Uwe Hunger / Stefan Rother
Internationale Migrationspolitik
UVK Verlag · München
Prof. Dr. Uwe Hungerist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migration an der Hochschule Fulda und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.
PD Dr. Stefan Rotherist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Arnold-Bergstraesser-Institut an der Universität Freiburg.
© UVK Verlag 2021
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
ISBN 978-3-8252-4656-3 (Print)
ISBN 978-3-8463-4656-3 (ePub)
Das Buch will eine Einführung in zentrale Bereiche der internationalen Migrationspolitik bieten. Es fußt auf den Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten Lehrtätigkeit im Bereich der internationalen Migrationsforschung. Es fasst viele Diskussionen zusammen, die wir in unseren Seminaren mit interessierten und engagierten Studierenden geführt haben. Bei der Erstellung haben uns viele ehemalige Studierende geholfen. Besonderer Dank gilt dabei Dr. Stefan Metzger, Dr. Sascha Krannich, Jennifer Grunwald M.A., Manuel Erdmeier M.A., Clara Schick, Julia Seidel, Laura Ettinger, Annalena Kößer, Cara Hamann und Luisa Muhammad, die uns beim Schreiben vieler Kapitel unterstützt haben und ohne deren Hilfe dieses Buch nicht hätte fertiggestellt werden können. Prof. Dr. Dietrich Thränhardt, Dr. Elias Steinhilber, Dr. Mirjam Lücking und Hannah Riede, M.A. haben einzelne Kapitel gelesen und uns auf viele wichtige Punkte hingewiesen. Ihnen allen gilt unser Dank ebenso wie den vielen Studierenden in unseren Seminaren.
Freiburg und Münster im Juli 2020
Uwe Hunger und Stefan Rother
Hinweise zum Buch
Das Buch ist so aufgebaut, dass es innerhalb eines Semesters gut durchgearbeitet werden kann. So kann jede Woche ein Kapitel behandelt werden. Studierende finden am Ende des Kapitels weiterführende Literatur, die sie für die Vor- oder Nachbereitung eines Themas heranziehen können. Ebenfalls angefügte Fragen sollen Seminardiskussionen anregen.
1 Grundbegriffe und aktuelle Trends1
Wie viele Menschen migrieren weltweit? Welche Arten von Migration unterscheidet man? Wie wird Migration gemessen? Zählen sog. Binnenmigrant*innen (also Menschen, die innerhalb eines Landes wandern) zu den offiziellen Migrant*innen? Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Erfassung offizieller Migrationsstatistiken? Diese und weitere Fragen zu aktuellen Migrationsbewegungen werden in dem Kapitel behandelt.
1.1 Definition internationaler Migration
Migration bedeutet, wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt, wandern, von einem Ort zum andern; internationale Migration, von einem Land zum andern. Während Migration so alt ist wie die Menschheit selbst, gibt es internationale Migration seit der Zeit, in der es Länder bzw. Nationalstaaten gibt. Die Herausbildung von Nationalstaaten beginnt mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648, als in Europa die „Westfälische Staatenordnung“ etabliert wurde, die für die Entstehung von Nationalstaaten grundlegend war. Die Regulierung von Migration gehört seither zu den ureigensten Domänen des Nationalstaates. Wer auf das Territorium eines Staates kommen darf und wer nicht, liegt vor allem in seiner Hand. Nur in einigen Aspekten gibt es internationale Regelungen, die versuchen, festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Nationalstaaten möglicherweise auch gegen ihren Willen Menschen aufnehmen müssen und wie sie mit den Menschen, die zu ihnen kommen, umgehen müssen bzw. sollen. Diese Vergemeinschaftung bzw. Internationalisierung von Migrationspolitik ist besonders innerhalb der Europäischen Union weit fortgeschritten. Aber auch hier versuchen einzelne Nationalstaaten möglichst wenig von ihrer Souveränität abzugeben, wie auch der jüngste Streit in der Asylpolitik zeigt. Alle Vereinbarungen, die international gelten und Migration, die mindestens zwei Länder bzw. Nationalstaaten betrifft, regeln sollen, nennt man internationale Migrationspolitik.
Aber ab wann ist ein Mensch ein*e internationale*r Migrant*in? Sollen z.B. auch Tourist*innen oder Studierende, die ein Semester im Ausland verbringen, schon als internationale Migrant*innen gelten? Es ist nicht ganz leicht, hierfür eine allgemein gültige Definition zu finden, da auch die Ursachen und Umstände der Migration immer wieder ganz unterschiedlich sein können. Um mit diesen komplexen Fragen pragmatisch umzugehen, haben die Vereinten Nationen (United Nations, UN) 1998 eine einfache Definition vorgeschlagen, an der sich große Teile der Migrationsforschung (Koser 2007; Castles et al. 2014; Martin 2014) sowie internationale Organisationen wie etwa die International Organization for Migration (IOM) orientieren. Danach werden diejenigen Menschen zu internationalen Migrant*innen gezählt, die sich für mindestens ein Jahr außerhalb ihres gewöhnlichen Aufenthaltslandes aufhalten, unabhängig von den Wanderungsgründen (UN 1998, S.10). Nach dieser Definition sind Binnenmigrant*innen, also Migrant*innen, die innerhalb eines Landes wandern, und temporäre Migrant*innen, die nur für eine kürzere Zeit als zwölf Monate migrieren, ausgeschlossen.
Nationalstaaten und der Westfälische Frieden von 1648
Mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1648 entstand in Europa die „Westfälische Staatenordnung“, die für die Entstehung von Nationalstaaten grundlegend war. Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 ist eine Sammelbezeichnung mehrerer Kriege, die überwiegend auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ausgetragen wurden und die sowohl Religionskriege als auch ein Konflikt um die Vormachtstellung in Europa waren (für mehr Informationen siehe Wedgwood 2011). Dabei standen sich sowohl habsburgische und französische Truppen als auch Katholiken und Protestanten gegenüber. Gemeinsam mit ihren jeweiligen Verbündeten und Schutzmächten trugen die habsburgischen Mächte Österreich und Spanien ihre Interessenkonflikte mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden aus. Im Westfälischen Frieden von 1648, der in Münster und Osnabrück ausgehandelt wurde und der das Ende des Dreißigjährigen Krieges bedeutete, wurde zum ersten Mal eine Staatenordnung etabliert, die auf dem Prinzip der inneren und äußeren Souveränität territorial abgegrenzter, untereinander formal gleichberechtigter Staaten beruht. Der Territorialstaat war grundlegend für die spätere Herausbildung von Nationalstaaten.
Mit der Herausbildung von modernen Territorialstaaten gewinnt die Beziehung zwischen Staat und Staatsangehörigen an Bedeutung. Während der Staat sich zu unterschiedlichen Leistungen wie Sicherheit, Rechtsfrieden oder Wohlfahrt verpflichtet, erwartet er von seinen Staatsbürger*innen Loyalität. Wer in den Genuss dieser Leistungen kommt, wurde letztendlich über die Unterscheidung in Staatsangehörige und Ausländer*innen reguliert (Bommes 1999, S.122-140).
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