel untersucht, davon 2.280 Artikel aus deutschen Zeitungen und 1.894 Artikeln italienischer Zeitungen (Nienstedt et al. 2015, S. 23). Die wichtigsten Themen der Berichterstattung waren – alle Länder zusammen betrachtet – die Opfer der Eurokrise, Verantwortlichkeit, kurzfristige und langfristige Maßnahmen zur Lösung und Konsequenzen der Krise. Die Ursachen der Krise spielten in der Berichterstattung eine untergeordnete Rolle (Nienstedt et al. 2015, S. 24). Sie wurden in deutschen Medien (36 Prozent) doppelt so häufig thematisiert wie in italienischen Medien (18 Prozent). Als häufigste Ursache wurde in beiden Ländern die nationale Wirtschaftspolitik genannt. In der italienischen Berichterstattung folgte an zweiter Stelle das Fehlverhalten privater Finanzakteure und an dritter Stelle die Struktur des Eurosystems. In der deutschen Berichterstattung wird dies ähnlich gesehen, lediglich die Struktur des Eurosystems wurde seltener als Krisenursache identifiziert (Nienstedt et al. 2015, S. 24–28). Ein grundlegender Unterschied zwischen der Berichterstattung beider Länder zeigte sich in der Thematisierung von schädlichen und nützlichen Aspekten des Euros. In der deutschen Berichterstattung wurde der Nutzen des Euro doppelt so oft hervorgehoben wie der Schaden, in der italienischen wurde dagegen fünfmal so oft der Schaden durch die Gemeinschaftswährung thematisiert (Nienstedt et al. 2015, S. 25). Auch bei der Thematisierung von Nutznießern und Opfern der Krise wurden die national-zentrierte Perspektive und die polarisierende Gegenüberstellung deutlich: Deutschland war laut Darstellung der Medien Nutznießer der Krise – Italien, Griechenland und Spanien waren Opfer. In der deutschen und der italienischen Berichterstattung wurde die Verantwortung für die Bewältigung der Krise den Mitgliedern der EU/Eurozone als Gruppe und supranationalen Organisationen zugeschrieben.
Zur kurzfristigen Lösung der Krise wurden in der Hälfte aller Artikel Kredite von Eurostaaten und der Europäischen Zentralbank genannt. Deutschland und Italien unterschieden sich hierbei nicht. Wenn Kredite vorgeschlagen wurden, dann wurde in 58 Prozent der Artikel nach Krediten von anderen Ländern verlangt – mit Supervision. 9Sparmaßnahmen wurden mit 21 Prozent doppelt so häufig thematisiert wie Wachstumspolitik mit 11 Prozent. Bei Sparmaßnahmen gab es keinen Unterschied (16 vs. 17 Prozent), allerdings wurde Wachstumspolitik lediglich in acht Prozent der deutschen, jedoch in 13 Prozent der italienischen Artikel thematisiert. Weniger als im Durchschnitt war ein möglicher Schuldenschnitt in beiden Ländern Gegenstand der Berichterstattung (sieben vs. fünf Prozent).
In gut der Hälfte der Artikel, die langfristige Lösungsmaßnahmen thematisierten, wurden nationale Strukturreformen angesprochen. In der italienischen Presse war der Anteil mit 39 Prozent geringer als in Deutschland mit 56 Prozent. Mehr Macht / Zuständigkeiten für die Europäische Union wurde in 18 Prozent der deutschen und 21 Prozent der italienischen Artikel für die langfristige Krisenlösung diskutiert. Ein großer Unterschied bestand in der Nennung eines Auseinanderbrechens der Eurozone: Weniger als jeder zehnte deutsche Artikel, aber jeder fünfte italienische Artikel thematisierte dies. Die italienische Presse thematisierte ein Auseinanderbrechen der Eurozone überdurchschnittlich häufig (Nienstedt et al. 2015, S. 36–37).
Читать дальше