Ulla Klingovsky (Hrsg.), Martin Schmid
Validieren und anerkennen
Informell erworbene Kompetenzen sichtbar machen – eine Auslegeordnung für die Schweiz
ISBN Print: 978-3-0355-0842-0
ISBN E-Book: 978-3-0355-1240-3
1. Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© 2018 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.ch
Inhaltverzeichnis
Anerkennung und Validierung als erwachsenenpädagogische Handlungspraxis
Literatur
1 Einleitung
2 Grundlagen und Begründungsstrukturen
2.1 Informelles und non-formales Lernen
2.2 Lebenslanges Lernen
2.3 Kompetenzen
2.4 Ökonomische Bezüge
2.5 Sozialpolitische Bezüge
2.6 Der Qualifikationsrahmen des Berufsbildungssystems
2.7 Der Qualifikationsrahmen des Hochschulbereichs
2.8 Fazit
3 Begriffe und Konzepte
3.1 Zulassung
3.2 Anrechnung und Äquivalenzbeurteilung
3.3 Anerkennung
3.4 Zertifikat
3.5 Validierung
3.6 Fazit
4 Systematisierung von Validierungs- und Anerkennungsverfahren
4.1 Kompetenzorientierte Ansätze
4.2 Systemimmanente Ansätze
4.3 Verhältnis zum formalen Bildungssystem
4.4 Formative und summative Verfahren
4.5 Typologie der Anerkennung
4.6 Fazit
5 Methoden zur Validierung und Anerkennung von Bildungsleistungen
5.1 Qualitative und quantitative Verfahren
5.2 Fremd- und Selbsteinschätzung
5.3 Biografieorientierte, testbasierte und handlungsorientierte Verfahren
5.4 Fazit
6 Beurteilung und Bewertung
6.1 Voraussetzungen
6.2 Gütekriterien
6.3 Bewertungsformen
6.4 Fazit
7 Die Entstehung von Anerkennungs- und Validierungsverfahren
7.1 Ursprünge
7.2 Zivilgesellschaftliche und politische Initiativen
7.3 Gesetzliche Verankerung auf nationaler Ebene
7.4 Fazit
8 Verfahren auf der Sekundarstufe II
8.1 Berufsabschlüsse für Erwachsene
8.2 Validierung von Bildungsleistungen in der beruflichen Grundbildung
8.3 Absolventinnen und Absolventen von Validierungsverfahren
8.4 Fazit
9 Verfahren auf der Tertiärstufe B (höhere Berufsbildung)
9.1 Erwachsenenbildner/in (Gleichwertigkeitsbeurteilung)
9.2 Fide – Deutsch, Französisch und Italienisch in der Schweiz
9.3 Interkulturelle/r Übersetzer/in
9.4 Pflegefachfrau/-mann HF
9.5 Lehrpersonen an Berufsfachschulen
9.6 Eidgenössischer Fachausweis Fachfrau/Fachmann Unternehmensführung KMU
9.7 Eidgenössisch diplomierte/r Naturheilpraktiker/in
9.8 Fazit
10 Verfahren auf der Tertiärstufe A (Hochschulen)
10.1 Universitäten
10.2 Fachhochschulen
10.3 Pädagogische Hochschulen
10.4 Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung
10.5 Fazit
11 Verfahren in der Weiterbildung
12 Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literatur
Herausgeberin und Autor
Anerkennung und Validierung als erwachsenenpädagogische Handlungspraxis
von Ulla Klingovsky
Grundlage des vorliegenden Bandes ist eine intensive Auseinandersetzung mit der in jüngster Zeit prominent gewordenen erwachsenenpädagogischen Handlungspraxis des Validierens. In der sogenannten Wissensgesellschaft scheint die Validierung von Lernprozessen über die Lebensspanne – unabhängig davon, ob Lernen sich in formalen, non-formalen oder informellen Kontexten vollzieht – ein funktionales Erfordernis geworden zu sein. Angesichts der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte verlaufen die meisten Berufslaufbahnen längst nicht mehr geradlinig, und einmal in der Ausbildung erworbenes Wissen scheint kaum mehr ausreichend, um die eigene «Employability» ein Leben lang aufrechtzuerhalten. Die Unterstützung der lebenslangen berufsbiografischen Gestaltung diskontinuierlich gewordener Erwerbsbiografien scheint deshalb ein erstrebenswertes Ziel.
Das Thema der Validierung von Lernergebnissen gewinnt vor allem im Zuge der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) an Bedeutung. Diese Programmatik basiert auf der Idee einer kompetenzorientierten Ausgestaltung des europäischen Bildungsraums, in dem die Lernergebnisse und Kompetenzen, die für die konkrete Anwendungspraxis erforderlich sind, handlungsleitende Funktion haben. In zahlreichen bildungspolitischen Kontexten und Initiativen, in wissenschaftlichen Projekten und Publikationen werden Modelle erarbeitet, die die im Laufe des Lebens in unterschiedlichen Situationen erworbenen Lernergebnisse feststellbar machen und «validieren» sollen. Die national umzusetzenden Qualifikationsrahmen folgen der Überzeugung, dass die künftige Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft nur sichergestellt werden können, wenn alle Ressourcen und Potenziale der einzelnen Mitglieder so gut wie möglich genutzt werden. Dies beinhaltet neben der Ausgestaltung eines qualitativ hochwertigen formalen Bildungssystems auch die Wertschätzung und formale Zertifizierung des informellen Lernens sowie des non-formalen Lernens im institutionellen Rahmen – Lernformen, die bislang kaum zu formal anerkannten Schul-, Berufs- oder Studienabschlüssen führen. Diese Programmatik geht mit zahlreichen Versprechen einher – mit diskursiven Begründungsfiguren, die die Einführung von Kompetenzfeststellungsverfahren begleiten und dabei weit über die Diskussion um spezifisch ausgewiesene Qualitäts- und Gütekriterien (Objektivität, Validität und Reliabilität) hinausweisen.
So sollen gemäss dem «humankapitaltheoretischen Kompetenzansatz» (Traue 2010, S. 57) Kompetenzvermessungen zu einer Steigerung des «Humankapitals» führen; es wird davon ausgegangen, dass die statistische Qualifikationsstruktur der Bevölkerung insgesamt verbessert werden könne. Kennzahlen, Kompetenzskalen und Punktesysteme gewähren angeblich eine effizientere Verteilung des Humankapitals innerhalb von Unternehmen und sorgen damit für einen Anstieg der Produktivität ebenso wie für eine erhöhte Innovationsfähigkeit. Schliesslich könnten auch Personen mit geringer formaler Qualifikation für anspruchsvollere Aufgaben qualifiziert werden (vgl. Prokopp 2010).
Auf gesellschaftspolitischer Ebene besteht die Erwartung, dass sich die Effizienz des Bildungssystems erhöhe und dass sich der Zugang dazu verbessere. Zudem soll der Blick auf vorhandene Kompetenzen eine bessere Planung von bildungspolitischen Entscheidungen in Hinblick auf das lebenslange Lernen und Massnahmen im Sinne der Arbeitsmarktpolitik ermöglichen. Generell sind die Erwartungen an mögliche Auswirkungen der Kompetenzvermessung für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa derart hoch, dass durchaus von Heilsversprechen die Rede sein kann (vgl. Zürcher 2007).
Nun ist die Orientierung an arbeitsmarktbezogenen Erfordernissen allerdings nicht ursächlich für die Beschäftigung mit Lernerfahrungen in der Erwachsenenbildung. Der Wert von Vorerfahrungen in Lernprozessen wurde mit John Deweys erfahrungsbasierter Lernkonzeption prominent und prägte Generationen erwachsenenpädagogischer Lerntheorien (vgl. Faulstich 2005). Für Dewey war die Sichtbarmachung und Anerkennung dieser Lernerfahrungen im Lernprozess zentral: «The beginning of instruction shall be made with the experience learners already have. […] This experience and the capacities that have been developed during its course provide the starting point for all further learning» (Dewey 1938, S. 74).
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