Rian lebte, doch der Kampf war bereits in vollem Gang. Ich erkannte die Szene wieder und stürzte panisch auf die beiden zu. Gleich würde Rian seine Deckung öffnen.
Was soll ich tun?
Ich wollte sie nicht ablenken, sodass durch mein Eingreifen dennoch etwas Schlimmes geschah. Noch im Lauf wandelte ich mich, was mir mein Körper spürbar übelnahm und schrie: »Nicht.« Mit letzter Kraft sprang ich, anders als in meiner Vision nicht vor Rian, also zwischen sie, sondern seitlich, direkt auf ihn zu.
Von meinem Schrei abgelenkt, ließ Jesse, sein Schwert augenblicklich sinken. Hart prallte ich gegen Rian, mein Schwung holte uns von den Füßen und der Schmerz in meinem Bein, während wir gemeinsam stürzten, raubte mir unmittelbar die Sinne. Ich glaube, ich schrie noch auf, doch sicher bin ich mir nicht.
»Was ist hier los?«, donnerte Bohl, Rian jedoch hatte nur noch Augen für Talil. Sie lag auf ihm und er wagte nicht, sich zu bewegen. Sie musste sich verletzt haben, so unglaublich qualvoll klang ihr Schrei. Auch wenn sie ihr Bewusstsein verloren hatte, wollte er ihr dennoch keinen weiteren solchen Schmerz zufügen. Sanft strich er über ihr Gesicht, konnte kaum glauben, dass sie hier war, als hätte sie geahnt, was er zu tun beabsichtigte.
Bohl trat auf sie zu und hob sie vorsichtig auf seinen Arm. Auch ihm war ihr Schrei nicht entgangen, ebenso wenig ihre Beinverletzung, die sie sich zuzog, als sie von der Mauer gesprungen war. Er blickte gerade zufällig in ihre Richtung, als sie einfach sprang, als wäre diese Höhe rein gar nichts. Vielleicht ist eine Wölfin widerstandsfähiger in der Landung als der Körperbau eines Dunkelelben, aber das war selbst für einen Wolf viel zu hoch. Dass sie danach überhaupt noch stehen konnte, war schon beachtlich, was dann jedoch folgte, schien unglaublich.
Bisher hatte Reed nichts weiter erklärt, dafür blieb bisher keine Zeit, doch inzwischen war Bohl mehr als gespannt, was das alles zu bedeuten hatte. Als er sie nun auf seine Arme hob, wandelte sie sich plötzlich in eine Wölfin und vor Schreck ließ er sie beinahe fallen, hielt sie gerade noch.
»Kannst du aufstehen?«, fragte er Rian schroff und dieser nickte. »Dann komm, du wirst uns begleiten. Juhani. Mikael. Ihr nehmt Jesse in Gewahrsam. Niemand redet mit ihm, bevor ich nicht selbst mit ihm gesprochen habe.« Mit diesen Worten wandte er sich ab, bedeutete Rian und Reed ihm zu folgen und marschierte über den Platz.
»Bring Ilmari zu mir«, bellte er einem Anwärter den Befehl zu und dieser verschwand eilig.
An einer etwas abseits gelegenen Hütte trat er beiseite, damit Reed ihm öffnete, und ging dann mit Talil auf dem Arm hinein. Rian und Reed folgten ihm und schlossen die Tür.
Verstohlen sah Rian sich um. Bohl galt zwar als gerecht, doch er war stets unfreundlich, schroff in seiner Art, und noch nie durfte er sein Haus betreten. Reed hingegen schien sich bestens auszukennen, setzte eine Kanne Wasser auf und machte es sich dann auf einem Sessel bequem.
Unschlüssig hielt Bohl die Wölfin auf dem Arm und sah von einer Zimmertür zu dem Platz nah am Feuer.
»Leg sie auf den Boden vor den Kamin. Sie mag keine Betten«, erklärte Rian leise.
»Reed, nimm die Decke dort und breite sie hier aus«, wies Bohl ihn an, ließ Rian jedoch nicht aus den Augen. Vorsichtig legte er sie nieder, erhob sich und alle drei betrachteten sie. Rian kniete sich hin und streichelte ihr Fell.
»Sie ist vollkommen schmutzig.« Irritiert runzelte er die Stirn. Er wusste wenig von ihr, dennoch war er sich sicher, dass sie unter normalen Umständen niemals so ... Ja, wie sah sie denn aus? Mitgenommen., schoss es ihm durch den Kopf.
»Also, Rian, was genau ist hier los?«, fragte Bohl unvermittelt.
Rian warf ihm nur einen kurzen Blick zu. Noch immer streichelte er ihr Fell, als würde sie verschwinden, wenn er damit aufhörte. »Ich weiß es nicht. Sie war auf einmal da«, entgegnete er leise und schämte sich plötzlich für sein Vorhaben, für sich selbst. Niemals könnte er das jemandem anvertrauen, außer vielleicht Talil.
Reed und Bohl schnaubten beide, glaubten ihm kein Wort. Da es jedoch in diesem Moment an der Tür klopfte, entging er vorerst ihrem Verhör.
»Komm herein, Ilmari«, rief Bohl und hockte sich zu der Wölfin. Er hatte sie während ihrer Wandlung gesehen, doch noch immer wollte er es kaum glauben, war vollkommen fasziniert. Viel neugieriger aber machten ihn die Gründe der ganzen Geschehnisse.
Ilmari trat ein und stutzte, als er einen Wolf erblickte, ging dann jedoch direkt auf ihn zu und kniete sich ebenfalls hin. »Ah, eine Wandlerin.« Überrascht zog Bohl eine Augenbraue in die Höhe. »Und dann noch eine, mit einer äußerst starken Verbindung zu ihrem Seelensplitter.« Er holte ein kleines Fläschchen aus seiner Tasche, zog den Deckel ab und hielt es ihr unter die Nase. Sie zuckte zusammen und begann, sich zu regen.
»Wir sollten ihr ein wenig Platz lassen«, äußerte Rian zögernd. Sowohl Ilmari als auch Bohl horchten bei seinem Tonfall auf, warfen ihm einen misstrauischen Blick zu.
Reed erhob sich vorsichtig, nun sichtbar wachsam, besann sich dann anscheinend jedoch und legte Bohl beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. »Rian hat recht. Sie hat viel durchgemacht und könnte sich bedroht fühlen, wenn wir so nah bei ihr sitzen, während sie erwacht. Sie wird erst einmal gar nicht wissen, wo sie ist.« Der ruhige, selbstsichere Tonfall von Reed beruhigte ihn. Er nickte.
»Ich muss sie wecken. Sie muss sich wandeln, sonst kann ich ihr Bein nicht richtig versorgen.« Erneut hielt er ihr das Riechfläschchen unter die Wolfsnase, doch mehr als ein Zucken des Kopfes erreichte er damit nicht. Kopfschüttelnd verstaute er es wieder in seiner Tasche.
»Talil, du musst dich wandeln, hörst du mich? Wir sind hier, um dir zu helfen«, flüsterte Rian eindringlich. Augenblicklich durchlief ein Beben ihren Körper, bis ihr ganzer Leib erzitterte, dann wandelte sie sich plötzlich und öffnete die Augen. Sichtbar panisch setzte sie sich auf und sah sich hektisch um. Erst als sie Rian erkannte, wich die Beklemmung spürbar von ihr. Als sie sich jedoch bequemer hinsetzen wollte, erbleichte sie.
»Nicht«, riefen sie fast zeitgleich, doch es folgte zu spät. Talil kämpfte unübersehbar gegen die nächste Ohnmacht an, hielt sich den Kopf und atmete bewusst ein und aus. Schließlich fokussierte sich ihr Blick und plötzlich lächelte sie.
»Ich bin rechtzeitig gekommen«, sagte sie leise und strahlte noch mehr. Rian schluckte sichtbar und nickte. Reed, Bohl und Ilmari hörten und sahen verwirrt zu. »Geht es dir gut?«, erkundigte sie sich hörbar besorgt.
»Ja, im Gegensatz zu dir«, fügte er gequält an, sie jedoch grinste weiterhin.
»Wichtig ist nur, dass du hier bist.« Ernst musterte sie ihn und er nickte erneut, stockend diesmal.
»Was genau geht hier eigentlich vor?«, fragte Bohl leise. Er brannte vor Neugierde und wollte nur zu gerne wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Talil aber sah von Rian zu ihm und zuckte lediglich mit den Schultern, woraufhin Rian sich sein Lächeln nur noch mühsam verkneifen konnte.
»Du wirst warten müssen«, schaltete sich nun Ilmari ein, während er sie eingehend betrachtete. Er wandte sich seiner Tasche zu und reichte Reed einen Beutel. »Tu einen Hut davon in erhitztes Wasser. Aber achte darauf, dass es nicht zu heiß ist, und seht zu, dass ihr etwas zu essen auftreibt. Die junge Dunkelelbin sieht aus, als wäre es eine Weile her, dass sie eine anständige Mahlzeit bekommen hätte.« Talil verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. »Ich injiziere dir ein schmerzlinderndes Mittel, danach sehe ich mir dein Bein an«, sagte er ruhig.
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