Deutschland ist ein Land, in dem die Pandemie einen schlagartigen Effekt auf das öffentliche Meinungsbild hatte. Zu Jahresbeginn 2020 kam es innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne, eigentlich von einem Monat zum nächsten, zu einem fast vollständigen Umschwung im Umfang der Lager, die sich als „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ bzw. als „wenig“ bis „gar nicht zufrieden“ mit der Politik der Regierung erklärten (siehe Abbildung 1), und die hohen Zufriedenheitswerte mit dem Krisenmanagement der Regierung hielten bis in den Dezember an, um dann erneut recht dramatisch einzubrechen.
Abbildung 1: „Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Bundesregierung?“
Das fand natürlich auch in den Zustimmungswerten der Parteien seinen Niederschlag. Nachdem die CDU noch im Sommer 2019 in einzelnen Umfragen hinter den Grünen gelandet war und das gesamte Jahr über deutlich unter 30 Prozent rangierte, verzeichnete sie nun in kurzer Frist eine sehr starke Erholung auf fast 40 Prozent – eine Entwicklung vergleichbar mit der in den Niederlanden mit starken Zustimmungsgewinnen von Mark Ruttes VVD (während, nach einem wohlbekannten Muster, die SPD von der erhöhten Zustimmung zur Regierungspolitik nicht substantiell profitieren konnte). Die zugleich stetig zurückgehenden Umfragewerte der AfD (siehe Abbildung 2) schienen dabei die Deutung zu stützen, dass sich nun nüchterne, „evidenzbasierte“ Vernunftpolitik gegenüber polarisierendem Populismus durchsetzen würde.
Abbildung 2: Umfragewerte der Parteien, 2018–2021
Dieser Höhenflug verdankte sich hauptsächlich der öffentlichen Wahrnehmung eines durchaus erfolgreichen Krisenmanagements und in europäischer oder internationaler Perspektive der Einschätzung, man sei doch vergleichsweise gut durch die erste Welle gekommen (vgl. Abbildung 3). Ein ähnliches Bild hatte sich ja zunächst auch in der Finanzkrise seit 2008 ergeben, bevor ihr Übergang in die Eurokrise ab 2010 den Aufstieg der AfD begründete. Vor dem Hintergrund stark steigender Mortalitätszahlen seit Oktober 2020, der offensichtlich fehlenden Langfriststrategie der Regierung, eines sich anscheinend perpetuierenden Lockdowns und eines äußerst schleppenden Beginns der Impfkampagne ging die Zustimmung zur Regierungspolitik dann aber seit Dezember deutlich zurück, zunächst ohne dass sich das auch in den Zustimmungswerten der Parteien niedergeschlagen hätte (siehe Abbildungen 2 und 4).
Abbildung 3: Covid-19 – Fälle und Mortalität (14-tägige Raten, gerechnet auf 100 000 Einwohner)
Abbildung 4: „Stringenz“ der Corona-Maßnahmen – Deutschland im Vergleich
Nicht im synchronen Vergleich mit anderen (europäischen) Ländern, sondern im diachronen Vergleich mit vergangenen Jahren zeigen sich aber auch deutliche Mängel. Der restriktive Lockdown erwies sich als relativ wirkungslos gerade für die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen. Hier besteht weiterhin eine erhebliche Übersterblichkeit der älteren Kohorten (Schrappe et al. 2020a; 2020b; 2021). Auch das trägt zur gewachsenen Unzufriedenheit mit der Pandemiebekämpfung der Regierung bei. In dem „Superwahljahr“ 2021, mit sechs Landtagswahlen (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) sowie der Bundestagswahl, fällt es nicht schwer zu prognostizieren, dass die Corona-Politik und ihre öffentliche Wahrnehmung einen entscheidenden Einfluss auf das relative Abschneiden der Parteien haben werden. Das Thema dominiert zumindest in der Wahrnehmung der Wähler alle anderen Themen mit großem Abstand (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: ‚wichtige Probleme‘ in Deutschland (zwei Nennungen)
4. Der internationale Kontext
Der deutsche Fall lässt sich nun allerdings nicht einfach verallgemeinern, wie das Auseinanderbrechen der italienischen Koalitionsregierung unter Führung des (links-)populistischen Movimento im Dezember 2020 oder die aktuellen französischen Umfragedaten zeigen (vgl. CEVIPOF 2021). Deswegen ist es sinnvoll, den deutschen Fall in einen vergleichenden Kontext zu stellen. Schon das italienische Beispiel bietet ein gemischtes Bild: einerseits auf deutlich niedrigem Niveau seit Frühjahr mit relativ stabilen Popularitätswerten das Movimento Cinque Stelle als Hauptregierungspartei (schwankend um 15 Prozent, was jedoch einen deutlichen Rückgang im Vergleich zum Ergebnis in der Parlamentswahl vom März 2018, damals 33,3 Prozent, bedeutet), andererseits seit Sommer 2020 auch relativ stabile Werte für die oppositionelle (rechtspopulistische) Lega (schwankend um 25 Prozent) und zugleich im Corona-Jahr substantielle Zugewinne für die wohl ebenfalls als rechtspopulistisch zu charakterisierenden Fratelli d’Italia (von knapp unter 7 auf fast 17 Prozent). Hier finden Gewichtsverschiebungen zwischen den Parteien eher innerhalb des populistischen Lagers statt, als dass in der Pandemie sein genereller Bedeutungsschwund festzustellen wäre.
Betrachten wir die Veränderungen in der Zustimmung für die Parteien über mehrere Länder hinweg und unterscheiden nach (führender) Regierungspartei und (führender) Oppositionspartei sowie nach Parteien aus dem Spektrum des linken oder des rechten Populismus (vgl. Kessel 2015; Roodujin et al. 2019), lässt sich – wenn auch weniger deutlich ausgeprägt als in Deutschland oder den Niederlanden – ein „Stunde-der-Exekutive-Effekt“ konstatieren, der zunächst parallel zur Pandemie selbst verlief, aber im Frühsommer 2020 bereits deutlich abgeflacht war (vgl. Abbildung 6). 3Zugleich wird sichtbar, dass sich der Zuspruch, den populistische Parteien erhalten, im Zeitverlauf nur geringfügig verändert hat – was unter anderem damit zusammenhängen mag, dass in einigen Ländern populistische Parteien als Regierungsparteien teilweise eben auch vom Zustimmungsschub für die jeweiligen Exekutiven als unmittelbarer Krisenreaktion profitieren konnten.
Abbildung 6: Umfragewerte der (führenden) Regierungs- und Oppositionsparteien sowie rechts- bzw. linkspopulistischer Parteien
Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundlage der „Europe Elects“-Webseite ( https://europeelects.eu/data/)
Für präsidentielle Systeme lassen sich vergleichbare Umfragewerte weniger gut auf der Ebene von Parteien ermitteln, da Politik hier personalisierter ist und die Parteien schwächer sind. Deswegen sind Umfragen in diesen Ländern auch zumeist auf die Zustimmungswerte („approval ratings“) der jeweiligen Präsidenten ausgerichtet und erfragen meist nur kurz vor Wahlen auch die beabsichtigte Stimmabgabe für Parteien. Es sind also diese „approval ratings“, die uns ein vergleichbares Bild liefern können. 4Abbildung 7 zeigt Umfrageergebnisse seit Beginn der Pandemie, also seit Januar 2020, für Emmanuel Macron (blau) und als Vergleichsfälle für Donald Trump (rot) sowie Jair Bolsonaro (orange). In unterschiedlich deutlicher Ausprägung und auf recht verschiedenen Niveaus zeigen alle drei Kurvenverläufe einen kurzfristigen Zugewinn an Zustimmung zu Beginn der Krise und nachfolgend einen teils deutlichen Verlust auf das vor der Coronakrise vorherrschende Niveau oder teils darunter. Für Macron ist allerdings auch eine – vor allem nach dem EU-Gipfel Ende Juli 2020 – deutliche Erholung der Umfragewerte zu verzeichnen. Bolsonaro hatte im Spätherbst mit umfangreichen Conditional-Cash Transfer-Programmen, die auf die sehr arme Bevölkerung zielen, einen plötzlichen und deutlichen Popularitätssprung zu verzeichnen – auch diese Phase ist nun schon wieder vorbei. Seitdem befinden sich seine Zustimmungswerte mehr oder weniger im freien Fall. Erstaunlich erscheint – aber das wird mit der Verfestigung der politischen Lager im Vorfeld der Präsidentschaftswahl zusammenhängen – das Ansteigen der Zustimmungswerte für Donald Trump im Oktober und November des Jahres 2020, trotz der ganz offensichtlichen Mängel im Management der Corona-Krise durch die US-Exekutive. Ein signifikanter Rückgang der Umfragewerte ist eigentlich erst nach der Wahl vom 11. November 2020 und dann recht dramatisch nach dem 6. Januar 2021 – also nach den Geschehnissen am US-Capitol – zu verzeichnen.
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