Übersicht 12
Bundesstaatsprinzip
1. Begriff: Ein Bundesstaat ist ein Gesamtstaat, bei dem die Ausübung der Staatsgewalt auf einen Zentralstaat (Bund) und mehrere Gliedstaaten (16 Länder) aufgeteilt ist.
2. Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern:
2.1 Grundprinzip (Art. 30 GG): Grundsätzlich sind die Länder für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig, soweit das GG keine andere Regelung trifft oder zulässt.
2.2 Zuständigkeitszuweisungen im Einzelnen:
2.2.1 durch Spezialregelungen, z. B. Art. 32 GG (Auswärtige Beziehungen: Bund) oder Art. 104a ff. GG (Finanzwesen: Bund),
2.2.2 oder nach Staatsfunktionen:
– Art. 70 ff. GG: Gesetzgebung (überwiegend Bund)
– Art. 83 ff. GG: Verwaltung (überwiegend Länder),
– Art. 92 ff. GG: Rechtsprechung (überwiegend Länder).
Das – historisch gewachsene – Bundesstaatsprinzip ist für die Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland von herausragender Bedeutung, da alle Staatsgewalten bzw. Zuständigkeiten entweder auf den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland oder auf die 16 Bundesländer als Gliedstaaten aufgeteilt sind.
2.2.2 Kompetenzen im Schulrecht
Da das Grundgesetz dem Bund im Bereich des Schulwesens und des Schulrechts keine Kompetenzen zuweist, ist dieser wichtige Aufgabenbereich heute fast der einzige, den die Länder alleine gestalten können, sowohl was die Gesetzgebung und die Verwaltung als auch die immer wieder heftig umstrittene Schulpolitik anbelangt. Und dementsprechend unterschiedlich sind Schulrecht und Schulorganisation in den 16 Bundesländern ausgestaltet, vielfach zum Leidwesen von Schülern und Eltern, die in ein anderes Bundesland umziehen, wo „vieles ganz anders ist“ ( Kap. 9und 10).
2.2.3 Kompetenzen im Sozial- und Hochschulrecht
Völlig anderes stellt sich die Situation im Bereich des Sozialrechts dar. Dieses ist heute fast ausschließlich durch Bundesgesetze geregelt ( Kap. 4bis 8, 10und 11); dies vor allem deshalb, damit alle Bürgerinnen und Bürger im gesamten Bundesgebiet dieselben Sozialleistungen erhalten können. Die Länder haben hier nur geringe legislative Gestaltungsspielräume im Bereich von Landesausführungsrecht zum Bundesrecht. Die Verwaltung obliegt teilweise Sozialversicherungsträgern auf Bundes- und Landesebene, teilweise Landes- oder Kommunalverwaltungen.
Im Bereich des Hochschulrechtes wiederum überwiegen Landeskompetenzen: sowohl im Bereich der Hochschulgesetzgebung als auch mit Blick auf die Organisation der Hochschulen, denen dabei wiederum grundgesetzlich geschützte Selbstverwaltungsrechte zustehen (gemäß Art. 5 Abs. 3GG). Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bestehen u. a. im Bereich der Ausbildungsförderung und der Beruflichen Bildung ( Kap. 8und 10) sowie der (Mit-) Finanzierung von Hochschulen, Forschung und Wissenschaft (vgl. Art. 91a ff. GG).
2.3 Wichtige Grundrechte nach dem Grundgesetz
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zuletzt deshalb ein Rechtsstaat ( Kap. 2.1.2), weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte gewährleistet. Die Grundrechte nach Art. 1 bis 19 GG beinhalten subjektive Rechte gegenüber dem Staat. Sie sind weitgehend Abwehrrechte, zum Teil aber auch auf Teilhabe und auf Leistungen des Staates gerichtet (Näheres zu den Grundrechten: Hömig/Antoni 2013, Vorbemerkungen zu den Grundrechten vor Art. 1 GG; Wabnitz 2014a, Kap. 8.3; Kievel et. al. 2013, 2.2; Trenczek et. al. 2014, Kap. I. 2.2). Die Übersicht 13vermittelt einen Überblick über die einzelnen Grundrechte.
Übersicht 13
Grundrechte nach Art. 1 bis 19 GG
1. Art. 1 Abs. 1und 2: Menschenwürde, Menschenrechte
2. Freiheitsgrundrechte
2.1 Art. 2 Abs. 1– Freie Entfaltung der Persönlichkeit
2.2 Art. 2 Abs. 2Satz 1 – Leben, körperliche Unversehrtheit
2.3 Art. 2 Abs. 2Satz 2 – Freiheit der Person
2.4 Art. 4 – Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Kriegsdienstverweigerung
2.5 Art. 5 – Meinungs- und Pressefreiheit, Rundfunk, Film, Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre
2.6 Art. 6 – Ehe, Familie
2.7 Art. 7 – Schulwesen
2.8 Art. 8 – Versammlungsfreiheit
2.9 Art. 9 – Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit
2.10 Art. 10 – Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
2.11 Art. 11 – Freizügigkeit
2.12 Art. 12 – Beruf
2.13 Art. 13 – Wohnung
2.14 Art. 14 – Eigentum, Erbrecht; Art. 15 – Sozialisierung
2.15 Art. 16 – Staatsbürgerschaft, Auslieferung
2.16 Art. 16a – Asyl
2.17 Art. 17 – Petition
3. Gleichheitsrechte
3.1 Art. 3 Abs. 1– Allgemeiner Gleichheitssatz
3.2 Art. 3 Abs. 2– Gleichberechtigung von Männern und Frauen
3.3 Art. 3 Abs. 3– Differenzierungsverbote
2.3.1 Art. 1, 2 und 3 GG
Aufgrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur stehen an der Spitze der Grundrechtsartikel des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1Satz 1 und 2 GG) die beiden folgenden Sätze: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“; das deutsche Volk bekennt sich darum gemäß Art. 1 Abs. 2GG „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Das Grundgesetz sieht mithin die Menschenwürde und zudem die freie Entfaltung der Persönlichkeit als oberste Rechtswerte und tragende Konstitutionsprinzipien des GG an (BVerfGE 6, 36; 12, 53; 109, 149).
Art. 1 Abs. 1und 2GG ist von der Rechtsprechung insbesondere als Auslegungsmaßstab für die folgenden Grundrechtsbestimmungen und für Regelungen in Gesetzen zur Anwendung gebracht worden. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel auf die Bedrohung der Menschenwürde durch moderne Entwicklungen in Wissenschaft und Technik (etwa durch Abhörgeräte, Gentechnologie, Datenspeicherung und -übermittlung) reagiert oder festgestellt, dass auch Gefangene im Strafvollzug Anspruch auf menschenwürdige Behandlung haben (BVerfGE 33, 1). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht aufgrund von Art. 1 Abs. 1GG auch ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfGE 125, 175).
Das „klassische“ Freiheitsgrundrecht ist in Art. 2 Abs. 1GG verankert: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Die Rechtsprechung hat auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1sowie Art. 1 Abs. 1GG u. a. ein allgemeines Persönlichkeitsrecht entwickelt (dazu: Hömig/Antoni 2013, Art. 1, Rz. 10 ff.) oder ein Grundrecht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung im Bereich des Datenschutzes (BVerfGE 65, 1).
Der dritte fundamentale Verfassungsgrundsatz ist der der Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 3 Abs. 1GG: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Der Gleichheitsgrundsatz hat große praktische Bedeutung u. a. in der Leistungsverwaltung, insbesondere im Sozialrecht, im Wahlrecht oder im Steuerrecht (Näheres dazu: Hömig/Antoni 2013 Art. 3, Rz. 2 ff.). Auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1GG sind durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt Regelungen einzelner Gesetze wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben worden (vgl. BVerfGE 3, 58; 18, 38; 71, 39; 81, 1; 82, 126; 84, 239; 93, 121, 165; 93, 335, 408).
Art. 3 Abs. 2und 3GG enthalten spezielle Gleichheitsrechte betreffend Männer und Frauen ( Abs. 2) sowie Diskriminierungsverbote wegen des Geschlechtes, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen ( Abs. 3). Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche gesetzliche Bestimmungen wegen Verstoßes insbesondere gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 Abs. 2Satz 1 GG) für verfassungswidrig erklärt (z. B. BVerfGE 43, 213; 84, 9; 89, 276).
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