Wie überall in der Rechtswissenschaft ist es auch im Arbeitsrecht unerlässlich, exakt mit den in den einzelnen Rechtsnormen verwendeten Begriffen umzugehen. Im Arbeitsrecht erhalten diese ihre genaue Ausprägung oftmals erst aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und anderer Obergerichte.
1.2.1Arbeitnehmer
Arbeitnehmer ist nach § 611a BGB, wer im Dienste eines anderen zur Leistung einer weisungsgebundenen, fremdbestimmten Arbeit in persönlicher Abhängigkeitverpflichtet ist. Im Gegensatz zu einem Selbstständigen („Freiberufler“) kann ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht frei gestalten und seine Arbeitszeit sowie regelmäßig auch seinen Arbeitsort nicht frei bestimmen. Er unterliegt den fachlichen und organisatorischen Weisungen des Arbeitgebers (§ 611a Abs. 1 S. 3 BGB).
Beispiel
S arbeitet als Streetworkerin für einen freien Jugendhilfeträger in einer Großstadt. Vom Träger erhält sie Anweisungen, zu welchen Tagen und Uhrzeiten sie an welchen Standorten präsent sein soll. S kann nicht selbst entscheiden, wann und wo sie ihre Angebote platziert.
Selbst wenn eine weitgehende fachliche Selbstständigkeit gegeben ist, liegt eine Arbeitnehmereigenschaft vor, wenn die betreffende Person hinsichtlich Ort und Zeit der Arbeitsleistung in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert ist oder aus anderen Gründen eine persönliche Abhängigkeit vorliegt.
Beispiel
Sozialarbeiter S ist bei einem freien Träger als Vollzeitkraft für die berufsbezogene Sozialarbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt. Er kann zwar selbst bestimmen, welche konkreten Angebote und Kurse er für die Zielgruppe entwickelt und durchführt; es ist aber klar geregelt, wie viele Stunden pro Woche seine Arbeitszeit beträgt und zu welchen Zeiten er in seinem Büro persönlich erreichbar sein muss. S ist Arbeitnehmer.
Da die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Selbstständigkeit oftmals nicht eindeutig ist, muss im Einzelfall immer eine Gesamtschau der Verhältnissevorgenommen werden (§ 611a Abs. 1 S. 5 BGB). In diese ist bspw. auch einzubeziehen, ob die beschäftigte Person einem einzigen Vertragspartner ihre gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellt und ob sie berechtigt ist, die Tätigkeit weiter zu delegieren (z. B. an eigene Mitarbeiter oder Subunternehmer) oder in eigener Person die Leistung erbringen muss (§ 613 BGB). Des Weiteren wird als Indiz zu beachten sein, inwieweit Urlaubszeiten mit dem jeweiligen Betrieb abgestimmt werden müssen, ob im Fall von Krankheit eine Lohnfortzahlung bezahlt wird oder ob alle Arbeitsmaterialien (z. B. Computer, Büromaterial, Dienstwagen) bereitgestellt werden. Zudem ist zu prüfen, wem im konkreten Einzelfall das unternehmerische Risiko obliegt, wer also dafür haften muss, wenn die vereinbarte Leistung nicht wie gewünscht erbracht wurde.
Führt die Gesamtschau der konkreten Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses, so ist völlig unerheblich, ob der Arbeitnehmer im Vertrag als „Honorarkraft“, „Praktikant“, „Subunternehmer“ etc. bezeichnet wurde. Die Bezeichnung ist nicht maßgeblich; entscheidend sind ausschließlich die tatsächlichen Verhältnisse (§ 611a Abs. 1 S. 6 BGB). Liegt also aufgrund der Umstände ein Arbeitsverhältnis vor, dann ist auch das gesamte Arbeitsrecht auf dieses anzuwenden.
Beispiel
Kinderpfleger K ist als „freiberufliche Ergänzungskraft auf Honorarbasis“ für eine Kita tätig. Im Rahmen des entsprechenden Vertrages wird eine tägliche Präsenzzeit des K in der Kita von 7 bis 13 und 15 bis 17 Uhr festgeschrieben. Zudem hat K „nach Bedarf auf Anweisung der Leitung zusätzliche Zeiten“ zu leisten, „den fachlich-konzeptionellen Vorgaben der Einrichtungsleitung Folge zu leisten“ und alle „urlaubsbedingten Abwesenheiten mindestens sechs Wochen vor Urlaubsantritt“ mitzuteilen. Für seine Tätigkeit erhält er einen „Stundensatz von 11,50 EUR“. Die Umstände des Falles deuten darauf hin, dass K vorliegend fremdbestimmt und weisungsabhängig tätig ist. Trotz der Bezeichnung „freiberuflich“ wurde vorliegend ein Arbeitsvertrag geschlossen; K ist als Arbeitnehmer zu behandeln.
Da die Abgrenzung von Arbeitnehmerschaft und freier Mitarbeit mitunter extrem schwierig ist und immer neue Formen sog. „Scheinselbstständigkeit“zu beobachten sind, um die gesetzlichen Arbeitgeberpflichten zu umgehen, besteht in § 7a SGB IV die Möglichkeit, die Beschäftigteneigenschaft in einem sog. „Statusfeststellungsverfahren“ durch feststellenden Verwaltungsakt der Deutschen Rentenversicherung Bund (§ 7a Abs. 2 SGB IV) zumindest in Bezug auf die sozialversicherungsrechtliche Situation des Betroffenen rechtsverbindlich klären zu lassen. Hierbei werden dieselben Kriterien angewendet wie bei Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft nach dem BGB. Allerdings entfaltet die entsprechende Entscheidung lediglich eine Bindungswirkung innerhalb der Sozialversicherung (§ 77 SGG). Wird also festgestellt, dass eine in einem Betrieb eingesetzte Person „Beschäftigter“ ist, hat der Arbeitgeber für diesen auch die anfallenden Sozialversicherungsabgaben zu entrichten.
Einzelne Gesetze des Arbeitsrechts beziehen im Einzelfall über die Arbeitnehmer im eigentlichen strengen Sinne hinaus weitere Beschäftigtengruppen, etwa die Auszubildenden, die in Heimarbeit Beschäftigten i.S.v. § 1 des Heimarbeitsgesetzes (HAG) oder sonstige Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen (s. u.) anzusehen sind, in den Arbeitnehmerbegriff ein. Es ist daher immer darauf zu achten, welcher genaue Arbeitnehmerbegriff für die in einem bestimmten Gesetz geregelten Fragestellungen maßgeblich ist.
Beispiel
Das BUrlG definiert in § 2 auch die Auszubildenden als Arbeitnehmer und gewährt ihnen die in diesem Gesetz vorgesehenen Urlaubsansprüche. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie damit auch Arbeitnehmer i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sind. Für Kündigungen von Auszubildenden gilt nämlich nicht das KSchG, sondern die Sonderregelung im Berufsbildungsgesetz (BBiG, Kap. 4.5.6).
Keine Arbeitnehmersind dagegen:
• Beamte, Richter und Soldaten, denn hier besteht ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis, das durch eine öffentlich-rechtliche Ernennung begründet wird und nicht durch einen zivilrechtlichen Vertrag.
•Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschengelten gemäß § 221 Abs. 1 SGB IX als „arbeitnehmerähnliche Personen“.
•Teilnehmende an sozialrechtlichen Beschäftigungsmaßnahmen, etwa gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten i.S.v. § 16d SGB II („Ein-Euro-Job“) oder im Rahmen des Arbeitsmarktprogramms Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (§ 421a SGB III) sind keine Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts. Wird diesen durch die Sozialbehörden eine Tätigkeit zugewiesen, liegt nämlich kein Arbeitsvertrag vor, sondern eine hoheitliche Regelung durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X).
• Gesellschaftereiner Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), einer OHG (§§ 105 ff. HGB) oder einer KG (§§ 161 ff. HGB) sowie Geschäftsführerund Vorstandsmitgliederjuristischer Personen (e.V., GmbH, AG, Stiftung) sind regelmäßig keine Arbeitnehmer, da diesen aufgrund ihrer Position die unternehmerische Leitung zusteht und sie damit auf der Arbeitgeberseite zu sehen sind. Es wäre nur denkbar, dass ein einzelner Gesellschafter zugleich Arbeitnehmer ist, wenn er an Weisungen der Geschäftsführung gebunden und damit abhängig tätig wäre.
•Mit Familienangehörigen(z. B. Ehegatten oder Kinder des Arbeitgebers) können dagegen Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Um dabei steuerrechtliche Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, ist hier ein Vertrag nur dann anzunehmen, wenn die Absprachen inhaltlich dem entsprechen, was auch in Arbeitsverträgen mit Fremden in Bezug auf Art und Umfang der Tätigkeit, Lohnhöhe, Urlaub oder Kündigungsfristen üblich wäre und der Arbeitsvertrag auch tatsächlich durchgeführt wird (also die Mitarbeit nicht nur zum Schein oder aus Steuerersparnisgründen verabredet wurde). Zudem muss die Tätigkeit über das hinausgehen, was im Rahmen eines „normalen“ Familienzusammenhalts geschuldet ist (§§ 1360, 1619 BGB).
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