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Im Strafrecht wird nach den geschützten Rechtsgütern unterschieden zwischen Straftaten gegen Persönlichkeitswerte und Straftaten gegen Gemeinschaftswerte.
Zu den Persönlichkeitswerten, auch Individualrechstgüter genannt, gehören u.a. Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen. Straftaten, die diese Rechtsgüter verletzen, sind Gegenstand der Skripte „Strafrecht BT I“ (Straftaten gegen Persönlichkeitswerte) und „Strafrecht BT II“ (Straftaten gegen das Vermögen).
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In diesem Skript werden wir uns mit den Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, auch Universalrechtsgüter genannt, beschäftigen, die für Sie im Examen relevant sind. Dazu gehören die Sicherheit des Straßenverkehrs, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Echtheit, inhaltliche Richtigkeit und den Bestand von Urkunden sowie die Sicherheit der Allgemeinheit bei gemeingefährdenden Brandlegungen.
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Die Sicherheit des Straßenverkehrswird geschützt in den §§ 315b–316. Seit dem 13.10.2017 ist in § 315d auch die medial immer wieder Aufsehen erregende Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen unter Strafe gestellt. Zu den sog. „Straßenverkehrsdelikten“ gehört zudem das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gem. § 142, auch wenn das geschützte Rechtsgut nicht die allgemeine Sicherheit des Straßenverkehrs, sondern das private Feststellungsinteresse eines Unfallbeteiligten ist. Da in der Klausur die Straßenverkehrsdelikte häufig in Zusammenhang mit § 20 und damit auch der actio libera in causa geprüft werden, wird der dann relevante § 323a (Rauschtat) als „Exkurs“ zu den Straßenverkehrsdelikten dargestellt.
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Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflegewird in den Aussagedelikten gem. §§ 153 ff. sowie der falschen Verdächtigung gem. § 164, dem Vortäuschen einer Straftat sowie der Strafvereitelung gem. §§ 258, 258a geschützt.
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Das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Echtheit, inhaltliche Richtigkeit sowie den Bestand von Urkundenist das geschützte Rechtsgut der §§ 267 ff. Der Schutz wird in § 268 auf technische Aufzeichnungen und in § 269 auf beweiserhebliche Daten erweitert.
Der Schutz der Allgemeinheit vor gemeingefährdenden Brandlegungenerfolgt mit den §§ 306 ff.
Die weniger klausurrelevanten Umweltstraftaten sowie die Straftaten im Amt sind nicht Gegenstand dieses Skripts.[1]
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Sie können dazu nachlesen bei Wessels/Hettinger /Engländer Strafrecht BT 1 Rn. 1168 ff.
2. Teil Straßenverkehrsdelikte
Inhaltsverzeichnis
A. Überblick
B. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315b
C. Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315c
D. Trunkenheit im Verkehr, § 316
E. Exkurs: Vollrausch, § 323a
F. Verbotene Kraftfahrzeugrennen, § 315d
G. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, § 142
H. Übungsfall Nr. 1
2. Teil Straßenverkehrsdelikte› A. Überblick
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Straßenverkehrsdelikte spielen in Klausuren häufig eine nicht unerhebliche Rolle.
Sofern in Ihrem Klausursachverhalt also ein Kraftfahrzeug involviert ist, sollten Sie stets auch an die nachgenannten Vorschriften sowie an § 21 StVG, der hier nicht erörtert wird, denken.
Prüfungsrelevant sind die Normen § 315b(Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr), § 315c(Gefährdung des Straßenverkehrs) und als Auffangtatbestand § 316(Trunkenheit im Straßenverkehr) sowie § 315d,mit welcher der Gesetzgeber in 2017 das Ausrichten und Durchführen von sowie die Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen unter Strafe gestellt hat.
Geschütztes Rechtsgutdieser Normen ist zum einen die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrszum anderen bei den §§ 315b, c und d (Abs. 2 und 5) darüber hinaus auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und fremdes Eigentum.
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Lesen Sie die §§ 315b bis 315e und finden Sie die Unterschiede heraus, bevor Sie die nachfolgenden Ausführungen durcharbeiten.
§§ 315b und csowie § 315d Abs. 2sind konkrete Gefährdungsdelikte, bei welchen der Täter durch die Tathandlung entweder Leib und Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet haben muss. Bei §§ 315d Abs. 1 und 316hingegen ist eine solche konkrete Gefahr nicht erforderlich. Strafgrund ist hier die abstrakte Gefahr, die in der Vornahme der jeweiligen Tathandlungen unter den genannten Voraussetzungen liegt. § 315d Abs. 5ist eine Erfolgsqualifikation, bei der es durch die Tat nach § 315d Abs. 2nicht nur zu einer Gefahr, sondern zum Eintritt einer besonderen Folge gekommen ist.
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Wie sich dem Wortlaut der Normen entnehmen lässt, erfasst § 315bgefährliche Eingriffe, die von außen in den Straßenverkehr hineinwirken. Im Gegensatz dazu wird der Straßenverkehr bei §§ 315cund ddadurch gefährdet, dass Verkehrsteilnehmer aus dem Straßenverkehr heraus oder im Vorfeld mit Wirkung für den Straßenverkehr Fehlleistungenerbringen.
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Hinweis
§ 316a(Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer) ist zwar bei den Straßenverkehrsdelikten normiert, wird aber allgemein wegen der Absicht des Täters, einen Raub, räuberischen Diebstahl oder eine räuberische Erpressung zu begehen, als raubähnliches Delikt begriffen. Die geschützten Rechtsgütersind dementsprechend das Eigentum und das Vermögensowie darüber hinaus die Sicherheit des Straßenverkehrs.Aufgrund seines Bezuges zu den Vermögensdelikten haben wir diesen Straftatbestand in dem Skript „Strafrecht BT II“ ausführlich erörtert.
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§ 142(Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) schützt das private Feststellungsinteresse eines Unfallbeteiligtenzur Durchsetzung bzw. Abwehr zivilrechtlicher Ansprüche. Da dieses Interesse aus den Gefahren des Straßenverkehrs resultiert, wird § 142 thematisch zu den Straßenverkehrsdelikten gezählt.
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Die §§ 315, 315a beschäftigen sich mit der Sicherheit des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs und sind mit Ausnahme des § 315 Abs. 3 nicht sonderlich klausurrelevant. Auf § 315 Abs. 3 wird in § 315b Abs. 3 verwiesen, so dass dieser bei den Straßenverkehrsdelikten Anwendung findet.
2. Teil Straßenverkehrsdelikte› B. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315b
B. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315b
2. Teil Straßenverkehrsdelikte› B. Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, § 315b› I. Überblick
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Wie bereits ausgeführt, erfasst § 315b grundsätzlich nur Eingriffe, die von außenin den Straßenverkehr hinein wirken. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vergleich des § 315b mit § 315c, welcher insbesondere in Abs. 1 Nr. 2 verkehrstypische Verhaltensweisen erfasst, welche die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden können. Da der Katalog des § 315c Abs. 1 Nr. 2 (die sog. „sieben Todsünden des Straßenverkehrs“) abschließend ist (ergänzt wird er allerdings in § 315d um die Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen), können Strafbarkeitslücken entstehen bei Verhaltensweisen, die von der Vorwerfbarkeit her jenen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 entsprechen, dort aber nicht aufgelistet sind. Um diese Strafbarkeitslücken zu schließen, durchbrechen der BGHund weitestgehend auch die Literatur den Grundsatz des § 315b und subsumieren auch solche Tathandlungen unter § 315b, die aus dem fließenden oder ruhenden Straßenverkehr, also von innen herausbegangen werden. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Tathandlungen einen verkehrsfeindlichen Charakter besitzen und somit ihrer Natur nach wieder solchen Einwirkungen gleichstehen, die von außen in den Straßenverkehr hineinwirken. Mit den vom BGH entwickelten Anforderungen werden wir uns ausführlich im objektiven Tatbestand unter Rn. 23beschäftigen.
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