Gute und differenzierte Lernaufgaben
Gute und differenzierte Lernaufgaben sind das Herzstück eines individualisierten, offenen Unterrichts. In Bezug auf Lernende mit besonderem Förderbedarf wird vor einer zu starken Reduktion und Vereinfachung von Lernaufgaben gewarnt, weil damit der Sinn des Lernens verloren gehen könnte (Heward, 2003). Das Verstehen zu fördern, ist besonders wichtig in Fächern, in denen Präkonzepte relevant sind, sowie beim mathematischen Lernen (Möller et al., 2002). Geeignete Lernaufgaben für den offenen Unterricht sind für unterschiedliche Niveaus vorzubereiten. Sie sollten für schwächere und stärkere Lernende einsetzbar sein, fachliche Kernideen repräsentieren und unterschiedliche Denk- und Lernwege erlauben, Lern- und Problemlösestrategien trainieren und zu Interaktion und kooperativem Lernen einladen (Reusser, 2006).
Unterrichtsbezogene Zusammenarbeit
Die unterrichtsbezogene Zusammenarbeit von Regel- und Förderlehrkräften scheint im inklusiven Unterricht notwendig und zielführend, wie nationale und internationale Studien zeigen (zusammenfassend Werning, 2014; Gebhardt et al., 2013; Kunz et al., 2013). Hervorgehoben wird die Relevanz der geteilten Verantwortung für alle Lernenden. Gelingensbedingungen guter Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams sind regelmäßige Absprachen und Treffen, positive Begegnungen und klare Verantwortlichkeiten (Hunt et al., 2003). Bewährt haben sich in der unterrichtsbezogenen Zusammenarbeit verschiedene Arbeitsformen der klassenintegrierten und -separierten Förderung. Je mehr Zeit für das Co-Teaching zur Verfügung steht, desto eher wird Unterricht gemeinsam geplant und durchgeführt. Die Förderlehrkräfte erleben sich dadurch selbstwirksamer und zufriedener (Pool Maag & Moser Opitz, 2014).
Das Review zeigt, dass bereits viele empirische Befunde zum Unterricht im Kontext von Inklusion und Heterogenität vorliegen. Heward (2003, S. 186) nimmt an, dass schon viel erreicht wäre, wenn das bisherige forschungsbasierte Wissen im Unterricht umgesetzt würde. Martschinke (2015) bilanziert, dass Differenzierung und individuelle Förderung noch zu wenig Eingang in eine allgemeine Förderkultur gefunden hätten. Trotzdem werden vermehrt Praktiken der Individualisierung im Unterricht beobachtet (Breidenstein & Rademacher, 2017) und Veränderungen des Unterrichts festgestellt, zum Beispiel die zunehmende Plan- und Atelierarbeit sowie vermehrt selbstständiges Arbeiten anstelle von Ganzklassenunterricht. Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund einer heterogenitäts- beziehungsweise diversitätssensiblen Perspektive auf Unterricht und auf der Basis der berichteten empirischen Befunde zu begrüßen. Wichtig ist, dass die Öffnung des Unterrichts und die zunehmende Individualisierung mit der notwendigen Strukturierung des Lernens durch adaptive Lernaufgaben und Lernhilfen, kooperative Lernunterstützung durch Peers und die fachkundige Beratung und Begleitung der Lehr- und Fachpersonen erfolgt.
In der Forschungscommunity werden diese Entwicklungen unter der Bezeichnung neue «Choreografien» des Unterrichts und neue «Unterrichtsarchitektur» diskutiert (Reusser, 2020, S. 251). Es wird angenommen, dass bisherige Modelle, Methoden, Instrumente und Designs der empirischen Unterrichtsforschung aufgrund dieser Entwicklung überprüft werden müssen.
Im Hinblick auf die in diesem Beitrag berichteten Befunde fällt auf, dass das Ausmaß der Heterogenität in einer Klasse als leistungsrelevanter Faktor in der Forschung noch zu wenig umfassend berücksichtigt wird. Damit ist gemeint, dass man Heterogenität beziehungsweise Dimensionen von Diversität (sprachlich-kulturelle Vielfalt, Alter, soziale Herkunft, Geschlecht, Leistung, [Dis-]Ability) in Stichproben differenzierter erfassen und auf der Grundlage eines intersektionalen Verständnisses in die Analysen einbeziehen sollte. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich von Studien, die spezifische Unterrichtsmodelle und ihre Wirkungen mit einem expliziten Zielgruppen-, Fächer- und Stufenbezug untersuchen. Auch sozial-räumliche Bedingungen (Zenke, 2020) und Überlegungen zur Funktion und Nutzung des Raums sollten in Studien zum offenen Unterricht vermehrt berücksichtigt werden.
Literatur
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