Klaus F. Kandel
Mystische Schwarzwaldgeschichten
Magische Begegnungen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus F. Kandel Mystische Schwarzwaldgeschichten Magische Begegnungen Dieses ebook wurde erstellt bei
1028m.Ü. M.
L 94
Erzengel Gabriel
Lützelhardt
Impressum neobooks
Müde, erschöpft und völlig außer Atem.
Mehr als einmal stolperte er über nasse, glitschige Wurzeln, welche sich dunkel über den schmalen, mit runden Querhölzern befestigten Steig schlängelten. Trotz seines wetterfesten Anoraks, der langen Sporthose und den festen Schuhen, begann die Feuchtigkeit langsam nach innen durchzudringen. Vorher, bei seinem überstürzten Aufbruch, hatte er auf das sich über dem Wald zusammenbrauende Unwetter nicht geachtet.
Voller Qual war er einfach von seinem Hof losgelaufen, quer über die Wiesen und schnellen Schrittes im dunklen Tannenwald verschwunden. Dorthin eilend, wo er vor Jahren Frieden und Entspannung fand. Wie schon früher wirkte die majestätische Ruhe des Waldes beruhigend, tröstend und besänftigend auf seine verletzte Seele.
Aber dies allein reichte nicht. Zu tief saßen der Schmerz, die Enttäuschung und die Wut auf seine Nebenbuhler. Trauer und Empörung fraßen ein großes, schwarzes Loch in sein Gemüt. Er musste unbedingt nachdenken, ausruhen, zur Besinnung kommen. Oben am See wollte er den dunklen Wassern seinen Kummer anvertrauen, so wie er in seiner Kindheit dort seine Sorgen abgeladen hatte.
Beunruhigt schaute er sich um, erstmals aufmerksam seine Umgebung wahrnehmend. Heutzutage konnte man sich im Schwarzwald kaum mehr verirren! Jeder Steg, jeder Weg, jede Kreuzung, alles war markiert und gut ausgeschildert. Er brauchte diese Hinweise nicht, denn der Wald war schon immer sein Freund gewesen.
Der heftige Schauerregen hatte ihn gleichwohl voll überrascht. Als er den Steig verließ und einen flach verlaufenden Waldweg erreichte, schritt er langsamer voran.
Sein Herz! Es schlug heute fühlbar anders als gewohnt. Da war ein dumpfer, beklemmender Druck in seiner Brust, leichte Schmerzwellen in seinen linken Arm aussendend, verbunden mit einem ziehenden Schmerz in der Nierengegend. Ob er einfach nur Seitenstechen hatte? Er musste wirklich geruhsamer ausschreiten, schließlich war er nicht mehr so ausdauernd wie früher.
Zur Arbeit fuhr er überwiegend mit dem Bus. Nur im Sommer benutzte er manchmal sein Rad, obwohl er dies eigentlich öfters tun sollte. Die paar Kilometer.
Meistens siegte die Bequemlichkeit. Seine Bürotätigkeit, unten in Achern, dabei den größten Anteil seiner Arbeitszeit sitzend vor dem Bildschirm verbringend, trug nicht gerade zur körperlichen Fitness bei. Wenigstens ergab die mit seinem Hof verbundene landwirtschaftliche Nebentätigkeit einen recht guten Ausgleich.
Ein Auto konnte er sich derzeit nicht leisten, verschlang die dringend notwendige Renovierung des alten, unrentablen Hofes doch sehr viel Geld. Einerseits waren ihm für das Grundstück schon einige recht gute Angebote zugegangen; andererseits, er wollte eigentlich nicht verkaufen. Der Hof war und blieb seine Heimat. Hier war er geboren und aufgewachsen und hier wollte er bleiben und eines Tages eine Familie gründen. Aber dazu brauchte er Geld!
Die Landwirtschaft, nur so nebenbei betrieben, brachte wenig ein. Sein Verdienst als Angestellter war nicht gerade üppig. Zusammengenommen war es trotz allem kaum ausreichend. Letztendlich, aus seiner Sicht, die eigentliche Ursache für die Katastrophe. Für den Verlust seines Glückes, für das Ende all seiner Träume und Hoffnungen!
Irene!
Als einfache Aushilfe, für die Küche und Zimmer eines nahegelegenen Gasthofes, kam sie im Frühjahr nach Sasbachwalden.
Romantische Spaziergänge in der aufblühenden Natur. Eine zarte und still beginnende Liebe. Scheue Küsse in der Dämmerung und ...
Der Ausbruch der Leidenschaft inmitten einer Wiese voll duftender Kräuter. Ihre weiche, weiße, erhitzte Haut in einem Meer aus duftenden Blüten. Sie hatte ihn zum Mann gemacht, ihn geleitet und in die Liebe eingeführt. Abende des Glücks und Nächte der vollkommenen Erfüllung!
Aber mit dem Ende des Sommers kühlte auch Irenes Zuneigung merklich ab. Seine auftauchende Konkurrenz war groß, viel zu groß. Und sie besaß schicke Autos, viel Zeit und genügend Geld für Discos.
Das Ende kam vor ein paar Stunden, heute früh, an diesem Samstagmorgen, per Post. Nur wenige paar Zeilen, voll Kälte und Härte. Hals über Kopf hatte er danach den Hof verlassen, war tränenblind den Berg hochgestürmt. Inzwischen war sein Zorn verraucht. Die erste Empörung hatte einer stillen Resignation Platz gemacht.
Das Brigittenschloß lag hinter ihm. Die sagenumwobene Ruine hatte er unterhalb umgangen. Von seinem Hof aus, der in einem kleinen Seitental lag, benötigte auch ein geübter Wanderer gut viereinhalb Stunden bis zum Ziel. Der Weg führte streckenweise steil bergauf. Mehr als die Hälfte hatte er bereits geschafft.
Eine von Sträuchern teilweise zugewachsene Bank, ein paar Schritte in den Wald hineinversetzt, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Ermattet setzte er sich.
Kalte Nebelschwaden, die Reste des kurzen Herbstgewitters, zogen den Hang herab und trieben vorbei, mal hell und licht, dann wiederum nass, kalt und dunkel. Gleichmäßig drang das leise Geräusch der von Blatt zu Blatt herniederfallenden Regentropfen an sein Ohr. Kleine Rinnsale flossen vor ihm auf dem Pfad, immer tiefere Furchen grabend. Ein Geruch nach Pilzen lenkte ihn kurz ab.
Wenn doch nur der Druck auf seine Brust nachlassen würde! Ob er nicht besser wieder umkehren sollte?
Plötzlich horchte er auf. Schritte! Kräftige, feste Schritte!
Sich weit vorbeugend, erblickte er einen sich nähernden Mann. Breitschultrig, an die zwei Meter groß, in ein sonderbares Wams gekleidet.
Der Fremde schritt zielstrebig näher und bat höflich um Erlaubnis, sich zu ihm setzen zu dürfen, was er ihm auch nickend gewährte. Aus der Nähe sah der Unbekannte eigentlich gar nicht mehr so seltsam aus, ja er benahm sich so, als ob er zeit seines Lebens niemals etwas anderes getragen hätte!
Das ungewöhnliche Äußere passte zu dem Mann mit dem wettergegerbten Gesicht. Ein Gesicht, voll Furchen und Falten, die Spuren eines ereignisreichen Lebens tragend. Seine Kleidung bestand aus einem uralt scheinenden Wams aus grober Leinwand und seine ungeheuren Flößerstiefel waren weit über die Lederbeinkleider heraufgezogen.
Eine beinahe ansteckende Ruhe und Gelassenheit ging von dem Mann aus. Für einen Moment fröstelte ihn neben der Achtung gebietenden Gestalt und ein eisiger Schauer durchfuhr ihn.
»Kalt, Peter, nicht wahr?« Tief und rau, diese Stimme. Nun erschrak er wirklich. Woher kannte der Fremde seinen Namen?
Der Wald ringsum schien schlagartig abzukühlen und abweisend, still und erschrocken den Atem anzuhalten. Doch der ihn zutiefst beeindruckende Fremde sprach gelassen, wie zu sich selbst, weiter:
»Die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder! Jahrhundert um Jahrhundert! Nie sind die Menschen mit dem, was das Schicksal ihnen zumisst, zufrieden! Immer wollen sie ein wenig mehr haben, mehr besitzen! Reichtum! Macht! Liebe! Aber sei ohne Sorge, Peter! Ich kenne Deine Gedanken! In Deinem Fall ist leicht zu helfen!«
In seiner tiefen Verzweiflung, in seiner törichten, alles übertreffenden Sehnsucht nach Irenes Liebe, im quälenden Verlangen nach ihrer Umarmung, ihren Liebkosungen, hätte Peter so gut wie alles versprochen und hingegeben.
Читать дальше