Theodor-Kutzer-Ufer 1–3
68167 Mannheim
OSA Dr. med. Andreas Stöhr
Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40
89081 Ulm
Dr. med. Markus Stuhr
Abt. für Anästhesie, Intensiv-, Rettungs- und Schmerzmedizin
BG Klinikum Hamburg
Bergedorfer Straße 10
21033 Hamburg
PD Dr. med. Oliver C. Thamm
Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie,
Helios Klinikum Berlin-Buch
Schwanebecker Chaussee 50
13125 Berlin
Prof. Dr. Michael Tsokos
Institut für Rechtsmedizin Berlin
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Turmstr. 21 (Haus N)
10559 Berlin
Gewaltschutzambulanz/Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Berlin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin
Turmstr. 21 (Haus N)
10559 Berlin
Dr. med. Thomas Weisner
Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie am Campus Kiel
Universitätsklinikums Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel
Vorwort
Rechts- und Notfallmedizin: Gemeinsamkeiten und Schnittmengen
Liebe Leserinnen und Leser,
Sie halten gerade ein Notfallmedizinbuch in Händen, dessen Herausgeber möglicherweise zunächst Verwunderung auslöst: Ein Rechtsmediziner? Rechtsmedizin? Die »Leichenfledderer«, die mit den Toten, den Gruselgeschichten, den ausgefeilten Labormethoden aus dem Fernsehen? Was haben die Notfallmediziner damit zu tun – Tag und Nacht mit Blaulicht unterwegs, um Notfallpatienten auf hohem medizinischem Niveau zu versorgen, ihnen gelegentlich sogar das Leben zu retten?
Zwischen Notfallmedizin und Rechtsmedizin existieren zwar erhebliche Unterschiede in der Herangehensweise an den jeweilig zu bearbeitendem Fall (kurativ-therapeutisch vs. retrospektiv-rekonstruktiv), es sind allerdings auch Gemeinsamkeiten und Schnittmengen erkennbar. Auch aus meiner eigenen beruflichen – rechtsmedizinischen – Biografie heraus kann ich dies nur bestätigen; Beispiele hierfür sind die rechtsmedizinische Bewertung von Reanimationsverletzungen, die Erhebung epidemiologischer Daten zur Traumaletalität oder die Analyse traumatischer Todesfälle.
Medizin ist interdisziplinär; bereits im Medizinstudium erfolgt Vermittlung der Lerninhalte in verschiedenen Lehrformaten nach medizinischen Entitäten und interdisziplinär statt fachbezogen – also so, wie der Patientin (der ja meist nicht nur ein isoliertes medizinisches Problem hat) auch in der Realität vor dem behandelnden Arzt steht. Auch an der präklinischen Notfallversorgung beteiligen sich zahlreiche Disziplinen. Es bestehen sicher nicht bei jedem Notfallbild rechtsmedizinische Bezüge; wir wollen mit dem vorliegenden Buch diese auch nicht zwanghaft herstellen. Insgesamt gewinnen aber Algorithmen eine zunehmende Bedeutung in der Medizin, auch in der Notfallmedizin, insbesondere bei der Versorgung Schwerverletzter. Das Buch gibt einen Überblick über häufige notfallmedizinische Krankheitsbilder unter dem Aspekt der Sicherheit des Notfallpatienten und benennt Do‘s and Dont’s. Die Gliederung orientiert sich dabei am aus der Traumaversorgung bekannten ABCDE-Schema und macht deutlich, dass standardisierte Versorgungsabläufe nicht nur für spezielle Patientengruppen wichtig sind, sondern auch interdisziplinär verstanden werden müssen. Die Autoren sind sämtlich notfallmedizinische Experten im jeweiligen Fach.
Die Notwendigkeit, bestehende notfallmedizinische Algorithmen und Abläufe kontinuierlich zu evaluieren und fortzuentwickeln, ist – wie in jedem anderen Teilgebiet der Medizin auch – offensichtlich. Die notfallmedizinische Forschung unterliegt allerdings besonderen Bedingungen und Erschwernissen; so werden Notfallpatienten beispielsweise generell als nicht-einwilligungsfähig angesehen. Hieraus resultiert eine recht spärliche notfallmedizinische Datenlage, verglichen mit klinischen Verlaufsbeobachtungen unter kontrollierten Bedingungen. Nach notfallmedizinischer Behandlung werden Verstorbene jedoch häufig einer rechtsmedizinischen Untersuchung zugeführt. Hieraus lässt sich ein erhebliches wissenschaftliches Potenzial ableiten. So erbrachte beispielsweise unsere epidemiologische Auswertung traumatischer Todesfälle innerhalb eines Jahres teils erstaunliche Ergebnisse, deren Implikationen nun in die notfallmedizinische Praxis umgesetzt werden müssen und u. a. ihren Niederschlag in den aktuellen Reanimationsleitlinien des ERC gefunden haben… Wir arbeiten weiter daran.
Die Rechtsmedizin entwickelt sich unter dem permanenten Innovationsdruck aus Wissenschaft, Praxis und Ökonomie ständig weiter und blickt weit über den eigenen Tellerrand hinaus. Gleiches gilt für die Notfallmedizin: Bereits heute werden Verfahren wie die präklinische Sonografie durchgeführt und notfallmedizinische Artikel und Gerätschaften wie intraossäre Zugänge, mechanische Reanimationshilfen, pneumatische Beckenschlingen, Larynxtuben und vieles mehr verwendet, die weit über den mittlerweile in der (rechts-)medizinischen Allgemeinbildung fest verankerten i. v.-Zugang oder den Endotrachealtubus hinausgehen. Auch der medizinisch unbeleckte »Krankenwagenfahrer« ist Geschichte, stattdessen wird heute die Notfallmedizin in Deutschland flächendeckend durch hochqualifiziertes Personal sichergestellt. Darauf können wir stolz sein, müssen aber mit der weiteren rasanten Entwicklung auch Schritt halten – hierzu gehört nicht nur der Blick nach vorn, sondern auch zurück. Wo können wir besser werden? Wo müssen bestehende Dinge kritisch hinterfragt werden? Wie können sich in diesem Kontext Rechtsmedizin und Notfallmedizin zum Wohl zukünftiger Patienten sinnvoll ergänzen? Lassen Sie uns hierzu einige kurze Überlegungen anstellen:
Zunächst kann der Notfallmediziner in forensisch relevanten Todesfällen zur rechtsmedizinischen Rekonstruktion häufig wichtige Informationen beisteuern (Auffindesituation, durchgeführte Maßnahmen, ggf. Handlungsfähigkeit etc.) und bei zukünftigen Einsätzen eventuell sogar rechtsmedizinische »Blickwinkel« einnehmen. Aber auch der Rechtsmediziner kann von eigenen notfallmedizinischen Kenntnissen nicht nur retrospektiv bei Leichenschau und Obduktion, sondern auch aktiv im Rahmen des eigenen ärztlichen Handelns profitieren, beispielsweise hinsichtlich rechts-, aber auch notfallmedizinischer Aspekte bei der Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit von Prozessbeteiligten vor Gericht.
Goldstandard der notfallmedizinischen Qualitätskontrolle im Todesfall ist zweifellos die Obduktion; bildgebende postmortale Verfahren können ergänzend sinnvoll eingesetzt werden. Zunächst dürfen medizinische Sachverhalte in nicht-natürlichen/ungeklärten Todesfällen mit laufenden Todesermittlungsverfahren und polizeilich beschlagnahmten Leichen aber selbstverständlich nicht unbeschränkt kommuniziert werden. Auftraggeber (und damit Verfahrensherr) ist stets die ermittlungsführende Staatsanwaltschaft, die im konkreten Einzelfall die Erlaubnis zur »externen« Weitergabe geben muss. Generell sind Fallkonferenzen zur retrospektiven Evaluation besonderer Einzelfälle mit Erlaubnis der Staatsanwaltschaft jedoch durchführbar. Wir konnten in juristisch »unbedenklichen« Einzelfällen nach Einhaltung des Procedere bereits gelegentlich interdisziplinäre Fallkonferenzen mit Beteiligung von Rechts- und Notfallmedizin abhalten, und der »Aha«-Effekt auf beiden Seiten war zum Teil beträchtlich: Präklinische Behandlungspfade wurden in Kenntnis der Obduktionsbefunde diskutiert, aber auch notfallmedizinische Artefakte am Leichnam konnten eingeordnet werden. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die Anmerkung, dass die rechtsmedizinische Interpretation unnötig erschwert bzw. unmöglich gemacht wird, wenn notfallmedizinische Artefakte nicht oder nur indirekt/eingeschränkt feststellbar bzw. dokumentiert sind. Die notfallmedizinische Arbeit kann rechtsmedizinisch nur evaluiert werden, wenn durch die Notfallmedizin eine suffiziente Dokumentation sämtlicher Maßnahmen erfolgt ist, diese mit den erhobenen Befunden und am/im Leichnam verbliebenen Materialien verglichen werden können und Übereinstimmung besteht. Ebenfalls kann nur auf diesem Wege für die Notfallmedizin Rechtssicherheit bezüglich der Korrektheit der durchgeführten Maßnahmen hergestellt werden. Weiter kann nicht nur die Durchführung notfallmedizinischer Maßnahmen (mit eventuellen medizinischen Komplikationen), sondern vor allem das Unterlassen notfallmedizinischer Maßnahmen von rechtsmedizinischer, ggf. sogar juristischer Bedeutung sein. Neben der Beurteilung von notfallmedizinischen Artefakten am/im Leichnam muss bei Leichenschau und Obduktion auch ggf. die Nicht-Durchführung indizierter notfallmedizinischer Maßnahmen hinterfragt werden.
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