2.4 Zusammenfassung: Arten von Zwangsmaßnahmen
Zwangsmaßnahmen unterteilen sich in drei Gruppen: Unterbringung, die Behandlung wider Willen – die ärztliche Zwangsbehandlung und (sonstige) freiheitsentziehende Maßnahmen, worunter beispielsweise die Fixierung fällt. Ihre rechtlichen Voraussetzungen können sich unterscheiden.
Zwangsmaßnahmen werden in der Praxis mit der Intention des Schutzes der anvertrauten Menschen angewandt. Dennoch ist für jede Maßnahme eine gesetzliche Grundlage erforderlich.
Eine der zentralen Normen ist § 1906 BGB und für die Zwangsbehandlung § 1904 BGB. Weitere Rechtsgrundlagen ergeben sich aus den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker.
3 Rechtliche Rahmenbedingungen
Zwangsmaßnahmen sind erhebliche Eingriffe in die Integrität des Betroffenen. Die Rechte des Einzelnen werden in der Verfassung sowie in internationalen Regelungen geschützt. Deshalb bestehen Strafvorschriften, welche die Verletzung der Rechtsgüter pönalisieren und zivil- und öffentliche Vorgaben, die die Zulässigkeit solcher Eingriffe regeln. (
Abb. 1).
Abb. 1: Rahmenbedingungen der Fixierung: Es gibt zahlreiche internationale und vor allem nationale Vorgaben, welche bedacht werden müssen. Das Verfassungsrecht garantiert Schutzrechte. Diese werden im Strafrecht umgesetzt. Das Zivilrecht und das öffentliche Recht rechtfertigt Eingriffe, die andernfalls strafrechtlich als Straftaten zu bewerten und verfassungsrechtlich als nicht gerechtfertigte Grundrechtseingriffe gelten würden. Das Prozessrecht gestaltet die Verfahren aus.
Vorstehende rechtliche Rahmenbedingungen enthalten Vorgaben zum Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen. Sie sagen jedoch nichts darüber aus, wie der Schutz der Rechtsgüter durchgesetzt wird. Dies ist Aufgabe des Prozessrechts. Welches Prozessrecht zur Anwendung kommt, hängt von dem Rechtsgebiet ab, auf welcher die Zwangsmaßnahme beruht. Für die meisten zivilrechtlichen Streitigkeiten gilt die Zivilprozessordnung. Diese findet beispielsweise Anwendung, wenn ein Betroffener Schadensersatz von einer Einrichtung fordert, weil an ihm eine nicht gerechtfertigte Zwangsmaßnahme durchgeführt wurde. Für die zivilrechtlichen Verfahren, bei welchen es um die Anordnung und Überprüfung von Zwangsmaßnahmen geht, greift die Zivilprozessordnung jedoch nicht. Stattdessen gilt das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Dieses verweist zwar häufig auf die Zivilprozessordung, enthält aber auch eigenständige Regelungen. Die wichtigsten werden im weiteren Verlauf dieses Buches noch angesprochen werden.
Für Maßnahmen auf Grundlage der Unterbringungsgesetze der Länder gilt das Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfG) der Länder und das Verwaltungsprozessrecht (VwGO). Diese Vorschriften enthalten die »Spielregeln«, nach welchen der Schutz der Rechtsgüter durchgesetzt wird.
2023 werden sich bezüglich der Ausgestaltung der Verfahren im FamFG Details ändern. Deutlich stärker sind die Veränderungen in Bezug auf die Organisation der Betreuer. Diese wird vollständig neu gestaltet (
Kap. 4.15).
3.1 Verfassungsrechtliche Grundlagen
Zunächst zur Frage, welche Schutzvorschriften die Integrität des Einzelnen schützen. Dies hängt von der Art des Eingriffs ab. Neben den Schutzvorschriften zu Gunsten der verschiedenen Bestandteile der Integrität einer Person sind zusätzlich Vorschriften zu beachten, welche den Staat verpflichten, das Verfahren in einer bestimmten Art auszugestalten. Das Grundgesetz (GG) regelt die grundlegenden Prinzipien unseres heutigen Rechtsstaats. Deshalb sind diese Vorschriften dort zu finden.
3.1.1 Historischer Exkurs
»Habeas corpus« – auf Deutsch »du habest den Körper« – waren die einleitenden Worte von Haftbefehlen im Mittelalter. Bereits im Jahr 1679 wurde durch ein wegweisendes englisches Gesetz, den »Habeas corpus Act«, festgeschrieben, dass kein englischer Untertan ohne richterliche Überprüfung und Anordnung länger als drei Tage festgehalten werden darf. Damit sollten der Vielzahl von willkürlichen Einkerkerungen Einhalt geboten werden. Ein historisch bedeutsamer und wesentlicher Schritt zum Rechtsstaat war gemacht.
3.1.2 Die Menschenwürdegarantie Art. 1 Abs. 1 GG
Art. 1 Abs. 1 GG lautet:
»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«
Die Garantie der Menschenwürde ist eine, wenn nicht sogar die zentrale Aussage des Grundgesetzes. Sie ist Grundlage für die weiteren Grundrechte und bindet zugleich selbst. An ihr wird jedes staatliche Handeln gemessen. Dies gilt sowohl für die Gesetze, welche den Umgang mit Zwangsmaßnahmen regeln, als auch für die gerichtlichen Entscheidungen.
Grundrechte gelten nicht schrankenlos. Die Eigenentfaltung darf nicht die Rechte anderer verletzen und auch nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen. Deshalb findet sie ihre Grenzen, wenn der Betroffene Dritte gefährdet.
Die Menschenwürde hat Konsequenzen für die Umsetzung von Zwangsmaßnahmen in der Praxis und somit auch für Handlungsvorgaben in diesem Bereich. Gerichte werden jede Vorgabe, welche der Menschenwürde widerspricht, ablehnen. Zudem dringt das Verfassungsgericht darauf, dass die Maßnahmen ausreichend kontrolliert oder zumindest kontrollierbar sind (BVerfG, Beschl v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16, NJW 2020, 675, 677).
3.1.3 Die allgemeine Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG
Die allgemeine Handlungsfreiheit wird durch Artikel 2 Abs. 1 GG geschützt:
»Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.«
Artikel 2 Abs. 1 GG stellt das grundsätzliche Verbot an den Staat dar, einen Menschen zu hindern, entweder den Ort, an dem er sich befindet, zu verlassen oder einen Ort, an den er sich begeben will, zu erreichen. Selbiges gilt für jegliches Tun. Es ist ein »Auffanggrundrecht«, das relativ viel erfasst. Allerdings können Eingriffe relativ leicht gerechtfertigt werden.
3.1.4 Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Art. 2 Abs. 2 GG
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht in Art. 2 Abs. 2 GG:
»Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.«
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird vor allem im Rahmen der Zwangsbehandlung relevant. Bei dieser wird in die körperliche Unversehrtheit eingegriffen. Dies hat zur Folge, dass es für diesen Eingriff eine Rechtfertigung geben muss. Diese kann im Schutz des Betroffenen vor sich selbst liegen. Allerdings bedarf es für diese Maßnahme – wie für jede Zwangsmaßnahme – einer gesetzlichen Grundlage.
3.1.5 Freizügigkeit Art. 11 GG
Der Art. 11 Abs. 1 GG garantiert, dass alle Deutschen im Bundesgebiet Freizügigkeit genießen. Dies ist nicht mit der Freiheit der Person, welche nachstehend erörtert werden wird, zu verwechseln. Freizügigkeit bedeutet, dass man seinen Wohnsitz und Aufenthalt frei wählen kann (Ogorek 2019, Art. 11 GG, Rn. 11). Das ist jedes nicht nur vorübergehende Verweilen an einem Ort.
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