An diesem warmen Samstag in Juni war es denn auch wieder soweit und alles, was Rang und Namen hatte, fand sich in der leer geräumten alten Scheune der Katharinenbach ein. Das Heu vom letzten Jahr war von den wenigen Kühen, die der Bauer besaß, in den Wintermonaten aufgefressen und das neue Gras noch nicht gemäht und eingefahren. Die wenigen Maschinen, die Karren und den kleinen Traktor hatte man draußen geparkt und Platz für gut hundert Sitzplätze geschaffen. An einem der mit Birkenzweigen maßvoll dekorierten Balken hing ein Schild mit der Aufschrift: „He weet nit jeschmück und och nit jekränz, mir lije em Bett un maache Pänz.“ Auf dem Grill qualmten etliche Bratwürste und Koteletts vor sich hin, einer der Tische bog sich unter Schüsseln voll mit Kartoffelsalat, Wurst und Schinken. Zehn Jahre nach dem Krieg hatte sich das Landleben allmählich wieder normalisiert und die Menschen konnten sich ab und zu was leisten.
An einem der Tische saßen ein paar Frauen zusammen, tauschten Nachrichten aus oder erfanden neue. Ihre Männer gehörten der Freiwilligen Feuerwehr an, die nachmittags noch ausrücken musste, um irgendwo in einem der Dörfer einen kleinen Brand zu löschen. Das war schon ein paar Stunden her und sicher saßen die Kerle jetzt nach getaner Arbeit irgendwo in der Kneipe, um den Qualm aus der Kehle zu spülen. Sie würden entsprechend aussehen und von ihren Heldentaten erzählen, wenn sie gleich eintrudelten – selbstverständlich mit eingeschalteter Sirene des alten Magirus-Löschzugs.
Einer der Tische war als Theke umfunktioniert und davor hatten sich einige Männer eingefunden, um die ersten Testbierchen zu trinken und die Brandursache zu diskutieren. Ihr Wortführer Joachim Schiermeister, einziger Sohn des örtlichen Baulöwen, hatte sich nachmittags schon reichlich Bier in einer der Kneipen genehmigt und schwadronierte munter drauflos. Dieser Schiermeister-Clan hatte sich nach dem Krieg saniert, als Joachims Vater Richard wie aus dem Nichts Maschinen und LKW anschaffte, etliche Leute zu Hungerlöhnen einstellte und sich eine Reihe öffentlicher Aufträge unter den Nagel riss. Viele der Umstehenden waren „beim Boss“ angestellt und so konnte sein 30-jähriger Sohn sicher sein, eine Horde von Kopfnickern um sich zu haben.
„Ist doch klar, dass diese alten Hütten abbrennen. Die Provinzial dürfte die gar nicht mehr versichern, diese alten Strohkaten. So was gehört abgerissen und neu gebaut. Stein auf Stein – wie es sich gehört.“ Beifälliges Murmeln und Kopfnicken. „Und für euch ist das doch jede Menge Arbeit. So machen wir aus dem Dorf das Schönste weit und breit. Die Allee-Bäume an der Hauptstraße bis zum Schloss machen wir nieder und verbreitern die Straße, damit endlich die LKW unbehindert durchfahren können. Der Papp hat den Antrag schon gestellt und bei der nächsten Sitzung vom Gemeinderat wird das genehmigt.“
Für die Arbeiter bedeutete ein solcher Auftrag Lohn und Brot für mehr als zwei Jahre. Dass der Boss den Auftrag einfangen würde, daran zweifelte hier niemand, denn Konkurrenten um die lukrativen öffentlichen Aufträge wurden regelmäßig verbellt. Da hatte der alte Schiermeister so seine Tricks. Die Seilschaften funktionierten auch heute noch, obwohl die Zeit, als er von den Nazis als Dorfschulze eingesetzt worden war, schon mehr als ein Jahrzehnt zurücklag.
Joachim bestellte wortreich noch eine Runde für die Männer, schnappte sich ein Bier und wankte zum Tisch, an dem seine Kumpel saßen. Als er am Tisch der Feuerwehr-Frauen vorbeikam, meinte er abschätzend: „Na – sind eure Kerle wieder am Katen löschen? Ich hab´ eher das Gefühl, dass die in der Kneipe sitzen. Aber Weiber wie ihr sind ja das, was die Katholiken in die Wirtshäuser treibt.“
„Du solltest dich was schämen.“ Eine der Frauen wollte das nicht so stehen lassen. „Wenn dein Vater das hören würde, der würde dir links und rechts ein paar um die Backen hauen.“ – „Der Boss ist viel zu sentimental für euch. Wenn ich demnächst das Sagen habe, geht das hier noch ganz anders rund.“ Er kippte sich das Bier in den Schlund und torkelte zu seinen Kumpanen, die ihm sofort einen Platz am Tisch frei machten.
Der alte Schiermeister hatte in der Tat seinen Sinn für die Vereine behalten, auch wenn ihm viele nicht verzeihen konnten, dass er sich in den Dreißigern, als die Nazis auch in Wahlscheid die Richtlinien zu bestimmen begannen, für den Posten des Dorfschulzen hatte einfangen lassen. Aber er war schlau genug, es sich mit seinen dörflichen Nachbarn nicht zu verscherzen. Den Ortsvereinen hatte er immer reichlich gespendet, dem Sportverein sogar das gesamte Material für das neue Vereinsheim am Sportplatz. Es war kaum anzunehmen, dass er das umnebelte Geschwafel seines Sprösslings gutheißen würde.
Nach und nach füllte sich die Scheune und auch draußen saßen reichlich Menschen auf improvisierten Bänken oder dem Karren, tranken Bier oder Wein und unterhielten sich. Aus irgendeiner Ecke dudelte ein Kofferradio und aus dem kleinen Backes neben der Haustüre duftete es verführerisch nach Schweinebraten, der dort seit ein paar Stunden vor sich hinschmurgelte, als der Magirus der Feuerwehr mit lauten Tatütata die Einfahrt heraufwackelte und neben der Scheune anhielt. Rund ein Dutzend Männer sprangen vom Wagen oder aus dem Führerhaus und traten in die Scheune, winkten kurz ihren Frauen zu und versammelten sich an der kleinen Theke.
Wider Erwarten hatten sie richtig ran gemusst, der Brand eines Schuppens neben einem alten Fachwerkhaus ist eine gefährlich Sache, und wenn es nicht völlig windstill ist, kann schnell ein ganzes Gehöft dran glauben müssen. Entsprechend groß war der Durst. Für die freiwillige Brandwache, die vor Ort geblieben war, würden sie das eine oder andere Bier mittrinken müssen, bis sie abgelöst wurde.
„Na ihr Helden! Habt ihr wieder ein Jehööch vor dem Aussterben bewahrt?“, ließ sich Joachim Schiermeister hören. Er war aufgestanden, zu den Feuerwehrmännern gewankt und starrte sie provozierend und unverschämt grinsend an.
„Halt du doch den Mund. Wo warst du eigentlich? Immerhin ist der Hof, wo deine Mutter geboren ist, fast abgefackelt. Eigentlich solltest du jetzt dort Wache schieben und nicht dein alter Ühm. Aber dazu bist du wieder viel zu besoffen.“ Herbert Pütz war Drehermeister und arbeitete wie viele andere in einer Maschinenfabrik im Nachbarort. Er musste den Schiermeisters nicht nach der Pfeife tanzen und konnte dem reichen Widerling gut einen einschenken.
„Was geht mich die alte Kate an? Gehört sowieso bald alles mir. Und es ist mir scheißegal, ob die Kate jetzt abbrennt oder ich sie niedermache und Wohnhäuser hinpflanze.“
„Du warst immer schon ein widerlicher Arsch. Wie kann man so über seine Familie sprechen. Wenn dein Alter das hören würde!“
„Wenn du noch einmal meinen Alten erwähnst, hau´ ich dir eine rein.“ Joachim ging drohend einen Schritt auf Herbert zu, der aber keinen Millimeter zurückwich. Da er den Betrunkenen um fast einen Kopf überragte, musste er sich auch nicht vor den Handgreiflichkeiten fürchten, die offenbar unmittelbar bevorstanden.
„Komm Herbert, lass den Idioten in Ruhe. Hier hat keiner Lust, sich wegen so einem Dummschwätzer den Abend verderben zu lassen. Wir wissen doch alle, dass das eine dumme Nuss ist.“ Werner Merkelbach hatte sich eingemischt, schob sich zwischen die beiden Kampfhähne und drehte Joachim demonstrativ den Rücken zu. „Zum Wohlsein!“ Er zwinkerte seinen Kameraden zu und hob sein Glas an die Lippen, als ihn ein heftiger Schlag am Kopf traf. Joachim hatte ihm die Faust an die Schläfe geschwungen, dabei aber das Gleichgewicht verloren und lag nun am Boden. Seine linke Hand blutete, weil er in das eigene Glas gefallen war.
„Ich glaube, der junge Mann braucht eine Abkühlung.“ Herbert zerrte den am Boden liegenden am Hosenbund nach oben. Einige andere Männer schnappten sich Arme und Beine und schleppten den wild um sich strampelnden Schiermeister hinaus. „Passt auf die anderen auf“, meinte Herbert noch beim Rausgehen, als er bemerkte, dass sich am Tisch von Joachims Freunden etwas rührte.
Читать дальше