Monique hat sich zwar im Großen und Ganzen ihre Religiosität bewahrt: Sie liebt Gott und Jesus, verehrt Maria und ein paar Heilige, hält treu zur Institution Kirche und hat Respekt vor dem höchsten Kirchenamt sowie den heiligen Sakramenten. Maurice hat es lediglich geschafft, sie vom naiv-kindlichen Glauben an so vieles, was die Kirche zu tun und zu glauben verlangt, zu befreien.
‚Mein Liebster wird doch wohl nicht ernsthaft krank sein?’
Dieser Gedanke, der ihr plötzlich durch den Kopf schießt, macht ihr im ersten Augenblick Angst, ehe sie ihn jedoch als absurd beiseiteschiebt: Es gibt kaum einen Mann, der mit Anfang fünfzig noch so ein Kraftpaket und geradezu ein Ausbund an Gesundheit ist wie ihr Maurice.
‚Ob ich mich jemals an den Namen ‚Leo’ gewöhnen werde?’, fragt sich die schöne Nonne.
Vermutlich nicht. Aber das wird keine Rolle spielen, denn vor Fremden wird sie ihn, wie alle anderen das auch tun, mit „Eure Heiligkeit“ und mit „Heiliger Vater“ ansprechen. In ihren intimen Stunden wird er für sie aber immer „Maurice, mon amour“, und „Chéri“ bleiben. Falls es endlich wieder zu solchen Annäherungen kommen sollte …
‚Vielleicht ist es an der Zeit’, überlegt sie ein klein wenig verschämt, ‚dass ich mich von mir aus etwas ‚ins Zeug lege’, um ihn zum Sex zu animieren – etwas, das ich bisher noch nie habe tun müssen …’
„Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Vor Deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle.“
(Psalm 16, 11)
‚Vielleicht wäre es auch nicht verkehrt, seinen Leibarzt, diesen kenianischen Doktor Anoussinte zu bitten, sich Maurice einmal genauer anzusehen’, überlegt Schwester Monique ernsthaft.
Einesteils widerstrebt es ihr, den von ihr immer als eingebildet und überheblich empfundenen Mediziner, der jedoch einen hervorragenden Ruf als Arzt genießt, zu kontaktieren; andererseits erhofft sie sich Klarheit über den Gesundheitszustand ihres Geliebten.
Ohne lange zu überlegen, sucht sie bei nächster Gelegenheit Doktor Erneste-Philippe Anoussinte auf. Vorläufig hat er seine Wohnung noch im päpstlichen Palast. Es fehlte ihm bisher die Zeit, sich nach etwas Passendem umzuschauen; andererseits weiß er, dass der Heilige Vater es sehr schätzt, seinen „Medizinmann“, wie er ihn scherzhaft nennt, in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Obwohl geradezu strotzend vor körperlicher Fitness, neigt sein illustrer Patient nämlich zur Hypochondrie.
Wie erwartet ist der Leibarzt leicht verstimmt über ihr Ansinnen, etwas Intimes über seinen Patienten preiszugeben. Außerdem würde er es doch als Erster wissen, falls mit Seiner Heiligkeit etwas nicht in Ordnung wäre …
‚Wer ist hier der Mediziner?’, scheint sein arroganter Gesichtsausdruck zu fragen. ‚Ich weiß selbst am besten, wann eine Untersuchung Seiner Heiligkeit Sinn macht und wann nicht!’
Aber Schwester Monique lässt sich nicht beirren. Scheinbar nur um die penetrante Person loszuwerden, sagt Anoussinte schließlich zu, den üblichen Gesundheitscheck des Heiligen Vaters zeitlich vorzuziehen; jedoch nicht, ohne hinzuzufügen, ihre Besorgnisse für absurd zu halten. „Selten habe ich einen gesünderen Patienten betreut“, gibt er ihr mit auf den Weg.
Zwei Tage später ist es soweit. Leo XIV. lacht bloß, während der Doktor ihm den Blutdruck misst und seinen Brustkorb abhorcht, um Herzfrequenz und Lungenfunktion zu überprüfen.
„Ich habe mich nie besser gefühlt, mein Lieber“, behauptet er und der Arzt versichert ihn seiner Zufriedenheit. Zusätzlich zu seinem täglichen Fitnessprogramm empfiehlt er ihm ein paar Dehnungsübungen und schickt sich an, den Heiligen Vater zu massieren.
Während der Massage lässt er sich von Papst Leo mit Ergüssen über Politik, Religion und Kirche berieseln. Das ist dem Doktor ganz recht: So kann er seinen Atem sparen und erfährt ganz nebenbei noch einiges über Obembes Familie, was er bisher noch nicht wusste – und außerdem Neues über die augenblickliche Gedanken- und Gefühlswelt seines Patienten.
Der übliche Monolog seines Patienten plätschert so dahin; auf einmal hört der Arzt genauer hin. Ganz langsam beginnt er sich leicht unwohl zu fühlen. Dieses Gefühl verstärkt sich sogar noch etwas, ohne dass er vorerst genau zu definieren vermag, was es im Einzelnen ist, das ihn plötzlich aufhorchen lässt. In der Tat, manches klingt in den Ohren des Leibarztes sogar befremdlich.
Nun ist es ja nicht so, dass Erneste-Philippe Anoussinte so naiv wäre, zu glauben, allein die Tatsache, dass sein Patient Papst ist, bringe es mit sich, dass dieser besonders fromm und gläubig oder überhaupt ein guter Mensch sein müsse. Darüber kann jeder, der sich dafür interessiert, in der langen Geschichte der Päpste nachlesen … Er würde reichlich fündig werden, über brutale Egozentriker, Sadisten, Geisteskranke, Verbrecher aller Art bis hin zum Massenmörder: Alles ist vertreten in der illustren Schar der Heiligen Väter.
Aber was Leo XIV. in lässigem Plauderton gerade von sich gibt, irritiert den Arzt und macht ihn ziemlich nachdenklich.
Eines steht fest: Physisch ist der Heilige Vater in Topform; was allerdings seine Psyche anbelangt – das wird er als verantwortlicher Leibarzt genauer im Auge behalten müssen. Irgendetwas scheint ihm da womöglich gerade außer Kontrolle zu geraten.
Es existiert das Arztgeheimnis und Schwester Monique wird er natürlich nichts davon verraten. Und nicht nur aus einem Gefühl der Animosität heraus, wie sie vielleicht irrtümlich annehmen mag; sondern um ihr keine Angst einzujagen und damit ihr künftig im Vatikan mit Sicherheit äußersten Strapazen ausgesetztes Nervenkostüm zu destabilisieren. Leicht wird ihr Leben nämlich nicht werden – davon geht der Doktor aus. Das würde sich wiederum auf seinen Patienten negativ auswirken. Etwas, das er auf alle Fälle verhindern muss.
Eigentlich hätte er sie früher selbst gerne als Geliebte gehabt; aber das wird sie niemals auch nur im Entferntesten erahnen können und auch der Papst hat keine Ahnung davon. Anoussinte wird Monique im Gegenteil immer so behandeln, als verachte er sie im Grunde, als sei sie ihm lästig und von Herzen zuwider. Was so nicht stimmt: Mittlerweile ist sie ihm eher gleichgültig geworden.
Welchen Weg würde Leo XIV. einschlagen?
Den des friedlichen Konsenses, wovon die meisten, zumindest bis zu seiner denkwürdigen Predigt – und merkwürdigerweise danach immer noch –, ausgehen. Oder wird er sich tatsächlich als der konsequente Befürworter einer beinharten Auseinandersetzung erweisen, deren Ausgang natürlich nur in einem für die Kirche siegreichen bestehen dürfte?
Wobei letzteres von einer nicht ganz kleinen, aber im Moment noch stillen Minderheit der Hardliner erwartet, erhofft und geradezu herbeigesehnt wird …
KREUZZEICHEN
„ … und des Sohnes, …“
Nach Jahren und Jahrzehnten angeblicher und leider auch realer, punktuell immer aufs Neue aufflackernder „Glaubenskriege“ zwischen Christen und Moslems sowie zwischen Muslimen und Muslimen, ohne ein endgültiges Ergebnis, hat sich unter den einst Gewaltbereiten ein deutlich spürbarer Überdruss breit gemacht. Und zwar auf allen Seiten.
„Inzwischen sind, Allah sei gepriesen, die Selbstmordattentäter eines pervertierten Islam ausgestorben“, behauptet etwa ein hoher Imam an der Großen Moschee von Köln gegenüber Manfred Weidenmann, einem Starreporter und -moderator des ZDF, in einem zur besten Sendezeit ausgestrahlten Fernsehinterview.
Recht hat er! Kein vernünftiger junger Mensch ist noch, anders als beispielsweise noch vor zwanzig Jahren, ohne weiteres dafür zu begeistern, sein eigenes und das Leben anderer für eine irrwitzige, pseudoreligiös verschleierte Idee zu opfern.
Einer Wahnidee zumal, der überwiegend alte Männer des Islamischen Staates, kurz IS, zu huldigen schienen, während diese selbst gut geschützt aus der Deckung heraus Hetztiraden und todbringende Aufrufe gegen „die Ungläubigen“ unters ungebildete, dumpf-gläubige Muslimvolk streuten, die ihre meist sehr jungen männlichen Anhänger zu Tausenden das Leben kosteten – ganz abgesehen von einer Menge vollkommen Unschuldiger, die jeweils rücksichtslos und bewusst dem Verderben preisgegeben wurden.
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