„Sie werden sich mit diesem Buch in der Medienbranche keine Freunde machen.“
Informant, der anonym bleiben möchte
Auch wenn ich mich aufgrund besserer Lesbarkeit stets für die männliche Schreibweise entschieden habe, sind mit Bezeichnungen wie „Leser“ natürlich auch „Leserinnen“ gemeint.
Ich liebe den Beruf des freien Journalisten und kann mir derzeit keine schönere Arbeit vorstellen. Aber eines macht mich zunehmend stutzig: Lerne ich neue Menschen kennen, verspüre ich immer häufiger den Drang, meinen Beruf zu verschweigen. Wenn es sich allerdings nicht umgehen lässt, zähle ich innerlich bis drei, wobei ich meist gar nicht so weit komme.
„Den Medien kann man gar nicht mehr trauen.“ „Alles ist gekauft.“ „Du kannst doch überhaupt nicht frei arbeiten, weil es in Deutschland keine Pressefreiheit gibt!“ Sinngemäß sind es meist die gleichen Vorwürfe. Wenn ich gut gelaunt bin, steige ich kurz in die Diskussion ein, zeige auf, wo und warum auch in den Medien gelogen wird und verweise auf etliche hervorragende Sendungen, Zeitungen und Magazine. Manchmal werden meine Argumente beiseite gewischt, weil sie nicht in das Bild der allzeit bösen Medien fallen. Es kommt aber auch vor, dass ich gar nichts erwidere, weil ich einfach keine Lust auf ein solches Gespräch verspüre. Hinterher frage ich mich, ob ich richtig gehandelt habe. Stimme ich dann aus Sicht meines Gegenübers schweigend zu?
Auf der anderen Seite verkündet mir so mancher Gesprächspartner stolz, dass er keine „BILD“ kauft. Meist sieht er mich dann erwartungsvoll an und scheint förmlich darauf zu warten, dass ich ihm einen Orden an die Brust hefte. Einerseits vermeidet er Umsatz bei einem durchaus fragwürdigen Medium, andererseits fördert er mit keinem Cent den Journalismus, den er sich wünscht. Darauf hingewiesen schaue ich mitunter in verdutzte Gesichter.
Dann fragen mich auch junge Menschen, ob ich meinen Beruf weiterempfehlen kann – was mich in eine Zwickmühle bringt. Ja, es ist einer der tollsten Jobs in der Welt und ja, es ist mitunter frustrierend und hart. Ja, es lohnt sich durchaus, aber sei dir bewusst, dass du manchmal auch kämpfen musst.
Nun sitze ich am Schreibtisch in meinem Medienbüro und wieder gehen mir die Erlebnisse und Diskussionen durch den Kopf. Seit Jahren gewähre ich in meinem Medienblog „Der Freigeber“ 1Einblicke hinter die Kulissen der Medienwelt, zeige Zusammenhänge auf, gebe Einsicht in meine Arbeitsweise, in meinen Arbeitsalltag und verweise auf herausragende Projekte. Aber ich widme mich auch Missständen, wie in den Medien zu kurz kommenden Themen oder wo auch bewusst gelogen wird. Doch in mir keimt der Wunsch, tiefer zu gehen und weitere Hintergründe zu erfahren, warum ich in letzter Zeit ein zwiespältiges Verhältnis zu meinem Traumberuf habe.
So mancher Berufskollege rollt an dieser Stelle mit den Augen und denkt sich „Schon wieder einer, der etwas zu meckern hat. Ich tu doch schon mein Bestes. Was soll diese ständige Medienkritik? Was maßt sich dieser einzelne freie Journalist an, von dem ich noch nie etwas gehört habe?“ Mir geht es nicht darum, generell zu verurteilen oder Schuldige an den Pranger zu stellen. Vielmehr möchte ich versuchen, eine vermittelnde Rolle einzunehmen und, wo es möglich ist, auch Brücken zu bauen. Dazu muss ich jedoch offen Fragen stellen und auch unbequeme Wahrheiten ansprechen – womit sich (Qualitäts-)Journalismus gerne (und an einigen Stellen auch zurecht) rühmt. Wir wissen doch, dass unsere Branche nicht perfekt ist und in meinen Augen ist es ein großer Fehler, in der Öffentlichkeit ein anderes Bild zu zeichnen. Leser, Hörer und Zuschauer sind nicht immer so leichtgläubig, wie man annimmt.
In diesem Sinne möchte ich mit unserem Ausflug beginnen und hoffe, möglichst viele Antworten zu finden.
Jens Brehl
im Juni 2017
Mein Weg in den Journalismus
Hätte mir jemand erzählt, ich würde einmal den Beruf des Journalisten ergreifen, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Im Grunde hatte ich überhaupt keine Ahnung davon, wie Journalisten überhaupt arbeiten. Hätte man mir dann noch gesagt, dass ich einmal mehrere Bücher veröffentlichen werde, hätte ich mein Gegenüber endgültig für verrückt erklärt.
Tatsächlich bin ich mit dem Realschulabschluss in der Tasche völlig planlos in meine berufliche Zukunft gestartet, was ich aus heutiger Sicht erschreckend finde. Weder habe ich gewusst was mich interessiert, noch wo meine Stärken und Schwächen lagen. In einem dreiwöchigen Schulpraktikum hatte ich in einem medizinischen Labor reingeschnuppert und so dachte ich zunächst, ich möchte medizinisch-technischer Assistent werden. Allerdings war dies eine schulische Ausbildung, die ich mir nicht hätte leisten können – mein Vater machte mir deutlich, dass ich den Beruf zwar ergreifen könne, er mich aber nicht unterstützen würde. Heute bin ich froh darüber, denn auf Dauer hätte auch er mich nicht erfüllt.
Zudem war ich ein noch schlechterer Schüler als ich bislang glaubte. Zumindest, wenn ich meine Noten richtig interpretiere. Mein Abschlusszeugnis bescheinigt mir jeweils ein „Ausreichend“ in Deutsch, Mathematik und Informatik. Während ich im Fach Musik ebenfalls noch auf „ausreichend“ kam, reichte es bei Kunst nur für „mangelhaft“. Intelligent und kreativ war ich demnach nicht. Puh, so durchwachsen hatte ich meine Noten gar nicht mehr in Erinnerung.
Tatsächlich ging es mit meinen schulischen Leistungen im Laufe der Jahre immer weiter bergab. Die Scheidung meiner Eltern warf mich ein wenig aus der Bahn, ist aber nur eine lahme Ausrede. In Wahrheit interessierte mich die Schule kaum, weil mir alles viel zu theoretisch war. Wenn mir der Mathematik-Lehrer nicht erklären konnte, wofür ich diverse Formeln im Alltag benötigen würde, verlor ich augenblicklich das Interesse. Zudem habe ich meine Zeit lieber genutzt, um Blödsinn zu machen. An manchen Tagen hatte ich mehr Strafarbeiten als Hausaufgaben zu erledigen. Heute ist mir klar, dass mir alleine durch mein Abschlusszeugnis die Arbeitswelt keinesfalls zu Füßen lag. Dennoch war ich froh, endlich den Muff der Schule hinter mir lassen zu können. Ich habe mich sogar bei meinem letzten Gang vom Schulhof zu einer äußerst respektlosen Geste hinreißen lassen und zum Abschied auf den Boden gespuckt. Der Rüffel von meinem Vater hat mich in dem Augenblick nicht die Bohne interessiert.
Trotz meiner eher unterdurchschnittlichen schulischen Leistungen begann ich eine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerwirtschaft – ein kaufmännischer Beruf in der Fachrichtung Logistik. Mit meinem Zeugnis und meiner Bewerbung habe ich garantiert keine Begeisterungsstürme ausgelöst, aber Vitamin B war hilfreich. An den Inhalt meines Bewerbungsgesprächs erinnere ich mich nur verschwommen, denn die meiste Zeit habe ich geschwiegen und mein Onkel hat für mich gesprochen. Im Nachhinein fällt mir auf, dass ich niemanden für die Chance gedankt habe, die meinen Start ins Berufsleben überhaupt ermöglicht hat.
Die Lehre konnte mich nach ein paar Startschwierigkeiten durchaus begeistern und in der Berufsschule bekam ich beste Noten. Hier lernte ich endlich etwas, was ich auch in der Praxis umsetzen konnte. Aufgrund guter Leistungen verkürzte ich die Lehrzeit sogar um ein halbes Jahr. Doch als Geselle war ich alles andere als glücklich. So konnte ich mir kaum vorstellen, die nächsten zehn Jahre in der Abteilung zu arbeiten, in der ich nach bestandener Lehre gelandet war. Im Grunde war ich ziellos. Da ich damals leider mit niemandem offen über meine Probleme sprach und nicht wusste, wie ich Konflikte beilegen sollte, entschied ich mich zur Flucht. Eines Tages überraschte ich meine Vorgesetzten mit der Kündigung und machte mich augenblicklich im Vertrieb von Gesundheitsprodukten und Büchern selbständig. Allerdings entdeckte ich in meiner Lehrzeit eine ungeahnte Fähigkeit, die mir damals noch gar nicht bewusst war. Da ich verschiedene Abteilungen durchlaufen hatte und somit die Arbeitsweisen meiner Kollegen kannte, hatte ich Verständnis für deren Vorgehen. Andere meckerten oft, warum Abteilung A etwas so und nicht anders macht oder warum Kollege B unverständlich reagiert. In meinen Augen fehlten nur ein offener Informationsaustausch und die Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen. Das hätte viele Konflikte gelöst und die Zusammenarbeit reibungsloser gestaltet. Allerdings fehlten mir damals der Mut und die rhetorischen Fähigkeiten, um dies anzusprechen. Es sollte auch noch ein paar Jahre dauern, bis ich mich für Kommunikation und Journalismus interessierte.
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