Nachdem sich mein jugendlicher Leichtsinn ein wenig gelegt hatte, wurde mir klar, dass ich kaum meine Miete bezahlen konnte. Daher arbeitete ich als Minijobber im Elektroeinzelhandel und landete über die Zeitarbeit bei einem großen Telekommunikationsunternehmen. Gerade bei letzterem wurde ich zusehends unglücklicher und so hielt ich es hier auch nur zehn Monate aus. Zumindest hatte ich eins gelernt: Ich kann nicht als Angestellter arbeiten. Die meiste Zeit hatte ich das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort die falschen Dinge zu tun. Aber was war das Richtige?
Es folgten noch Jahre der Irrungen und Wirrungen, die mich allerdings auch auf den Weg in die Medienwelt brachten. So landete ich bei einem gerade gestarteten Online-Nachrichtenportal, mit dessen Herausgeber ich eng befreundet war. Als Hobby hatte ich neben meiner Ausbildung ab und an ein wenig geschrieben, aber nichts Berauschendes. Alles weit entfernt von journalistischer Qualitätsarbeit. Meist war ich für den Herausgeber honorarfrei tätig, da ich an den Erfolg des Projekts und der damit verbundenen späteren Vergütung glaubte. Zudem verband uns, wie ich damals annahm, eine wirklich tiefe Freundschaft und ja, ich schaute auch zu ihm auf. Im Grunde arbeitete ich für Kost und Logis. Man kann auch sagen, dass ich mich durch meine Naivität ausnutzen ließ. Nach und nach erkannte ich das fehlende Fachwissen meiner Kollegen, was ich mir selbst erst in den Folgejahren erarbeiten musste. Erst am Abgrund meiner finanziellen Existenz stehend, zog ich die Reißleine. Mittlerweile hatte ich etwa 15.000 Euro Schulden angehäuft und verfügte über keinerlei berufliche Perspektive.
Nach dem schmerzhaften Schlussstrich, bei dem „Freundschaften“ zerbrachen, es durchaus böses Blut und wüste Drohungen gab, suchte ich mir im Herbst 2007 eine Wohnung in meiner Geburtsstadt Fulda. Damals schrieb ich ab und an ein paar Artikel für Magazine und begleitete kleine Verlage oder einzelne Buchautoren in der Pressearbeit. Nun saß ich mit meinen wenigen Möbeln in meinem neuen Heimbüro und musste schleunigst Geld verdienen. Zum Glück wussten meine Vermieter nicht, dass ich mir im Grunde nur die nächsten beiden fälligen Monatsmieten leisten konnte. Heute lebe ich schon fast zehn Jahre hier und bin noch keinen Euro schuldig geblieben. Doch der Druck war gerade in der Anfangszeit enorm.
Aus der Not machte ich eine Tugend und eröffnete mein eigenes Medienbüro. Mehr schlecht als recht hielt ich mich mit kleinen Aufträgen über Wasser. Das änderte sich schlagartig, als ich eine Berufskollegin kennenlernte. Sie arbeitete frei in der Kommunikation für einen Konzern und holte mich mit an Bord. Als freie Mitarbeiter teilten wir uns die klassischen Agenturleistungen auf, wobei ich meist für Pressetexte zuständig war. Schlagartig schoss mein Verdienst in ungeahnte Höhen und finanzielle Sorgen waren passé. Auch mein Schuldenberg schmolz wie ein Eiswürfel in der Sonne. Allerdings plagten mich bald Gewissensbisse, da wir zwar nicht logen, aber manchmal auch nicht die ganze Wahrheit sagten. Durch den guten Verdienst konnte ich fast meine kompletten Schulden abbauen. Doch die Party war ab einem gewissen Punkt für mich vorbei.
Im Jahr 2008 durchlebte ich mehrere persönliche Krisen und Zusammenbrüche. Es fiel mir immer schwerer, mich zu konzentrieren. Bauchschmerzen wurden zu meinen ständigen Begleitern. Ich schlief zunehmend schlecht und fühlte mich ausgelaugt. Drei Krisen stand ich durch, indem ich mein Arbeitspensum weiter in die Höhe schraubte. Schließlich brauchte ich auch mehr Zeit, um Aufträge zu erledigen. Dabei reihte ich immer öfter einen (Anfänger-)Fehler an den nächsten. Es kam vor, dass ich den Inhalt eines Telefonats in der Sekunde vergaß, in der ich das Gespräch beendet hatte. Im Dezember dann das endgültige Aus – Diagnose: depressives Erschöpfungssyndrom, umgangssprachlich auch „Burnout“ genannt. Meine komplette Geschichte vom Zusammenbruch bis zur Genesung erzähle ich in meinem Buch „Mein Weg aus dem Burnout – Der Stress-Falle entkommen, Lebenskunst entwickeln“. 2
Als ich nach etlichen Monaten wieder an meine berufliche Zukunft denken konnte war klar, dass ich weiterhin als freier Journalist arbeiten möchte. Dazu musste ich allerdings neue Vorzeichen schaffen, denn ich wollte mich nicht noch einmal verbiegen. Daher wählte ich enkeltaugliches Wirtschaften, gesellschaftlichen Wandel und Medien als meine Themenschwerpunkte, da sie mich sehr interessieren. Schon immer steckte in mir ein kleiner Revoluzzer und ein Träumer, der die Welt ein kleines Stück besser machen wollte. Mit meiner PR-Arbeit für den Konzern hatte ich mich vom System fressen lassen. Daher nahm ich nur noch Aufträge an, hinter denen ich auch stehen konnte und bis heute hat sich daran nichts geändert. Mein Medienbüro stellte ich unter das Motto „Menschen inspirieren, Wandel gestalten, Beziehungen schaffen“, denn in meinen Augen sind das wichtige Aufgaben des Journalismus. Mit meiner Arbeit zeige ich neue Sichtweisen auf, lege den Finger in die Wunde, präsentiere mögliche Lösungen und bringe – wenn alles klappt – die Menschen ein Stück näher zusammen.
Im Sommer 2013 startete ich meinen Medienblog „Der Freigeber“ 3, um Einblicke in die Medienwelt zu geben, auf herausragende Projekte aufmerksam zu machen und dergleichen. Wenige Monate später folgte mein Blog „Brehl backt!“ 4, bei dem sich alles um Genuss mit gutem Gewissen, Bio-Lebensmittel, ökologische Landwirtschaft, leckere Rezepte und Bio-Nachrichten aus meiner Region dreht. Dazu in einem späteren Kapitel mehr. 2015 erschien der Nachfolger meines bereits erwähnten Burnout-Buchs mit dem Titel „Herzensfolger – Sich treu bleiben im Beruf: Zwischen ökonomischem Zwang und dem Traum vom Gemeinwohl“. 5Ein Jahr später landete „Regionale Biolebensmittel – Gesundes und Köstliches aus Fulda, Rhön, Vogelsberg und Nordhessen“ 6in den Bücherregalen.
Rückblickend bin ich froh, in die Medienbranche gestolpert zu sein, auch wenn sie viele Schattenseiten aufweist. Meinen Beruf liebe ich von ganzem Herzen, denn ich habe die Lizenz ständig Fragen zu stellen, lerne immer wieder neue Menschen kennen und darf in viele Bereiche blicken, die mir sonst nicht zugänglich wären. Doch ist nicht alles Gold was glänzt: Viele technische Neuerungen erleichtern den Arbeitsalltag, doch die ganze Branche befindet sich im Umbruch. Bei Tageszeitungen brechen die verkauften Auflagen ein, wobei etliche Medienhäuser zeitgleich (zu) wenig mit ihren Internetauftritten verdienen. Journalismus ist vielerorts zur Massenware auf dem Grabbeltisch geworden. Dabei brauchen Recherchen neben Zeit vor allem auch Geld. So bin ich mit meiner Berufswahl in mehrere Spannungsfelder geraten: Sollten Informationen keine Verkaufsware, sondern als Gemeingüter für alle frei zugänglich sein? Wie verdiene ich mit meinen Blogs Geld, wenn Leser es gewohnt sind, im Internet gratis lesen zu können? Und möchte ich mir eigentlich ständig leidige Diskussionen über meinen Berufsstand antun?
Alles „Lügenpresse“ oder was?
Der Handwerker in meiner Wohnung schraubt vor sich hin, während ich ihm interessiert über die Schulter blicke. Da meine handwerklichen Fähigkeiten positiv ausgedrückt ausbaufähig sind, im besten Marketing-Sprech also über enormes Entwicklungspotenzial verfügen, kann ich vielleicht beim Zuschauen noch etwas lernen. Zumindest ist der Handwerker froh, dass wir so unkompliziert einen Termin gefunden haben, an dem ich auch zu Hause bin. Ich erkläre als Freiberufler zu arbeiten und mir daher meine Arbeitszeit oft selbst einteilen zu können. Auf die Frage, was ich denn arbeite antworte ich wie aus der Pistole geschossen, dass ich Journalist sei. Daraufhin blickt mich der Handwerker mit ernstem Gesicht an „Dann gehören Sie ja auch zu denen“, wobei er „denen“ besonders betont. Oh nein, nicht schon wieder. Warum kann ich nicht einfach meine vorlaute Klappe halten? Schnell wird klar, mit „denen“ meint er diejenigen, die den Rest der Bevölkerung mit Lügen manipulieren. Es folgt ein Gespräch darüber, wo sich Medien tatsächlich nicht mit Ruhm bekleckern. Allerdings merke ich schnell, dass mein Gesprächspartner wenig Interesse an Fakten hat, sondern sein Weltbild lieber von einem „Insider“ bestätigt bekommen möchte. Nach weiteren Minuten erkenne auch ich, wie sinnlos unsere Diskussion ist.
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