Edmund Stoiber &
Bodo Hombach (Hg.)
Das Corona-Brennglas
Edmund Stoiber & Bodo Hombach (Hg.)
Das Corona-Brennglas
Demokratie und ökonomie
nach der Pandemie
Tectum Verlag
Edmund Stoiber & Bodo Hombach (Hg.)
Das Corona-Brennglas
Demokratie und ökonomie nach der Pandemie
© Tectum Verlag – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2021
ePub 978-3-8288-7676-7
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4610-4 im Tectum Verlag erschienen.)
Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung einer Abbildung
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Herausgeberfotografien © Bodo Hombach und Edmund Stoiber
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
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Inhaltsverzeichnis
Herausgebergespräch
zwischen Bodo Hombach und Edmund Stoiber, moderiert von Christoph Schwennicke
Politische Perspektiven
Erstmal wird es schlimm – Covid-19 als Chance zur Weltverbesserung?
von Sigmar Gabriel
Neue Sachlichkeit – Verschwindet der Populismus?
von Philip Manow
Entscheidungsfindung und Debattenschauplätze – Wo bleibt das Parlament?
von Wolfgang Kubicki
Überwindung oder Verschärfung sozialer Fragmentierungen? Die Rolle der Politik
von Rolf G. Heinze
Gesellschaftliche Perspektiven
Ein neues Wir-Gefühl
von Jens Spahn
Was (nicht) trägt – Systemmisstrauen als ideelle Hypothek der Pandemie
von Marie-Luisa Frick
Sozialer Zukunftstransfer – Gerechtigkeit in und nach der Krise
von Serap Güler
Schutz der Grundrechte in schwierigen Zeiten
von Hans-Jürgen Papier
Individualrechte in Risikosituationen
von Julian Nida-Rümelin
Kann ein Blinder einem Blinden den Weg weisen?
von Roland Schatz
Ökonomische Perspektiven
Made in Germany – Das Ende langer Lieferketten?
von Christian Kullmann
Muss alles alles können? Eine Inspektion der Wirtschaftspolitik in Zeiten der Pandemie
von Michael Hüther
Mit dem Neustart aus der Corona-Krise die Klimakrise lösen
von Claudia Kemfert
Eine neue Kultur des Fortschritts
von Wolfgang Reitzle
Nachwort
von Ronald Pofalla
Dank
Autoreninformationen
Herausgebergespräch
zwischen Bodo Hombach und Edmund Stoiber, moderiert von Christoph Schwennicke
Die Exekutive ist die Gewalt der Stunde in der Corona-Pandemie. Der Regierungsstil der Kanzlerin war noch nie sehr auf die Einbeziehung des Parlaments ausgerichtet. Hat die Legislative aufgegeben? Wie kann ihr wieder mehr zu ihrem Recht verholfen werden?
Edmund Stoiber: Es ist richtig, dass in Krisen die Stunde der Exekutive schlägt, weil diese schneller auf tagesaktuelle Entwicklungen reagieren kann. Beispiel: Helmut Schmidt und die Bekämpfung der Sturmflut 1962. Aber es ist ein demokratiepolitisches Problem, dass der Bundestag in Corona-Fragen im Grunde nur noch das entgegennimmt, was die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten in ihrer Runde beschlossen haben. Natürlich muss die Politik in der Pandemie schnell handeln können, aber wenn eine Krise lange dauert und mit erheblichen Einschränkungen verbunden ist, ist eine breitere Debatte besonders auch im Bundestag erforderlich, um die Unterschiede der Lösungsansätze für alle sichtbar herauszuarbeiten. Ich vermisse vor allem eine parlamentarische Debatte über die Zeit nach Corona: Wie kann ich eine Insolvenzwelle gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen verhindern? Wie kann ich die verfassungsmäßige Schuldenbremse – abhängig von der Konjunkturlage – schnellstmöglich wieder einhalten? Wie muss sich Deutschland bei der Digitalisierung seiner Verwaltung und der Schulen zukunftsfähig aufstellen? Ähnlich ist es übrigens auch bei den Debatten um den Klimaschutz, dessen Folgen unser Leben in den nächsten Jahrzehnten am meisten prägen werden. Die große Frage ist, wie rasch sich unsere bislang sehr erfolgreiche Soziale Marktwirtschaft in eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft umbauen lässt, ohne dass es zu Strukturbrüchen und gesellschaftlichen oder politischen Verwerfungen kommt. Wir brauchen hier leidenschaftliche parlamentarische Debatten mit einer Folgenabschätzung, wie bei der Agenda 2010 der Regierung Schröder in den Nullerjahren. Eine Folgenabschätzung ist ein Markenzeichen der demokratischen Auseinandersetzung. Franz Josef Strauß hat einmal zu mir gesagt: „Verwende 50 Prozent Deiner Kraft auf die Krise selbst, und spare Dir 50 Prozent der Kraft für hinterher auf.“ Er hatte recht.
Bodo Hombach: Den Lehrsatz Ihres Vorgängers kannte ich nicht. Der gefällt mir. Den merke ich mir. Tatsächlich ist es jetzt das Wichtigste, aus den Pandemieerfahrungen für die Zukunft Konsequenzen zu ziehen. Ohne ideologische Tabus, wissenschaftlich gründlich hinterfragt und gesellschaftlich-politisch ausführlich erörtert. Damit es beim nächsten Seuchenfall hier so geordnet zugeht, wie es uns – leider unzutreffend – nachgesagt wird. Der vor- und fürsorgende Staat bewährt sich nicht nur beim Steuereintreiben und Umverteilen. Er legitimiert sich auch durch ordentliches Verwalten des Alltags und erst recht beim Managen von Krisen. Zu Ihrer Frage: Wenn einer ins tiefe Wasser fällt, braucht es einen Rettungsschwimmer und nicht zuerst einen Gesprächskreis. Erst später – nicht zu spät – ist die politische Debatte am Zug. Parlamentarische Demokratie und die liberale Stimme haben es in der neuen Medienwelt schwer. Dass sich die Physikerin Angela Merkel nicht libidinös in parlamentarische Schlachten stürzt, kommt erschwerend hinzu. Immerhin: Der Bundesrat mit den unmittelbar betroffeneren Ministerpräsidenten hat gewissermaßen wie eine zweite Kammer die Debatte intensiv, selbstbewusst, kontrovers und hörbar geführt. Das war gut.
Stoiber: Das sehe ich etwas anders, Herr Hombach. Diese Debatte gehört vor allem in den Bundestag, in die erste Kammer, und zwar nicht erst nachdem alle wichtigen Entscheidungen bereits getroffen wurden. Das war in der Geschichte Deutschlands immer so: Soziale Marktwirtschaft, Wiederbewaffnung, Nato-Doppelbeschluss oder Ostpolitik, alle großen Fragen sind damals vor endgültigen Festlegungen durch die Bundesregierung im Parlament diskutiert worden. Und so gehört sich das auch.
Hombach: Radio Eriwan: „Im Prinzip ja …“, aber der Bundestag hat sich ohne großen Widerstand seine Rolle von den Talkshows entwenden lassen. Folglich haben die Medien deren Verlauf intensiver interpretiert als Debatten im Bundestag.
Das Virus ist kein Demokrat. Andere Regionen, China, Asien insgesamt, sind erfolgreicher. Ist die westliche Demokratie zu langsam für diese Welt und das Virus?
Stoiber: Natürlich ist manches ärgerlich, etwa dass die Novemberhilfe erst Monate später ausgezahlt wird. Aber Demokratie und Geschwindigkeit sind kein Widerspruch. Es stimmt, dass China nach den vorliegenden Zahlen deutlich besser aus der Corona-Krise herausgekommen ist als Europa und die USA, wenn auch mit einem nach chinesischen Maßstäben vergleichsweise geringen Wirtschaftswachstum. Die asiatischen Länder werden erkennbar besser mit dem Virus fertig. Das liegt in erster Linie daran, dass sie das Virus besser nachverfolgen. Aber nicht nur das autoritäre China, sondern auch demokratische Staaten wie Südkorea oder Taiwan haben rasch gehandelt und das Virus eingedämmt. Das politische System ist also nicht entscheidend, auch wenn in der Pandemie die Neigung vieler Menschen zu einem starken Staat ausgeprägt ist. In einer freiheitlichen Demokratie ist ein Überwachungs- und Unterdrückungssystem wie in China unter vielfältigen Gesichtspunkten nicht akzeptabel. Es gibt aber immer Verbesserungspotenzial, das wir nutzen können, ohne den Rechtsstaat über Bord zu werfen. Wenn wir im Zusammenhang mit der Corona-Daten-App monatelang datenschutzrechtliche Grundsatzdebatten führen und die App am Ende kaum Wirkung entfaltet, müssen wir daran etwas ändern. Wenn man bei uns für zwei Jahre den Datenschutz etwas einschränken würde und wir so bessere Bewegungsbilder erstellen könnten, dann kämen wir auch zu besseren Ergebnissen. Aber das bekommen wir nicht hin, im Gegensatz zu vielen anderen Grundrechtseinschränkungen. In dieses Bild passt, dass die Gesundheitsämter zu wenig digital vernetzt sind und immer noch mit dem Fax arbeiten. Da stimmt etwas nicht.
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