65 (2) Grausam: Die gesteigerte Verwerflichkeit grausamer Tötungen ergibt sich daraus, dass der Täter dem Opfer besonders intensive Schmerzen zufügt. Nach Einschätzung des BGH tötet derjenige grausam, der »dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung, Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen.«[139] Neben einer objektiv besonders gravierenden Tatbegehung ist hiernach eine spezifische innere Haltung des Täters erforderlich.[140]
66|32|In objektiver Hinsicht kennzeichnet sich die grausame Tötung dadurch, dass der Täter dem Opfer gerade durch die Tatausführung besonders intensive körperliche oder seelische Schmerzen beibringt, die über die mit einer Tötung für gewöhnlich einhergehenden Beeinträchtigungen deutlich hinausreichen.[141] Ob die zugefügten Schmerzen die erforderliche Intensität aufweisen, richtet sich primär nach der Empfindungsfähigkeit des jeweiligen Opfersund nicht nach dem objektiven Erscheinungsbild der Tat.[142] Anlass für die Prüfung einer grausamen Tatbegehung besteht insbesondere dann, wenn der Täter den Tod des Opfers durch eine besonders langwierige und mit erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen verbundene Art und Weise verursacht, oder wenn der eigentlichen Tötungshandlung schwerwiegende Folterungen oder seelische Beeinträchtigungen vorausgehen. Eine Tatbegehung durch Unterlassen ist möglich und begegnet in der Praxis vorwiegend in Form des Verhungern-Lassens.[143]
67In subjektiver Hinsicht muss der Täter zunächst mit Tatbestandsvorsatz handeln, der sich insbesondere auch auf die vom Tatopfer subjektiv empfundenen Leiden erstrecken muss.[144] Darüber hinaus muss der Täter aus gefühlloser und unbarmherziger Gesinnunghandeln, die »sich schon aus einem vom Vorsatz getragenen, objektiv grausamen Verhalten ergeben [kann]. Dies gilt aber nicht in jedem Fall. Auffällige Eigenarten der Persönlichkeit des Täters und seine besondere seelische Situation z. der Tat sowie sein sonstiges Verhalten gegenüber dem Opfer können es erforderlich machen, die innere Tatseite unter Berücksichtigung dieser Umstände besonders sorgfältig zu erörtern.«[145] Nach diesen Vorgaben stellt bereits die objektiv grausame Tötung ein maßgebliches Indiz für die gefühllose Gesinnung des Täters dar. Diese kann aber bei Vorliegen besonderer Umstände fehlen, beispielsweise im Falle einer Affekttat oder bei Vorliegen eines schwerwiegenden Rauschzustandes.[146]
68 (3) Gemeingefährliche Mittel: Die Aufnahme der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln in § 211 StGB beruht darauf, dass mit dieser eine vom Täter nicht sicher beherrschbare Gefährdung einer Vielzahl von Personen einhergeht. Gemeingefährlich sind solche Tatmittel, »die in ihrer Wirkung im allgemeinen nicht mehr beherrschbarund daher geeignet [sind], eine größere Zahl von Menschenan Leib oder Leben zu gefährden, also eine allgemeine Gefahr entstehen zu lassen […]. Ist diese allgemeine Eignung gegeben, kommt es auf den Umfang des konkreten Gefährdungsbereichs nicht an. Seine Beschränkung auf eine Räumlichkeit oder ein sonstiges zum Aufenthalt von Menschen dienendes |33|Objekt wie ein Flugzeug schließt die Eigenschaft als gemeingefährliches Mittel nicht aus […]. Die Benutzung eines solchen Mittels zur Tötung eines Menschen ist allerdings dann kein Mord mit einem gemeingefährlichen Mittel, wenn der Täter es in der konkreten Tatsituation unter Berücksichtigung seiner persönlichen Fertigkeiten so beherrscht, daß deswegen eine Gefährdung jedenfalls einer Mehrzahl von Menschen ausgeschlossen ist, wenn er z.B. Gift nicht in den Kessel einer Gemeinschaftsküche, sondern in den Teller des Opfers gibt.«[147] Im Ergebnis kommt es für die Annahme einer Tötung durch gemeingefährliche Mittel hiernach darauf an, dass das vom Täter eingesetzte Tötungsmittel »in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat.«[148] Exemplarisch sind insoweit Brand-, Spreng- und radioaktive Stoffe sowie Schnellfeuerwaffen, mit denen in eine Menschenmenge geschossen wird, aber auch ein PKW, der nachts von einem Geisterfahrer auf einer Autobahn entgegen der Fahrtrichtung geführt wird.[149] Ob es tatsächlich zu einer konkreten Gefährdung mehrerer Personen gekommen ist, ist für die Tatbestandsverwirklichung ohne Bedeutung, es genügt, dass eine hinreichende Gefährdung im Einzelfall möglich gewesen ist.[150]
69 (4) Leitentscheidungen: BGHSt 23, 119, 120f.; Arglosigkeit Schlafender & Motivbündel:Wenige Tage nachdem ein Mann mit seiner Lebensgefährtin eine von ihm eingerichtete Wohnung bezogen hat, kommt es zwischen ihnen zu einer heftigen Auseinandersetzung, an deren Ende die Lebensgefährtin den Mann aus der Wohnung verweist. In der darauffolgenden Nacht begibt er sich unbemerkt in die Wohnung und erschlägt die Lebensgefährtin und ihren gemeinsamen Sohn, die sich zum Schlafen niedergelegt haben. Hierdurch möchte der Mann sich für die gefühlte Demütigung rächen. In erster Linie geht es ihm aber darum zu verhindern, dass seine Lebensgefährtin eine neue Beziehung eingeht und dass andere die von ihm eingerichtete Wohnung nutzen. – Es liegt eine heimtückische Tötung vor, da der Mann die Arg- und Wehrlosigkeit der Lebensgefährtin sowie des Sohnes ausgenutzt hat. Die die Wehrlosigkeit begründende Arglosigkeit entfällt nicht deshalb, weil die Tatopfer schliefen und daher nicht in der Lage waren, den Angriff zu bemerken. Vielmehr nimmt derjenige, der sich zum Schlaf niederlegt, seine Arglosigkeit regelmäßig mit in den Schlaf und legt sie bis zum Zeitpunkt des Aufwachens auch nicht wieder ab. Erfüllt ist ferner das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes. Zwar können die Enttäuschung des Mannes und die von ihm gefühlte Demütigung noch nachvollzogen werden. In Fällen, in denen der Tötungsentschluss |34|auf mehreren Motiven beruht, ist bei der Bewertung der Tat jedoch auf die bewusstseinsdominanten Motive abzustellen. Dies waren vorliegend die eigensüchtigen Erwägungen des Mannes, dass seine Lebensgefährtin keine neue Beziehung eingehen und niemand außer ihm von der neu eingerichteten Wohnung profitieren soll.
70 BGH NStZ 2006, 167, 168; Gemeingefährliches Mittel:Der Betreiber eines Lokals, der infolge starken Alkoholkonsums eine BAK von 2,2 ‰ aufweist, gerät im Anschluss an eine Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin in eine depressive Stimmung. Er begibt sich hierauf in seinen PKW und lenkt diesen mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h über einen Gehweg, auf dem sich die Außenterrassen von zwei Cafés befinden. Der PKW streift 5 Personen und verletzt diese, 3 weitere Personen können rechtzeitig zur Seite springen. Zuletzt erfasst der Lokalbetreiber mit dem Fahrzeug einen an einem Tisch sitzenden Mann, der unter das Fahrzeug gezogen und lebensgefährlich verletzt wird. Die Tötung und Verletzung von Menschen hatte der Lokalbetreiber in Kauf genommen. – Der Lokalbetreiber ist unter anderem strafbar wegen versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln. Gemeingefährliche Mittel sind solche, die in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden können, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Entscheidend ist dabei nicht die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels, sondern die Wirkung in der konkreten Situation, so dass das Mordmerkmal auch dann erfüllt sein kann, wenn ein nach seiner äußeren Beschaffenheit ungefährliches Mittel auf gemeingefährliche Weise eingesetzt wird. Da die Anzahl der durch sein Fahrzeug gefährdeten Personen für ihn nicht berechenbar war und er den Umfang der durch die unkontrollierte Fahrt verursachten Gefährdung nicht beherrschen konnte, hat der Lokalbetreiber die Tat mit einem gemeingefährlichen Mittel begangen.
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