Abbildung 22:
Anteil der Arbeitsmigration an der Gesamtmigration 2017 (in Millionen)
Quelle: ILO 2018, S.6.
Insgesamt findet Arbeitsmigration vor allem von ärmeren in reichere Regionen der Welt statt. Über zwei Drittel aller Arbeitsmigrant*innen leben in sog. Hochlohnländern, weitere 20 Prozent in Ländern mit höherem oder mittlerem Einkommen. Dementsprechend entfällt der Großteil der Arbeitsmigration auf Regionen mit überwiegend hohem Einkommen: ca. ein Drittel auf Europa, knapp ein Viertel auf Nordamerika und rund 15 Prozent auf die arabischen Staaten. Das restliche Viertel der Arbeitsmigrant*innen verteilt sich auf die anderen Regionen.
Abbildung 23:
Verteilung der Arbeitsmigration auf Hoch- und Niedriglohnländer 2017
Quelle: ILO 2018, S.10.
Abbildung 24:
Verteilung der Arbeitsmigration auf die Weltregionen 2017
Quelle: ILO 2018, S.15.
4.3 Motive und Erscheinungsformen der Arbeitsmigration
Diese Zahlen legen nahe, dass ein Hauptmotiv der Arbeitswanderung die höheren Löhne in den OECD-Ländern sind. Tatsächlich stellen ‚höhere Löhne‘ aber immer nur ein Motiv für Arbeitsmigration neben verschiedenen anderen Faktoren dar, wie wir auch im Kapitel 2 Migrationstheorien gesehen haben. So spielen Netzwerke eine Rolle oder auch der Reiz, einmal im Ausland gearbeitet zu haben. In der Realität ist es häufig ein Mix aus verschiedenen Gründen, Hoffnungen, aber auch Zwängen, die Menschen dazu veranlassen zu migrieren. „Migrationsentscheidungen unterliegen in der Regel multiplen Antrieben“, wie der Migrationshistoriker Jochen Oltmer schreibt (Oltmer 2013, S.33).
Ohne Zweifel können aber in der Globalisierung und in der fortschreitenden Ausdifferenzierung von globalen Wertschöpfungsketten und Leistungserstellungsprozessen wesentliche Triebkräfte für die zunehmende Internationalisierung von Arbeit gesehen werden (Pries 2010). So verlassen sich bereits viele Branchen auf den Einsatz von billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland, um ihre Produktion kostengünstiger und damit weltmarktfähiger zu gestalten. Ein Beispiel sind etwa Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, ohne die die Ernte in vielen Ländern der OECD-Welt gar nicht mehr eingefahren werden könnte. „Durch den weltweiten Transfer von Kapital und Gütern“ ist zudem ein wachsender „globaler Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Arbeitskräfte entstanden“ (Hödl et al. 2000, S.14), auf den wir → im Kapitel 5 Migration von Hochqualifizierten näher eingehen.
Ein weiterer Faktor ist in der demografischen Entwicklung zu sehen. So ist für die alternden Gesellschaften Europas, aber auch in anderen Teilen der OECD-Welt, eine zunehmende Arbeitskräftesicherung aus dem Ausland eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Wie wir schon im → Kapitel 1 Grundbegriffe und aktuelle Trends gesehen haben, werden viele reiche Staaten (allen voran Deutschland und Japan) in Zukunft in großem Maße auf Arbeitszuwanderung angewiesen sein, wollen sie ihre herausgehobene Stellung im Weltmarkt nicht verlieren. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission das Erwerbspersonenpotential bis 2070 EU-weit um 18 % zurückgehen (Europäische Kommission 2020: 16). Allein in Deutschland könnte das Erwerbspersonenpotential bis 2050 um 16,2 Millionen Arbeitskräfte schrumpfen. Um dies auszugleichen, wäre nach einer Berechnung der Bertelsmann-Stiftung eine Netto-Zuwanderung von jährlich bis zu 500.000 Menschen notwendig (Fuchs et al. 2015). Schon heute herrscht in manchen Branchen ein Arbeitskräftemangel, wie etwa im Pflegebereich. Auch technische Berufe sind vermehrt von Engpässen betroffen, allen voran im metallverarbeitenden Gewerbe und dem Maschinenbau.
Typisch für die Arbeitsmigration ist dabei vor allem ihr ‚temporärer‘ Charakter. So wird versucht, die Arbeitsmigration zeitlich zu befristen, um auf eventuelle Konjunkturschwankungen flexibel reagieren zu können und mögliche Folgekosten infolge einer wirklichen Integration in die Gesellschaft zu vermeiden. Genau aus diesem Grund waren die oben angesprochen Gastarbeiter-Zuwanderungen in den USA und in Europa zunächst auch zeitlich befristet. Unterkünfte wurden anfangs auf den Firmengeländen bereitgestellt und eine soziale Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft, geschweige denn Integration, war keine Priorität. Diese Grundform findet sich sogar heute noch in vielen typischen Bereichen der Arbeitsmigration auch in Europa, etwa in der Landwirtschaft, wo Saisonarbeitskräfte für drei, vier Monate angeworben, in provisorischen Unterkünften auf oder in der Nähe der Höfe wohnen und anschließend wieder in ihr Herkunftsland gehen (sollen). Auch im Pflegebereich hat sich in den letzten Jahren eine Praxis etabliert, bei der die ausländischen Pflegekräfte zeitlich befristet beschäftigt werden und während ihrer Zeit im Ausland in den Haushalten ihrer Arbeitgeber*innen wohnen. Im Baugewerbe, einem weiteren klassischen Feld für Arbeitsmigrant*innen, werden sog. Werkverträge vergeben, die ebenfalls für die Dauer der Werkserstellung zeitlich befristet sind, die Bezahlung zudem nur bei Erfüllung des Werks erfolgt. In diesen Fällen werden die ausländischen Bauarbeiter*innen nicht einmal mehr bei den inländischen Unternehmen angestellt (Hunger 2000). Ähnliches gilt heute auch für Schlachthöfe.
Allerdings hat die Geschichte gezeigt, dass eine zeitliche Befristung der Arbeitsmigration in vielen Fällen kaum einzuhalten ist und die eigentlich temporäre Zuwanderung sich in eine dauerhafte Einwanderung verwandelt. Hierfür ist ein Bündel von Faktoren verantwortlich. Nicht zuletzt liegt dies an dem Wunsch der Arbeitgeber*innen, ihre eingearbeiteten ausländischen Arbeitskräfte nicht immer wieder von neuem verlieren zu wollen deswegen sie von selbst auf eine Verstetigung der Arbeitszuwanderung drängen. Dies ist auch bei der erwähnten „Gastarbeiterzuwanderung“ nach Deutschland der Fall gewesen, und gilt auch in vielen anderen Ländern, wie z.B. den USA. Der amerikanische Arbeitsmigrationsforscher Philip Martin von der University of California, Davis hat hierfür ein schönes Bonmot geprägt: „There is nothing more permanent than temporary foreign workers“ (Martin 2001).
Die klassische Theorie sog. segmentierter Arbeitsmärkte (Piore 1979) gibt eine Erklärung, warum viele Arbeitsmigrant*innen eher im unteren Segment des Arbeitsmarktes tätig sind (und dort vielfach verbleiben). Hiernach gibt es in jedem Staat in mehr oder weniger ausgeprägter Form sog. duale Arbeitsmärkte. Ein Segment des Arbeitsmarktes (der primäre Sektor) zeichnet sich durch hohe Löhne, einen relativ gesicherten Status (Kündigungsschutz etc.) und relativ gute Arbeitsbedingungen aus, während ein anderes Segment (der sekundäre Sektor) sich durch niedrige Löhne, eine geringe Arbeitsplatzsicherheit und kaum Aufstiegsmöglichkeiten auszeichnet. Wenn einheimische Arbeitskräfte vom sekundären in den primären Sektor aufsteigen, wächst die Nachfrage im sekundären Arbeitsmarkt, die dann durch migrantische Arbeitskräfte gedeckt wird. Ein Aufstieg in den primären Sektor bleibt zudem oftmals aus.
In Ländern mit einem hohen Anteil an temporären Vertragsarbeiter*innen findet sich dabei auch eine Segregation innerhalb der migrantischen Arbeitsbevölkerung: So können etwa in Singapur hochqualifizierte Arbeitskräfte (die meist nicht Migrant*innen, sondern „Expats“ genannt werden) nach sieben Jahren einen permanenten Aufenthaltsstatus beantragen. Für sogenannte gering-qualifizierte Arbeitskräfte ist dies nicht möglich und migrantische Hausangestellte werden gar von sämtlichen Arbeitsmarktregelungen ausgeschlossen. Bei den Tätigkeiten im sekundären Arbeitsmarkt handelt es sich meist um manuelle und schlecht bezahlte Arbeit, die häufig „3D-Arbeitsplätze“ genannt werden: dirty, dangerous and demeaning (manchmal auch demanding oder difficult).
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