WACHSTUM
12. Wachstum! Oder der Sprung vom Maulwurfshügel auf den Mount Everest
13. Energie, Wachstum und die blinden Flecken der Ökonomik
14. Wachstum und Ressourcenverbrauch: Gibt es einen grünen Kapitalismus?
15. Das Wachstum in unseren Seelen
16. Wachstumszwänge und unwirtschaftliches Wachstum
17. Die Logik des Immer-mehr
18. Gegenläufige Wachstumskräfte: Demographie, Schulden, Produktivität
PEAK OIL
19. Endet das »petrolithische Zeitalter«?
20. Erdöl im Verkehr ersetzen – geht das (so einfach)?
21. Fossil und gleichzeitig erneuerbar in die Zukunft? Das globale Energiesystem im Umbruch
22. Unehrliche Ölpreise und sinkende Nettoenergie
23. Das Ende der Ära des fossilen Kapitalismus
PEAK EVERYTHING
24. Ressourcen- und Artenschwund. Von Peak Oil zu Peak Everything?
25. Nahrung, die Achillesferse des 21. Jahrhunderts?
26. Methusalem Malthus – die Rückkehr eines Untoten?
27. Das Comeback der Geopolitik
28. Zeitenwende
ANHANG
Abkürzungsverzeichnis
Glossar
Energie: Beispielrechnungen
Nachwort und Danksagung
Literaturverzeichnis
Nachweis der Eingangszitate
»Wenn wir die ökologische Krise nicht meistern, dann erübrigen sich alle weiteren Überlegungen für das 21. Jahrhundert.«
Michail Gorbatschow, Ex-Präsident der Sowjetunion und Friedensnobelpreisträger
1. Eine Provokation
Wir stehen vor einer Zeitenwende. Die nächsten Jahrzehnte halten enorme Herausforderungen für die Menschheit bereit. Auch wenn wir es versuchen – wir können vor diesen Herausforderungen nicht weglaufen. Wir können sie auch nicht dauerhaft ignorieren. Es kommt der Moment, in dem wir ihnen ins Auge schauen müssen. Um diesen Moment, dieses Rendezvous mit dem Schicksal, kreist dieses Buch.
Es ist gar nicht so leicht zu sagen, was das für ein Buch ist. Denn dieses Buch erzählt mehrere Geschichten gleichzeitig. Die der ökologischen Krise. Die der menschlichen Entwicklung in den letzten 12.000 Jahren. Die des Kapitalismus. Die der fossilen Brennstoffe. Die der Grenzen der Physik. Die der Weltbilder in unseren Köpfen.
Die folgenden Seiten zeigen, wie wir zu dem wurden, was wir heute sind. Aber auch, was nachfolgende Generationen in Zukunft erwartet. Viele glauben: Die Zukunft wird wie die Vergangenheit – nur besser. Doch die Gegenwart wirft Schatten auf die Zukunft. Unsere gesamte Kultur bewältigt Gegenwartsprobleme durch expansive Strategien. Wenn das Erdöl weniger wird, bohren wir tiefer. Wenn ein Wald gerodet ist, widmen wir uns dem nächsten. Wenn ein Feld nicht mehr genug Ertrag abwirft, tragen wir mehr chemischen Dünger auf. Wenn die Fischbestände zurückgehen, fahren wir weiter auf das Meer hinaus. 1Es ist absehbar, dass diese Strategien nicht bis in alle Ewigkeit Bestand haben können.
Kann eine Kultur auf lange Sicht erfolgreich sein, wenn sie ihre Ressourcen systematisch übernutzt? Kann sie überdauern, wenn sie die Lebenschancen der folgenden Generationen einschränkt? Oder noch provokativer gefragt: Was passiert, wenn der letzte Baum gefällt wurde? Essen wir dann unser Geld? 2
Wir alle kennen, wenn wir ehrlich sind, die Antworten auf diese Fragen. Noch nie in der Geschichte haben Menschen durch ihr Verhalten so stark die natürlichen Lebensgrundlagen global verändert, bedroht und zerstört wie gegenwärtig. Es scheint, als steuere die Menschheit sehenden Auges auf eine Katastrophe zu. Hat die Titanic den Eisberg schon gerammt? Niemand weiß es. Die fröhliche Party auf dem Oberdeck geht vorerst jedenfalls weiter.
Fragen der Gerechtigkeit sind nicht mehr von Fragen der Ökologie zu trennen. Zahlreiche Studien belegen, dass soziale Ungleichheit die Naturzerstörung befördert. 3Jeder Mensch, der für eine Welt eintritt, die über ein Mehr an Gerechtigkeit, Gleichheit und Menschenwürde verfügt, kommt nicht umhin, ökologisch zu denken. Schon vor vielen Jahren hat der Philosoph Hans Jonas genau das erkannt und den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant abgewandelt: »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.« 4
Die vorliegende Schrift ist trotz vieler Anmerkungen und Zitate kein streng wissenschaftliches Buch, sondern ein politisches. Geschrieben wurde es aus einem Mangelempfinden heraus. Es wird öffentlich kaum diskutiert, dass durch das Zusammenwirken von Klimawandel, Artensterben, Bevölkerungsdruck und Erschöpfung natürlicher Ressourcen unter Umständen ein Zivilisationsbruch droht, der in eine sehr autoritäre und konfliktreiche Richtung gehen könnte. Zu befürchten sind eine (weitere) Erosion demokratischer Errungenschaften und noch mehr Kriege und Konflikte in der Welt.
Die verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen liefern starke wissenschaftliche Belege für die Dringlichkeit der Umweltprobleme. Die Naturwissenschaftler enthalten sich allerdings in aller Regel weiterer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Schlussfolgerungen. Aus der Deckung wagen sich andere.
Zum Beispiel die Ökonomen. Doch bei ihnen dominieren Kostenargumente. Die herrschende ökonomische Lehre ist blind für die biophysikalischen Grundlagen des Wirtschaftsprozesses. Es wird kaum gesehen, dass jede wirtschaftliche Praxis, die die Gegebenheiten der Natur in ihren Konzepten ignoriert, letzten Endes zum Scheitern verurteilt ist. Für die Ökonomen leben wir in einer Cowboy-Ökonomie (Kenneth Boulding), in der Grenzen nicht vorkommen. Es gibt nur weites, ungenutztes Land. Eine solche Cowboy-Ökonomie erobert Gebiete, grast sie ab und müllt sie voll. Anschließend sucht sie sich neue Räume, grast auch diese ab, müllt sie voll und zieht weiter. Mit der Globalisierung aber wächst die Erkenntnis, dass die Erde rund ist und man deshalb dummerweise früher oder später die verschmutzten Ursprungsgebiete wieder erreicht.
Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist auch eine Geschichte des Immer-mehr. Daher steht im Zentrum dieses Buches ein entscheidender Begriff: Wachstum. Dieses liegt dann vor, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf steigt. Das BIP ist definitionsgemäß der Gesamtwert aller in einem Land in einem Jahr produzierten Güter und Dienstleistungen.
In den letzten 200 Jahren hat wirtschaftliches Wachstum den Wohlstand der sogenannten entwickelten Welt auf beispiellose Weise gesteigert. Eine Erfolgsgeschichte mit vielen Facetten: Viele von uns leben heute besser als Könige vor 500 Jahren. Die Kindersterblichkeit sank, während die Lebenserwartung stieg. Die weltweite Armut nahm ab.
Mit dem Wachstum verhält es sich wie mit dem größten Rausch aller Zeiten. Doch selbst der tollste Rausch endet irgendwann. Sind wir darauf vorbereitet?
Keinesfalls. Die meisten Industrieländer hängen am Wirtschaftswachstum wie der Junkie an der Nadel.
Daran hat auch die Coronakrise nichts geändert. Das Wachstum erlitt 2020 einen historischen Einbruch – die Wirtschaftsleistung schrumpfte in der Eurozone um 6,8 Prozent. In Deutschland belief sich der Rückgang des BIP pro Kopf auf 5,0 Prozent. Das war der größte Einbruch seit der Finanzkrise 2008/2009.
Vielen Menschen dämmerte in ihrem stillen Kämmerlein während des Lockdowns, wie fragil und wenig widerstandsfähig unser herrschendes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell tatsächlich ist. Vielen Menschen schwante, dass dieses Bild einer Gesellschaft des Immer-mehr möglicherweise falsch ist.
Die Eliten in Politik und Wirtschaft versuchen an diesem Bild mit aller Kraft festzuhalten. Wachstum ist aus ihrer Sicht weiterhin das Normalste der Welt und wird immer noch als die Grundlage des Wohlstands betrachtet. Typisch – übrigens für Politiker aller Couleur – ist eine Aussage von Angela Merkel:
»Ohne Wachstum keine Investitionen, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung, ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen. Und umgekehrt: Mit Wachstum Investitionen, Arbeitsplätze, Gelder für die Bildung, Hilfe für die Schwachen und – am wichtigsten –Vertrauen bei den Menschen.« 5
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