Lachend drehte ich mich um und erstarrte. Kiljan stand so nah bei mir, dass mir der Atem stockte und mein Innerstes sich verkrampfte. Er sah mich an, sein Kopf neigte sich. Zögernd gelangten seine Lippen in mein Blickfeld und ich spürte, dass er mir genügend Zeit zu geben versuchte, um ihm auszuweichen. Doch das Problem war, dass ich gar nicht sicher wusste, was ich selbst eigentlich wirklich wollte. Mein Körper jedoch schon, und zwar sehr genau.
Ich griff in sein Haar und zog ihn zu mir herunter. Als unsere Lippen sich endlich trafen, überrollte mich augenblicklich eine Welle der Leidenschaft. Schockiert wurde mir bewusst, dass es sich dabei einzig und allein um meine eigenen Gefühle handelte. Ich wollte ihn. Unbedingt. Jetzt.
Kiljan ergriff schweratmend meine Handgelenke und löste sich. Sein Blick sprach Bände und doch sah ich sie ganz deutlich, seine abgrundtiefe Angst. »Wir sollten nichts überstürzen, Talil. Ich will dich, wirklich, mehr als alles andere auf dieser Welt, doch ich kann nicht, solange ich nicht sicher weiß, dass du vorhast hierzubleiben. Diese Unsicherheit bringt mich um den Verstand.«
Ich wollte so gerne einfach meinem Impuls nachgeben und mir nehmen, was ich gerade am dringendsten brauchte. Stattdessen trat ich einen Schritt zurück und seufzte. Mir war klar, dass er recht hatte und mein Verhalten unfair wäre, mehr als das. Verwirrt und frustriert fuhr ich mir übers Gesicht und durch die Haare.
»Ach, verdammt!«, stieß er hervor, hob mich plötzlich hoch und trug mich die Stufen hinauf, direkt zu dem Bett. Die ganze Zeit über küsste er mich wild, leidenschaftlich, und ich vergaß ebenfalls all meine guten Vorsätze. Erneut griff ich in sein Haar und zog ihn näher heran.
Inzwischen hatte er mich auf das Bett gelegt und kniete neben mir, versuchte vergeblich, die Knöpfe von meinem Hemd zu öffnen, und fluchte. Ich grinste, bis er mit einem unvermittelten Ruck das Hemd aufriss. Ungestüm schob er die Kleidung beiseite und sog an meinem Nippel, während er mit der Hand die andere Seite streichelte. Überrascht schnappte ich nach Luft, schockiert über seine Heftigkeit und versuchte krampfhaft, die Bilder zu unterdrücken, die sich, ausgelöst durch den Schreck, an die Oberfläche drängten.
Kiljan merkte wohl, dass ich mich verkrampfte, und richtete sich auf. »Warte!«, wisperte ich erstickt, schloss zitternd die Augen und kämpfte noch verbissener gegen die mächtige Bilderflut an. Ich atmete schwer, nun jedoch nicht mehr aufgrund meiner Erregung. Ich spürte sehr genau, wie ich allmählich den Kampf verlor …
»Was soll ich tun?«, flüsterte ich verzweifelt und griff mir mit beiden Händen an den Kopf, weil diese verdammten Bilder einfach nicht wieder weichen wollten.
»Rede mit mir«, bat Kiljan plötzlich leise. »Wehr dich nicht dagegen, sondern erzähle es mir.«
Panisch sah ich ihn an. War er jetzt übergeschnappt? Aufgebracht erhob ich mich, zog meine Kleidung zurecht und atmete tief durch. »Kiljan, du begreifst das nicht. Ich kann mit niemandem über diese Dinge sprechen. Und mit dir schon gar nicht.«
Sein Blick wirkte gekränkt und er musste gar nichts sagen, denn ich sah seine innere Wunde, die meine Worte verursacht hatten. Genervt runzelte ich die Stirn.
»Du verstehst das vollkommen falsch. Gerade mit dirwill ich darüber nicht reden. Ich könnte dir nie wieder in die Augen sehen. Nein, das stimmt nicht, verdammt.« Rastlos lief ich auf und ab, wandte mich ihm dann erneut zu. » Dukönntest mir nie wieder in die Augen sehen. Dieses Wissen würde dich vergiften. Es würde alles zerstören, was gutist, zwischen uns.«
Hilflos schaute er mich an. »Nevan meinte, du müsstest erkennen, dass nur das dir helfen kann. Sonst wirst du niemals darüber hinwegkommen.«
Gequält betrachtete ich ihn. Deswegen wollte ich nicht wieder hierher. Wollte all diesen Kummer nicht verursachen. »Ich muss zu Rian«, stieß ich hervor und streifte mir hastig ein Hemd über, bevor ich auf die Treppe zutrat.
»Rian?«, wiederholte Kiljan, hörbar verwirrt.
Zögernd blieb ich stehen. »Ja, ich muss mit ihm sprechen. Wo finde ich ihn?« Sein Ton hatte mich aufhorchen lassen. Eine eisige Gänsehaut lief meinen Rücken hinab, schon während ich mich ganz langsam wieder zu ihm umwandte. Anhand seines Tons, seiner Stimmlage, kannte ich die Antwort auf meine Frage bereits und dennoch stellte ich sie erneut.
»Wo ist Rian?« Mein Körper erbebte und Kiljans Stirnrunzeln vertiefte sich noch eine Spur.
»Er ist in den Bergen von Tari. Reed ist noch einmal unterwegs dorthin. Er begleitet ein paar Nachzügler von uns und wollte versuchen, ihn zur Rückkehr zu überreden.«
Ich wich zwei Schritte zurück. In mir arbeitete es auf Hochtouren und verdrängte die Panik, die sich breitzumachen versuchte. »Seit wann ist er fort? Können wir ihn irgendwie erreichen?«
Kiljan schüttelte irritiert den Kopf. »Er ist vor vier Mondgängen aufgebrochen. Er muss einen Umweg machen, da sie noch bei Gins Vater vorbei müssen. Palo benötigt ein paar Dinge und schafft den Weg zu uns momentan nur sehr selten.«
»Wer kennt den Weg?«, fragte ich unruhig.
»Ich kenne ihn. Talil, was ist denn los? Rede mit mir.«
Ich ließ mich auf den Stufen nieder und vergrub mein Gesicht in den Händen, dann seufzte ich. »Ich kann es dir nicht erklären, ich muss sofort zu Rian. Ich muss in Tari ankommen, noch bevor Reed wieder von dort aufbricht. Also erklärst du mir jetzt den Weg oder nicht? Ich habe keine Zeit, Kiljan. Bitte!«
Zögernd erhob er sich, doch ich sah ihm sein Unbehagen an. »Du wirst den Weg nicht finden, Talil. Du musst jemanden mitnehmen.«
Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, schüttelte ich bereits den Kopf. Ich wusste, dass die Berge auf unserer Seite des Waldes lagen, und dadurch die Möglichkeiten zu reisen begrenzt waren. Mein geliebtes Motorrad funktionierte hier nicht, also gab es auch keine Autos oder derlei Dinge.
»Als Wolf bin ich schneller als alle anderen. Ich gehe allein.« Wie hätte ich ihm erklären sollen, dass ich Rians Tod gesehen hatte? Ich erhob mich und stieg die Stufen hinab, als es kurz klopfte und Ean eintrat. Zögernd blieb er auf der Schwelle stehen. Ich grinste, denn er war genau derjenige, den ich brauchte.
»Ich will keine Rechtfertigung und keine Entschuldigungen hören. Wenn du mir helfen willst, zeigst du mir jetzt den Weg nach Tari, wie du es schon einmal getan hast. Ich muss, so schnell es geht, dorthin und zwar sofort.«
Er sah von mir zu Kiljan, der noch immer oberhalb der Treppe stand und wieder zu mir zurück. Wortlos fasste er meine Stirn und zeigte mir den Weg. Bilder füllten meinen Kopf, und ich wusste, ich würde die Festung der Hüter nicht verfehlen.
»Ich kehre zurück«, rief ich noch, dann lief ich los, aus der Tür hinaus.
»Talil, wo willst du hin? Was ist mit Cadan?«, hörte ich Juls gequälte Stimme. Abrupt blieb ich stehen und wandte mich langsam zu ihm um.
»Ich muss zu Rian. Er lebt, Cadan jedoch ist längst fort. Er wird es verstehen, und ich verabschiede mich später in aller Ruhe von ihm.« Unglücklich nickte Jul. »Ich komme wieder, ich verspreche es dir.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich bereits weiter. Ich wandelte mich im Lauf, erneut irritiert, weil der unsägliche Schmerz ausblieb, der meinen Körper zwar immer qualvoll durchströmte, mich damit aber jedes Mal erlöste – und vor mir selbst beschützt hatte.
Begegnungen
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