71 BGH NStZ 2012, 35; Heimtücke:Ein Gaststättenbesucher gerät während der Fußballweltmeisterschaft mit zwei anderen Gästen der Gaststätte in eine verbale Auseinandersetzung, wobei er fälschlich bestreitet, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden ist. Im Anschluss an eine Rempelei mit einem der anderen Gäste geht der Gaststättenbesucher nach Hause, nimmt eine geladene Pistole an sich und geht zurück ins Lokal. Nachdem er dort einen der völlig überraschten und unvorbereiteten Gäste erschossen hat, bittet der andere mit den Worten »nein, nicht« ihn zu verschonen. Nunmehr entschließt sich der Gaststättenbesucher, auch den anderen Gast zu erschießen und tötet diesen mit zwei weiteren Schüssen. – Während die Tötung des ersten Gastes als heimtückisch zu bewerten ist, da dieser trotz der vorherigen Auseinandersetzung mit dem Gaststättenbesucher nicht mit einem Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnete und infolgedessen zur Verteidigung außer Stande war, erfüllt die Tötung des zweiten Gastes nicht das Heimtückemerkmal. Den Entschluss, auch den zweiten Gast zu töten, fasste der Gaststättenbesucher erst zu einem Zeitpunkt, in dem dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und daher nicht mehr arglos war. Da es für |35|die Prüfung der Arglosigkeit auf den Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zur Tötung des jeweiligen Opfers ankommt, liegt hinsichtlich des zweiten Gastes das Heimtückemerkmal nicht vor. Handelte der Gaststättenbesucher allein aus Verärgerung über den vorangegangenen Streit über die Weltmeistertitel Italiens, liegt hinsichtlich der Tötung beider Gäste jedoch das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes vor.
cc) Mordmerkmale der 3. Gruppe
72In der 3. Gruppe werden die täterbezogenen subjektiven Unrechtsmerkmale der Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht zusammengefasst. Ihre Zuordnung zu § 211 StGB ergibt sich daraus, dass der Täter besonders verwerfliche Zweckeverfolgt, es ihm namentlich gerade darauf ankommt, durch die Tötung eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken. »Der besondere Unwert der Tötung, um eine andere Straftat zu ermöglichen, liegt darin, daß sie der Begehung kriminellen Unrechts dienen soll […]. Die erhöhte Verwerflichkeit […] ergibt sich aus der Bereitschaft, zur Durchsetzung krimineller Ziele ›notfalls über Leichen zu gehen‹«[151]. Im Hinblick auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsichtfolgt die besondere Verwerflichkeit demgegenüber »aus der Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter«[152].
73Mit dem Erfordernis eines absichtlichen Handelnshinsichtlich der Ermöglichung bzw. Verdeckung einer anderen Straftatweisen Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht zwei identische Tatbestandsvoraussetzungen auf. »Andere Straftat« ist in diesem Zusammenhang nur eine solche, die sämtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen eines Verbrechens oder Vergehens erfüllt, so dass bloße Ordnungswidrigkeiten nicht ausreichen.[153] Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine andere Straftat vorliegt, ist allein die subjektive Sachverhaltsvorstellung des Täters. Insbesondere ist es »rechtlich bedeutungslos, ob die andere Straftat, die der Täter verdecken will, in Wirklichkeit begangen ist oder nicht; sie ist kein Tatbestandsmerkmal. Zur Verurteilung wegen vollendeten Mordes genügt es sonach, daß der Täter […] sich vorstellt, er habe eine andere Straftat begangen, und daß er tötet, um die vermeintliche Straftat zu verdecken.«[154] Ebenfalls ohne Bedeutung für die Tatbestandsverwirklichung ist, ob es sich bei der zu ermöglichenden oder zu verdeckenden Tat um eine solche des Täters oder eines Dritten handelt und ob die Tat prozessual verfolgbar ist, bzw. wäre.[155]
74Die Absichtdes Täters, die andere Straftat zu ermöglichen bzw. zu verdecken, muss zwar nicht sein alleiniges, wohl aber doch das dominierende Tatmotiv sein.[156] Erforderlich ist ein zielgerichtetes Wollen, d.h. ein Handeln |36|mit dolus directus 1. Gerades hinsichtlich der Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat. Hinsichtlich der Tötung selbstgenügt grundsätzlich bedingter Vorsatz, jedoch stellt diese für den Täter in der Mehrzahl der Fälle ein notwendiges Zwischenziel dar und ist dann ebenfalls von ihm beabsichtigt.[157]
75Abb. 4: Mordmerkmale der 3. Gruppe
76 (1) Ermöglichungsabsicht: Für die Prüfung, ob der Täter mit Ermöglichungsabsicht gehandelt hat, kommt es darauf an, ob es ihm darum ging, infolge der Tötungshandlung weiteres kriminelles Unrecht begehen zu können.[158] Insoweit reicht es aus, dass »sich der Täter deshalb für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise die andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können.«[159] Typischer Beispielsfall ist der sog. Raubmord, bei dem der Täter durch die Tathandlung einen Diebstahl oder Raub ermöglichen möchte.[160] Ferner ist eine Ermöglichungsabsicht auch dann anzunehmen, wenn die Tötung dem Zweck dient, einen Betrug gegenüber einer Versicherung vorzubereiten oder die unberechtigte Einfuhr von Waffen oder Betäubungsmitteln zu ermöglichen.[161]
77 (2) Verdeckungsabsicht: Kennzeichnend für die Verdeckungsabsicht ist, dass es dem Täter gerade darum geht, sich durch die Tathandlung der Entdeckung wegen einer vorangegangenen Straftat zu entziehen.[162] Insoweit kann die Absicht zunächst darin bestehen, die Aufdeckung der Tat als solchezu verhindern. Geht der Täter davon aus, dass die Tat bereits entdeckt ist, kann die erforderliche Verdeckungsabsicht aber ebenfalls vorliegen, wenn es dem Täter darum geht, seine Beteiligung an dieserzu verschleiern. »Auch nach Bekanntwerden einer Straftat kann ein Täter dann noch in Verdeckungsabsicht handeln, wenn er zwar weiß, dass er als Täter dieser Straftat verdächtigt wird, die genauen |37|Tatumstände aber noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind […]. Verdeckungsabsicht ist aus der Sicht des Täters zu beurteilen. Glaubt er mit der Tötung eine günstige Beweispositionaufrechterhalten oder seine Lage verbessernzu können, so reicht das für die Annahme der Verdeckungsabsicht aus, selbst wenn er bereits als Täter der Vortat verdächtigt wird […], da die Tatumstände – nach seinem Wissen – noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt waren […]. Verdeckungsabsicht ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Tat als solche bereits entdeckt ist, dem Täter es jedoch noch darauf ankommt, seine eigene Täterschaft zu verbergen; Voraussetzung ist jedoch, dass er sich oder seine Tat noch nicht voll erkannt bzw. nicht voll überführungsfähig glaubt und daher mit der Vorstellung von Entdeckungsvereitelung handelt.«[163]
78Literatur und Rechtsprechung gehen überwiegend davon aus, dass es dem Täter nicht zwingend darum gehen muss, sich der Strafverfolgung zu entziehen, vielmehr soll die Absicht genügen, außerstrafrechtliche Konsequenzender anderen Straftat zu vermeiden. Insofern soll die erforderliche Verdeckungsabsicht insbesondere auch dann anzunehmen sein, wenn es dem Täter allein darum geht, einen Verlust der aus der Vortat erlangten Vorteile zu verhindern. Zur Begründung führte der BGH aus, dass der Mord »in keiner Begehungsform ein gegen Belange der Rechtspflege gerichtetes Delikt [darstelle]. Qualifikationsgrund der Verdeckungsmodalität [sei] vielmehr die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter […]. Eine solche Verknüpfung [könne] auch vorliegen, wenn der Täter einen anderen zur Vermeidung außerstrafrechtlicher Folgen seiner Straftat tötet, etwa um sich […] im Besitz der Beute zu halten, die ihm durch die Straftat zugeflossen ist […]. Um den Erhalt der Beute [könne] es auch gehen, wenn der Täter zwar weiß, daß der Geschädigte sich zur Rückforderung nicht der durch die Rechtsordnung vorgegebenen Mittel (z.B. Klage vor dem Zivilgericht, Strafanzeige o.ä.) bedienen wird, wohl aber für den Täter von ›Unterweltlern … ein Abjagen der Beute zu befürchten ist‹«[164]. Von Teilen der Literatur wird hieran kritisiert, dass die vom BGH postulierte besondere Verwerflichkeit der Verstrickung von Unrecht mit weiterem Unrecht nicht den Qualifikationsgrund der Verdeckungsmodalität erfasse. Dieser bestehe vorrangig darin, den Schutz staatlicher Strafverfolgungsinteressen gegen straftatverdeckende Eingriffe zu schützen, und werde in Fällen, in denen es dem Täter nur um die Vermeidung außerstrafrechtlicher Folgen geht, nicht tangiert.[165] Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung sollte indes nicht überschätzt werden, da der Täter in entsprechenden Konstellationen häufig die Voraussetzungen eines sonstigen niedrigen Beweggrundes erfüllt, mithin auch |38|bei Verneinung der Verdeckungsabsicht im Ergebnis aus § 211 StGB zu bestrafen ist.[166]
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