Das amerikanische BruttosozialproduktWirtschaft verdreifachte sich von 1870 bis 1900, und im selben Zeitraum verfünffachte sich die industrielle Produktion. Der Wert der Ausfuhren stieg in den 1870er Jahren von 500 Millionen auf knapp 1 Milliarde Dollar pro Jahr, verharrte bis 1896 in etwa auf dieser Höhe und explodierte dann geradezu auf ca. 1,5 Mrd. im Jahr 1900, ca. 2 Mrd. Dollar 1910 und ca. 3 Mrd. 1915. Einer ähnlichen Kurve folgten die Einfuhrwerte, wobei jedoch die Ausfuhrüberschüsse ab 1896 zunahmen. Im späten 19. Jahrhundert wurden zwar insgesamt weniger als 10 Prozent der amerikanischen Produktion exportiert, aber in der LandwirtschaftLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. waren es 20 Prozent, und bei einzelnen agrarischen Produkten wie BaumwolleBaumwolle, Weizen und Tabak lag der Exportanteil noch viel höher. Kaum anders verhielt es sich mit der IndustrieproduktionIndustrialisierungProgressivismus, die einen wachsenden Teil der Gesamtexporte ausmachte (1880 15 Prozent, 1900 dagegen schon über 30 Prozent): Insgesamt gingen im Jahr 1900 nur 9 Prozent der amerikanischen Rohstoffe und IndustriegüterIndustrialisierungProgressivismus in den Export, aber für einzelne Branchen wie Eisen und Stahl (15 Prozent), Nähmaschinen (25 Prozent), Kupfer (50 Prozent) und ErdölprodukteErdöl (57 Prozent) waren die Ausfuhren von großer Bedeutung. Aus gesamtwirtschaftlichenWirtschaft Gründen blieb der Export auch deshalb so wichtig, weil die USA für ihre Entwicklung weiterhin ausländisches Investitionskapital benötigten und die anfallenden Zinsen nur aufbringen konnten, wenn sie eine aktive Handelsbilanz erzielten.
Abb. 13: Der Anteil der USA an der weltweiten Industrieproduktion: 1870 und 1913
Die Krise der 1890er Jahre mit ihren gefährlichen Folgen für den inneren Frieden und die soziale Stabilität führten viele Amerikaner auf „Überproduktion“ und eine „SättigungWirtschaft“ des Binnenmarktes zurück, die nur durch steigende Exporte ausgeglichen werden konnten. Da sich die europäischen Mächte (wie die USA selbst) mit hohen Zollmauern umgeben hatten und darüber hinaus seit den 1880er Jahren AfrikaAfrika praktisch unter sich aufteilten, schienen den Vereinigten Staaten nur noch in LateinamerikaLateinamerika und AsienAsien zukunftsträchtige Märkte offen zu stehen. Aber selbst hier drohten Konkurrenten wie GroßbritannienGroßbritannien, DeutschlandDeutschland, RusslandRussland und JapanJapanImperialismus, die den USA militärisch weit überlegen waren, die amerikanischen Interessen an den Rand zu drängen. All das ließ es geraten erscheinen, dass die Amerikaner den Blick stärker nach außenAußenpolitikImperialismus richteten und auf der weltpolitischen Bühne zielstrebiger und offensiver auftraten.
Obwohl sich diese Probleme bereits im Gilded Age Gilded Age abzeichneten, betrieben die amerikanischen Regierungen AußenpolitikAußenpolitikImperialismus zunächst nur kurzatmig und ohne ein klares Konzept. In der Amtszeit von Präsident Chester A. ArthurArthur, Chester A. (1881–1885) war zwar in sehr bescheidenem Umfang mit der Modernisierung der Kriegsflotte begonnen worden, die noch vorwiegend aus Holzschiffen bestand, und im Pazifik hatten sich die USA einige Inselstützpunkte, unter anderem auf SamoaSamoa (in Absprache mit DeutschlandDeutschland und EnglandGroßbritannien) und auf MidwayMidway-Inseln verschafft. Weiter gehende ExpansionsbestrebungenAußenpolitikImperialismus im Pazifik (HawaiiHawaii) und in der KaribikKaribik (KubaKuba, Virgin IslandsVirgin Islands, Dominikanische RepublikDominikanische Republik) fanden aber kein öffentliches Interesse und stießen im Kongress auf Ablehnung. Es blieb einem unscheinbaren Offizier der US Navy, Captain Alfred T. MahanMahan, Alfred T., vorbehalten, die intellektuellen Konsequenzen aus dem Aufstieg der USA zur Industriemacht und der dadurch veränderten Weltlage zu ziehen. In seinem 1890 veröffentlichten Werk The Influence of Seapower Upon History The Influence of Seapower Upon History (1890), zu dem ihn die Beschäftigung mit der römischen Geschichte inspiriert hatte, forderte er dazu auf, die Weltmeere nicht länger als Barrieren, sondern als die großen Verkehrsadern der Zukunft zu betrachten. Ihre Kontrolle und Beherrschung würden das Schicksal der Völker und Staaten entscheiden, was aus amerikanischer Sicht eine leistungsfähige Handelsflotte und eine mächtige Kriegsflotte erfordere. Wie andere Politiker und Militärs vor ihm, forderte MahanMahan, Alfred T. den Bau einer Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik durch Zentralamerika nach dem Vorbild des 1869 eröffneten Suezkanals. Für ihn war dieses Projekt aber nur Teil einer größeren geostrategischen Vision, in der er den Flottenbau, die Sicherung des freien Zugangs zu überseeischen Märkten, die Annexion Hawaiis und die Gewinnung von weiteren Stützpunkten in der Karibik und im Pazifik zu einem kohärenten, in sich schlüssigen Gesamtkonzept zusammenfügte. Dieser umfassende Ansatz übte eine starke Faszination auf die noch sehr schmale außenpolitische Elite der USA aus und beeinflusste insbesondere Männer wie Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore, Henry Cabot LodgeLodge, Henry Cabot und Elihu RootRoot, Elihu. Erste konkrete Auswirkungen zeitigten MahansMahan, Alfred T. Theorien bereits zu Beginn der 1890er Jahre, als der Kongress den Bau von drei modernen Schlachtschiffen für die geplante two-ocean fleet genehmigte. Nach ihrer Indienststellung 1893 rückten die USA immerhin vom dreizehnten auf den siebten Platz in der Rangfolge der Seemächte vor. Mit dem Flottenbau, der vor allem der Eisen- und Stahlindustrie zugutekam, begann das Zweckbündnis zwischen Militärs, Politikern und Industriellen, das im Laufe der Zeit immer wichtiger werden sollte. Die Heeresstärke lag dagegen immer noch bei 25.000 Mann, und vereinzelte Plädoyers für eine WehrpflichtarmeeWehrpflicht nach europäischem Muster fielen auf taube Ohren.
In den 1890er Jahren begann allerdings auch schon der Übergang von der englischenGroßbritannienLateinamerika auf die US-amerikanische Hegemonie in LateinamerikaLateinamerika. Sichtbaren Ausdruck fand diese veränderte Machtstruktur der westlichen Hemisphäre in der Krise von 1895, in der Präsident Grover ClevelandCleveland, Grover und Außenminister Richard OlneyOlney, Richard die Londoner Regierung zwangen, eine amerikanische Vermittlung im Grenzstreit zwischen VenezuelaVenezuela und Britisch-GuyanaBritisch-Guyana zu akzeptieren. OlneyOlney, Richard hatte bei dieser Gelegenheit der Monroe-DoktrinAußenpolitikMonroe-DoktrinMonroe-Doktrin, die von den Europäern nie ganz ernst genommen worden war, zumindest rhetorisch „schärfere Zähne“ verliehen. Ein politisches Arrangement der beiden angelsächsischen Mächte lag aber vor allem im Interesse GroßbritanniensGroßbritannienLateinamerika, das durch den Rüstungswettlauf zur See mit dem DeutschenDeutschlandBeziehungen zu Deutschland vor 1949Vor dem Ersten Weltkrieg Reich, die Kolonialrivalitäten mit FrankreichFrankreichBeziehungen bis 1919 und den Buren-KonfliktBurenkrieg in SüdafrikaSüdafrikaAfrika schwer belastet war. Die BritenGroßbritannienLateinamerika verfolgten natürlich weiterhin ihre wirtschaftlichen Interessen in Lateinamerika, aber sie erkannten von nun an zumindest inoffiziell die politische Vorrangstellung der USA in der westlichen Hemisphäre an. Das rapprochement setzte sich nach dem spanisch-amerikanischenSpanienSpanisch-Amerikanischer KriegAußenpolitikSpanisch-Amerikanischer Krieg (1898) Krieg von 1898 fort, als die Londoner Regierung im Hay-Pauncefote-AbkommenAußenpolitikHay-Pauncefote-Abkommen (1901)Hay-Pauncefote-Abkommen (1901) 1901 auf ihre Kanalbaurechte in Zentralamerika verzichtete. Auch bei der endgültigen Grenzregelung zwischen KanadaKanadaGrenzvereinbarungen und den USA im Yukon-GebietYukon Territory, wo Ende des 19. Jahrhunderts reiche Goldlager entdeckt worden waren, kamen die Engländer 1903 den Wünschen der Roosevelt-Administration weit entgegen. Auf diese Weise wollten sie sich in Europa den „Rücken freihalten“ und gleichzeitig eventuellen Expansionsabsichten der USA in Richtung Kanada vorbeugen. Die Kanadier fühlten sich in der Grenzfrage allerdings von LondonLondon im Stich gelassen und entwickelten ein immer ausgeprägteres Nationalbewusstsein, mit dem sie sich sowohl vom Mutterland als auch von den Vereinigten Staaten abgrenzten. In Lateinamerika und der KaribikKaribik bescherte das britischeGroßbritannienLateinamerika Einlenken den USA jedoch einen größeren Handlungsspielraum, den sie unter der Führung von Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore entschlossen ausnutzten.AußenpolitikImperialismus
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