209In der Klausursind wie so oft beide Ansätze gut vertretbar. Es kommt darauf an, zu erkennen, ob sie überhaupt zu verschiedenen Ergebnissen führen und (nur) dann zu argumentieren, weshalb man sich für einen der beiden Ansätze entscheidet.
210Tab. 5: Prüfungsaufbau §§ 226, 227 StGB
5. Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB)
211In § 229 StGB ist geregelt, dass auch das fahrlässige Verursachen einer Körperverletzung gem. § 223 StGB strafbar ist. Objektiv sind die Tatbestände der §§ 223, 229 StGB also im Ausgangspunkt identisch, sie unterscheiden sich nur durch die jeweiligen Anforderungen an die subjektive Tatseite und das Erfordernis objektiver Sorgfaltspflichtwidrigkeit.[369]
212Obwohl § 228 StGB als besonderer Rechtfertigungsgrund an die vorsätzlichen Körperverletzungsdelikte anschließt und er systematisch nicht auf § 229 StGB anwendbar zu sein scheint, geht die herrschende Meinung vom Gegenteil aus. Wenn die Einwilligungin eine vorsätzliche Körperverletzung die Tat rechtfertigen kann, soll dies erst Recht für fahrlässige Körperverletzungen gelten.[370] Auch bei § 229 StGB kann daher die Einwilligung des Rechtsgutinhabers in ein bestimmtes Risiko, das sich dann in einem Verletzungserfolg realisiert, zur Straflosigkeit führen.
213Die Qualifikationstatbestände der §§ 224, 226 StGB greifen bei einer fahrlässigen Körperverletzung nicht, da sie stets eine vorsätzliche Begehung voraussetzen. Das ergibt sich aus der systematischen Stellung im Gesetz – sie |98|folgen unmittelbar auf den Grundtatbestand des § 223 StGB.[371] Auch wenn also jemand einen anderen fahrlässig mit einem Messer verletzt, ist § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht einschlägig.
214Fahrlässige Körperverletzungen werden in der Praxis oft durch Unterlassen verwirklicht, etwa wenn jemand seinen Verkehrssicherungspflichten nicht nachkommt und dadurch ein anderer körperlichen Schaden nimmt. Wie üblich kommt eine Unterlassensstrafbarkeitaber nur in Betracht, wenn eine Garantenstellung vorliegt.[372]
215Hinsichtlich der Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung gelten die allgemeinen Regelnder Fahrlässigkeitsstrafbarkeit.[373]
216Tab. 6: Prüfungsaufbau § 229 StGB
6. Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB)
a) Einleitung
217§ 225 StGB knüpft an ein besonderes Täter-Opfer-Verhältnisan. Täter kann nur sein, wen gegenüber dem Opfer eine bestimmte, in den NRn. 1 bis 4 des Abs. 1 abschließend aufgeführte[374] Fürsorgepflicht trifft. Das Opfer wiederum muss entweder unter 18 Jahre alt oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlos sein. In den Anwendungsbereich des § 225 StGB fallen daher in erster |99|Linie Misshandlungen und Vernachlässigungen von Erziehungspersonen gegenüber Kindern oder von Pflegepersonal gegenüber alten oder kranken Menschen.[375]
218Die Wehrlosigkeitdes volljährigen Opfers muss aus der Gebrechlichkeit oder aus der Krankheit resultieren.[376] Es wird darunter das Unvermögen verstanden, sich gegen die Tathandlung zur Wehr zu setzen.[377] Das Bestehen einer Fluchtmöglichkeit schließt das Vorliegen von Wehrlosigkeit nicht aus.[378]
219Eine MisshandlungSchutzbefohlener kann durch Quälen oder rohes Misshandeln oder eine die Gesundheit schädigende böswillige Vernachlässigung der Fürsorgepflicht begangen werden. Die ersten beiden Varianten sind Begehungsdelikte, die dritte ist ein echtes Unterlassungsdelikt.[379] »Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß durch das Unterlassungsdelikt der Gesundheitsbeschädigung infolge böswilliger Vernachlässigung der Sorgepflicht die Strafbarkeit des Quälens und des rohen Mißhandelns eingeschränkt sein soll […].«[380] Die ausdrückliche Regelung eines (echten) Unterlassungsdeliktes bedeutet demnach nicht, dass nicht auch die beiden erstgenannten Begehungsvarianten durch Unterlassen verwirklicht werden können (unechtes Unterlassungsdelikt[381]). Die Garantenstellung ist dann jeweils durch die Fürsorgepflicht gem. Abs. 1 Nr. 1 bis 4 gegeben.
220» Quälenbedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen, wobei dieses Tatbestandsmerkmal typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht wird und gerade die ständige Wiederholung für sich den besonderen Unrechtsgehalt dieser Form der Körperverletzung auszeichnet […]. ‚Roh’ist eine Misshandlung i.S.d. Tatbestandes, wenn sie aus einer gefühllosen gegen die Leiden des Opfers gleichgültigen Gesinnung heraus erfolgt, wobei die Gefühllosigkeitkeine dauernde Charaktereigenschaft zu sein braucht […] und deshalb das Merkmal ›roh‹ auch das ›Wie‹ der Misshandlung betrifft […].«[382] Die Fürsorgepflicht vernachlässigt böswillig, »wer die Pflichtverletzung aus besonders verwerflichem Motiv, nicht aber […] aus Gleichgültigkeit oder Schwäche begeht […].«[383]
221Es wird darüber gestritten, ob der Begriff des Quälens bei § 225 StGB auch durch rein seelische Beeinträchtigungenerfüllt sein kann. Der alltägliche |100|Sprachgebrauch legt eine solche Auslegung nahe.[384] Geht man davon aus, stellt die Begehungsvariante des Quälens im Gegensatz zu den sonstigen Varianten des § 225 StGB keine Qualifikation des § 223 StGB dar, sondern einen eigenständigen Tatbestand.[385] Dagegen wird eingewandt, dass § 225 StGB Teil des Abschnitts der Körper verletzungsdelikte ist und daher Quälen hier nur dann vorliegen könne, wenn die psychische Einwirkung auch körperliche Folgen hat.[386] Beide Ansichten sind gut vertretbar.
222Die Frage der Eigenständigkeit der Begehungsvariante des Quälens wirkt sich bei den Konkurrenzen aus. Nimmt man an, dass der Schutzbereich des § 225 StGB weiter geht als der des § 223 StGB und auch die seelische Integrität erfasst, dann besteht zwischen § 225 Abs. 1 StGB in der Variante des Quälens und einer Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB Tateinheit, da ihre Schutzrichtungen nicht deckungsgleich sind.[387] Subsumiert man hingegen nur körperliche Beeinträchtigungen unter den Begriff des Quälens, dann wird § 223 StGB wie bei den anderen Begehungsvarianten des § 225 StGB konsumiert und tritt deshalb gesetzeskonkurrierend zurück.[388]
223Es ist schließlich zu beachten, dass in Abs. 3 zwei Erfolgsqualifikationen geregelt sind, die durch ein Mindeststrafmaß von einem Jahr Freiheitsstrafe einen Verbrechenstatbestanddarstellen. Es gelten die allgemeinen Regeln für Erfolgsqualifikationen[389].
7. Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)
a) Einleitung
224Jede Schlägerei ist eine Mehrzahl von wechselseitigen Körperverletzungshandlungen. Schlimmstenfalls kommen versuchte oder vollendete Tötungshandlungen hinzu. Für beide Tatgruppen gibt es jenseits von § 231 StGB differenzierte Straftatbestände (§§ 223ff.; §§ 211ff. StGB). Dennoch hat der Gesetzgeber sich entschieden, dem Phänomen der Schlägerei eine eigene Norm zu widmen. Dies wird damit gerechtfertigt, dass die besondere Dynamik von Schlägereien, die sich schnell verselbstständigen kann, Anknüpfungspunkt für die Strafandrohung |101|ist. Die Norm ist daher ein »reines Gefährdungsdelikt«[390], der Täter wird »allein ›schon wegen‹ der Beteiligung an einer solchen Schlägerei bestraft. Da Schlägereien erfahrungsgemäß oft schwerwiegende Folgen haben, soll wegen dieser Gefährlichkeit schon der Beteiligung daran entgegengetreten werden, ohne daß es auf den – oft nicht möglichen – Nachweis der Ursächlichkeit gerade dieser Beteiligung für die schweren Folgen der Schlägerei ankäme […].«[391]
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