Anne Frank ist, als sie Obiges schreibt, 14 Jahre alt. Mit 15 zitiert sie selbst aus einem Buch, welches sie offenbar sehr beeindruckt hatte, dass die Jugend einsamer als das Alter sei. Das Jugendalter gilt als eine subjektiv oftmals sehr anstrengend empfundene Phase der Transformation, die u.a. eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Körperbild und Körperidealen, mit der eigenen Identität, dem Umbau der sozialen Beziehungen und der Entwicklung eines partnerschaftlichen Bindungsverhaltens beinhaltet (Oerter/Dreher 2008).
„Wie jede Lebensphase ist Jugend nicht allein durch die körperliche Entwicklung definiert, sondern zugleich durch kulturelle, wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren beeinflusst“(Hurrelmann/Quenzel 2016, 9).
Bereits Corey (1947) nennt fünf zentrale Entwicklungsaufgaben, die die Jugendlichen zu bewältigen haben. Dazu zählen die Annahme der körperlichen Veränderungen, die Loslösung von den Eltern, die Gestaltung von Peerbeziehungen und die Integration sexueller Bedürfnisse, die Entwicklung eines neuen Wertesystems und die Gewinnung einer sozialen sowie beruflichen Identität. Laut Piaget ist die Jugendphase in kognitiver Hinsicht vom Eintritt in das formal-operatorische Stadium gekennzeichnet. Nun sind beispielsweise hypothetische oder theoretische Herangehensweisen an Problemstellungen möglich.
In einem Elterngespräch klagt die Mutter einer vierzehnjährigen Jugendlichen über Folgendes: Marie will sich nichts mehr von mir sagen oder vorschreiben lassen, jeder kleinste Kommentar von mir wird als Einmischung oder Übergriff erlebt. Also lasse ich sie weitgehend in Ruhe und habe sie neulich auch nicht gefragt, ob sie mit mir Plätzchen backen will. Da war sie dann total enttäuscht und hat stundenlang auf ihrem Zimmer geheult.
Die Entwicklungsphase Adoleszenz fordert, wie in diesem Beispiel ersichtlich wird, von den Jugendlichen ebenso wie von ihrer nächsten Umgebung einen Umgang mit oftmals sehr rasch wechselnden und diametral entgegengesetzten Bedürfnissen nach vollkommener Zugehörigkeit sowie totaler Autonomie (Bräutigam 2011).
„Jugendliche sind Grenzgänger – gewissermaßen ‚borderliners‘ –, die sich im Niemandsland zwischen fremd verantworteten Leben der Kindheit und der eigenständigen Verantwortung des Erwachsenendaseins befinden und sich darin zurechtzufinden versuchen. Dieser Zustand des Übergangs verlangt es, so viel Ungewissheit und Konfliktgeladenheit auszuhalten und so viel Lernfähigkeit und Anpassungsvermögen zu erbringen, wie wohl in keinem anderen Stadium der menschlichen Entwicklung“ (Ludewig, 2001, 165).
Jugendliche sind wie bereits beschrieben in vielfacher Weise Transformationsprozessen ausgesetzt, die nicht selten zu Krisen führen. Zu diesen zählen in erster Linie Identitäts-, Selbstwert-, Beziehungs- und Autoritätskrisen (Resch 1999). Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die im Körper verankerte Identität der/ des Jugendlichen gelegt werden (Lemma 2016). Daraus können internalisierende Formen der Problemverarbeitung, z.B. Depressionen oder Essstörungen, oder auch externalisierende Formen, wie Störungen des Sozialverhaltens oder übermäßiger Alkohol und Drogenkonsum, resultieren (Seiffge-Krenke 2015).
Nach Erik Erikson (1950/2005) ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität das entscheidende Merkmal der Adoleszenz. Dabei geht es darum, ein Gefühl für die Einheitlichkeit und Unverwechselbarkeit der eigenen Person über unterschiedliche Kontexte hinweg zu erlangen. James Marcia hat dieses Konzept weiterentwickelt und weiter differenziert (Marcia 1980, Mey 1999). Er unterscheidet zwischen einer diffusen Identität, einer erarbeiteten, einer kritischen und einer übernommenen Identität. In Bezug auf jugendliche KlientInnen könnte das heißen, dass Jugendliche mit einer diffusen Identität extrem unsicher über ihre Haltung und Einstellung zu Themen wie Arbeit, politische Einstellung etc. sind, während Jugendliche mit einer erarbeiteten Identität sich bereits einen eigenen Standpunkt erarbeitet haben. Jugendliche mit einer kritischen Identität erleben sich vor allem in Abgrenzung, während Jugendliche mit einer übernommenen Identität oftmals einfach die elterlichen Werte übernehmen.
Inzwischen besteht nahezu allgemeiner Konsens darüber, dass von einer verlängerten Adoleszenz, die durchaus bis in die späten 20er gehen kann, gesprochen werden darf (Seiffge-Krenke 2012) und dass die Auseinandersetzung mit Identitätsfragen nicht länger ein Vorrecht Jugendlicher ist. Dabei ist im sozialarbeiterischen Umgang mit Jugendlichen eine gute Reflexion der eigenen Adoleszenz notwendig, weil diese Phase oftmals mit besonderen Kränkungserfahrungen verbunden ist. Im Umgang mit Jugendlichen können diese Kränkungserfahrungen leicht getriggert werden und zu emotionalen, nicht reflektierten Reaktionen wie extrem autoritär/abgrenzendem oder eher anbiederndem/gleichmachendem Verhalten gegenüber den Jugendlichen führen.
2.8 Entwicklung des mittleren und höheren Erwachsenenalters
„Man altert langsam: Zuerst altert die Lust am Leben und an den Menschen, weißt du, allmählich wird alles so wirklich, du verstehst die Bedeutung von allem, alles wiederholt sich auf beängstigend langweilige Art […] Und mit einem mal beginnt die Seele zu altern: Denn der Körper mag alt geworden sein, die Seele aber hat noch ihre Sehnsüchte, ihre Erinnerungen, noch sucht sie, noch freut sie sich, noch sehnt sie sich nach Freude. Und wenn die Sehnsucht nach Freude vergeht, bleiben nur noch die Erinnerungen oder die Eitelkeit; und dann ist man wirklich alt, endgültig“ (Márai 1942, 199f.).
Die Entwicklung des mittleren Erwachsenenalters ist ein noch recht junges Forschungsgebiet (Freund/Nikitin 2012). In diesem Rahmen sollen daher zumindest einige Hinweise zu Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen des Erwachsenenalters beschrieben werden. Die Bestimmung dieser Lebensphase erfolgt in erster Linie über die Markierung wichtiger Entwicklungsthemen, wie z.B. berufliche und familiäre Entwicklung. Dabei ist insbesondere auf den Begriff der „Sandwich-Generation“ zu verweisen; dieser meint, dass Menschen in den mittleren Jahren in der Regel zwischen zwei Generationen stehen und oftmals vielfältige Verpflichtungen gegenüber ihren eigenen Kindern und ihren alternden Eltern haben.
„Dies kann zu einer zeitlichen und auch emotionalen Belastung führen: Die vorangehende Generation – also die eigenen Eltern, können in dieser Lebensphase pflegebedürftig werden und emotionale wie auch instrumentelle soziale Unterstützung benötigen, während die eigenen Kinder noch zu Hause wohnen und sowohl materielle wie auch zeitliche und emotionale Ressourcen in Anspruch nehmen“ (Freund/Nikitin 2012, 265).
Das höhere Erwachsenenalter bezeichnet in etwa den Altersbereich von 65 bis 80 Jahren. Menschen, die älter als 80 Jahre alt sind, werden auch als hochaltrig bezeichnet. In diesen Altersphasen müssen sich Menschen zwangsweise, neben dem Funktionserhalt, auch mit der Regulation von Verlusterfahrungen – z.B. Verlust der motorischen und manchmal auch kognitiven Beweglichkeit – auseinandersetzen. In Bezug auf die intellektuelle Entwicklung gilt ein sogenanntes Zweikomponentenmodell der intellektuellen Entwicklung (Baltes 2011, Baltes et al. 1999, Lindenberger/Staudinger 2012), die zwischen alterungsanfälligen und alterungsresistenten Fähigkeiten differenzieren. Zu den alterungsanfälligen Fähigkeiten zählen die Merkfähigkeit, das räumliche Vorstellungsvermögen sowie die Aufnahme und Verarbeitung neuer Informationen. Als alterungsresistent gelten interessanterweise das Kopfrechnen, verbale Fähigkeiten und die Verfügung von Wissensbeständen. Lindenberger und Staudinger (2012) weisen darauf hin, dass mit dem Alter der Bedarf an Kultur wächst; dabei meint Kultur:
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