Mit heimlich geweihter Kreide zog er schnell und gründlich die vorgeschriebenen Schutzzeichen, das Pentagramm und die geheimnisvoll verschnörkelten Runen. Auf dem mit Pferde- und Ochsenmist durchtränkten Boden war das gar nicht so einfach! In weiser Voraussicht hatte er zusätzlich ein größeres Säckchen voll Kreidepulver eingesteckt. So konnte es keinerlei Unterbrechung der Linien geben.
Fünf kleine Kerzen in irdenen Schalen. Hoffentlich blies sie der Wind nicht aus!
Leise murmelnd sprach er die mühsam auswendig gelernten Beschwörungsformeln. Konzentriert begann er zu graben. Keines der teuflisch um ihn herum aufschimmernden, tuschelnden, fauchenden und ihn verführen wollenden Trugbilder sollte ihn beirren! Nicht einen Fußbreit trat er aus dem Schutzkreis. Nicht vor der Vollendung seines Werkes und dem Abschluss der Beschwörungen! Er würde das hochgesteckte Ziel erringen, dem Herrn der Unterwelt widerstehen und diesen dann später um seinen Höllenlohn betrügen!
Einige wenige, nahezu unhörbare Spatenstiche, das kurze, matte Aufblinken einer polierten Stahlplatte im Mondlicht. Schnell wurde diese in der Tiefe versenkt. Sorgfältig trat er den zähen Lehm anschließend wieder fest. Wenn er nicht tief genug gegraben hatte, würden die schmalen Räder der Kutschen und Bauernkarren die Platte früher oder später beschädigen. Aber sie sollte nicht allzu lange dort ruhen. Nicht umsonst war er das Risiko eingegangen, den Kreuzweg mitten im Dorf, in allernächster Nähe der Kirche, auszuwählen.
Wiederum ein gründlicher Rundblick, doch keines der Fenster in der näheren Umgebung zeigte auch nur den geringsten Lichtschimmer. Letzte gemurmelte Worte der lateinischen Formel. Verschwunden waren die Visionen, nur undurchdringliche Dunkelheit herrschte ringsum. Vorsichtig trat er aus dem schützenden Bannkreis, blies die flackernden Lichter aus und wandte sich zum Gehen.
Taghell erleuchtet erschien der hellrote Sandstein des Gotteshauses. Jede Ritze und Fuge zeichnete sich mehr als deutlich vor seinem entsetzten Blick ab, erleuchtet vom Feuer der Ewigkeit. Starr, wie gelähmt, stand er auf dem Kreuzweg, als die Welt um ihn herum anschließend in tiefster Schwärze versank.
Schiefgegangen! Todesangst ergriff ihn. Krachend dröhnte der Donner und erste herabklatschende Tropfen, vermischt mit kleinen, eisigen Hagelkörnern, durchnässten ihn in Sekundenschnelle. Erleichtert aufschluchzend rannte er nach Hause. Nur ein ganz normales Gewitter! Er hatte dessen Auftauchen nicht bemerkt und schon die feurigen Pforten der Hölle vor sich gesehen!
Glück im Unglück! Der unerwartete Gewitterguss würde die Spuren seiner nächtlichen Tätigkeit gründlich verwischen. Jetzt konnte er in Ruhe abwarten. Der erste Teil seiner Tat war erfolgreich abgeschlossen!
*
Mit angstvoll aufgerissenen Augen sah ihm seine Frau entgegen. Ein beruhigendes Nicken beantwortete ihre unausgesprochene, bange Frage. Schnell half sie ihm aus den nassen Kleidern und ins warme Bett. In weiser Voraussicht hatte sie zwei heiße Ziegelsteine hineingelegt, den großen Kachelofen noch einmal kräftig angefeuert. Dazu ein langer, wärmender Schluck aus dem Steinkrug, dies würde einer Erkältung gründlich vorbeugen!
*
... drei Kindstaufen ...
... drei Hochzeiten ...
... drei Leichenzüge ...
... drei mal drei gesegnete Menschen ...
... getaufte Kinder, gesegnete Brautpaare, mit dem Sterbesakrament versehene Tote ...
Sie mussten die Stelle des Kreuzweges passieren, an der er die polierte, spiegelnde Stahlplatte vergraben hatte. Und dann fehlte nur noch eines.
*
Die letzten Sommermonate waren prachtvoll gewesen. Jetzt, Anfang Oktober, im Jahre 1852 des Herrn, herrschte ein goldener Herbst. Kühle Morgen mit leichtem Nebel, taunassen Wiesen, gefolgt von trockenen, sonnigen Tagen, abgelöst von klaren Nächten. Diese wurden immer länger und kälter.
Die Scheunen und Heuböden begannen sich zu füllen, das Korn war eingefahren und Haus und Hof auf den Winter gut vorbereitet. Ihn selbst trieb die Unruhe immer mehr durchs Dorf. Seine Nachbarn und Bekannten fingen an, seines ungeduldigen Verhaltens wegen, zu tuscheln.
»Vater! Was ist mit Dir?«
Sein ältester Sohn, der einmal den Hof übernehmen sollte, fragte ebenfalls besorgt nach. Längst war ihm das veränderte Verhalten des Vaters aufgefallen. Aber der wies ihn stets schroff zurück.
Auch die Mutter schien ihre Fröhlichkeit eingebüßt zu haben. Immer öfter ruhte ihr Blick auf der schmaler werdenden Gestalt ihres Mannes. Nur zu genau wusste sie ob des unheimlichen, verzehrenden Feuers, das in ihm brannte.
Der flackernde, unstete Blick, die zunehmende Unsicherheit, die häufige Abwesenheit der Gedanken. Immer öfter fragte er sich, ob das, was er getan hatte, was er erreichen wollte, richtig war. Manchmal fasste er den Entschluss, einfach alles auf sich beruhen zu lassen, das Buch zu verbrennen, das Stück Metall im Kreuzweg einfach zu vergessen. Und dann saß er wieder viele Abende lang im ›Sternen‹ oder ›Bären‹, schön abwechselnd, und versuchte die Stelle zu lokalisieren, wo die Versuchung wartete und lockte.
... und in wenigen Tagen würde der erste Herbstvollmond scheinen!
*
Noch wagte sich der Nebel auf den Wiesen nicht ganz ins Dorf. Lediglich erste durchsichtige Schwaden bewegten sich vorsichtig tastend heran.
In tiefer Stille, in silbriges Licht getaucht, lag der Kreuzweg vor ihm. Dunkel, drohend und abweisend ragten die Mauern der Kirche hoch empor. Eine einsame Laterne flackerte unruhig über der Eingangstür vom ›Freihof‹, gespenstische Schatten werfend.
Fast vermeinte er, das Pochen seines Herzens als donnernden Widerhall von den Häusern ringsherum zu vernehmen. Trotz der Nachtkälte war er in Schweiß gebadet. Soeben kam der schwierigste und gefährlichste Teil des Unternehmens.
Das Zappeln im Sack neben ihm lenkte ihn kurz ab. Für einen Moment erfüllten ihn schwaches Bedauern und Mitleid mit der armen Kreatur da drin. Andererseits, was war das Leben einer Katze schon wert? Nichts! Überhaupt nichts!
Anschließend lauschte er wieder aufmerksam in Richtung Kirche. Wie schon vor Monaten schlugen die Glocken zwölfmal, wiederum vergingen ein paar Minuten und der Mesner schlurfte zurück nach Hause. Und wieder verschluckte das Murmeln des Waldhäuserbaches alle Geräusche.
Eilig huschte er auf den Platz und begann zu graben. Vorher hatte er anhand der Häuserlinien den Ort so genau wie möglich eingepeilt.
Der Lehm der Dorfstraße war zäh und fest wie eh und je. Nun ja, befestigte Wege mit Kopfsteinpflaster gab es nur in großen und reichen Gemeinden wie in Zell, Biberach oder Gengenbach. Aber hier hinten im Tal?
Klirrend stieß der Spaten auf Metall. Erschrocken sah er sich um. Hoffentlich hatte niemand etwas gehört! Aber um diese Nachtzeit war außer ihm kein Mensch unterwegs.
Vorsichtig legte er den Sack neben die kleine Grube und zog eine Katze daraus hervor. Die Vorder- und Hinterläufe des Tieres waren zusammengebunden, um sie am Weglaufen zu hindern. Ein Knebel verhinderte zuverlässig jedes Geschrei.
Mit abgewandtem Gesicht stocherte er vorsichtig im Erdreich. Kurz darauf bekamen seine zitternden Finger die Stahlplatte zu fassen. Die Augen fest geschlossen, tastete er blind umher und ergriff das sich angstvoll und verzweifelt windende Tier. Dann hob er den Spiegel vor das kleine Katzengesicht und ließ das Tierchen hineinschauen.
Er spürte, wie die Katze sich jäh aufbäumte, erschlaffte und danach keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab. Geschafft! Endlich geschafft! Er hatte die Prüfung bestanden!
Leise lachend hielt er die silbern funkelnde Metallplatte triumphierend hoch ins Mondlicht. Ein Bergspiegel! Er hatte einen Bergspiegel gegraben, einen wirksamen Talisman, wie er den Sympathiedoktoren Benz und Morlok, wenn man den Leuten glauben durfte, schon lange zur Verfügung stand!
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