Art. 27 IPBPR: In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.
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A. |
Erklärung zu Art. 27 IPBPR |
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I. |
Rechtsnatur der Erklärung→ Vorbehalt, da Ausschluss von Rechtswirkungen |
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II. |
Wirksamkeitsvoraussetzungen |
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1. |
Zulässigkeit des Vorbehalts→ Vereinbarkeit mit Ziel und Zweck (Art. 19 lit. c WVK)?→ Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen nicht generell unzulässig (str.)→ kein Pauschalvorbehalt, kein nicht-derogierbares Recht, kein Verstoß gegen ius cogens ; evtl. wegen engen Zusammenhangs mit Art. 26 IPBPR (Zentralnorm!) unzulässig? (-), Art. 27 von Art. 26 trennbar; i. E. zulässig |
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2. |
Form und Verfahren |
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3. |
Annahme→ keine ausdrückliche Annahme erforderlich (auch nicht bei Menschenrechtsverträgen) |
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III. |
Ergebnis zu A |
B. |
Erklärung zu Art. 26 IPBPR |
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I. |
Rechtsnatur→ Interpretationserklärung! Keine ausdrückliche Garantie aus Art. 26 IPBPR; Ziel, Entwertung des Vorbehalts zu Art. 27 IPBPR durch Auslegung von Art. 26 IPBPR zu verhindern |
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II. |
Ergebnis zu B |
C. |
Erklärung zur Anti-Folter-Konvention |
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I. |
Rechtsnatur→ Abweichung von der Legaldefinition in Art. 1 Abs. 1 FolterÜbk: Vorbehalt |
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II. |
Wirksamkeitsvoraussetzungen |
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1. |
Zulässigkeit des Vorbehalts→ kein Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1 FolterÜbk (nur prozedural)→ Ziel und Zweck (Art. 19 lit. c WVK) verletzt: Umgehung des absoluten Verbots (vgl. Art. 2 Abs. 2 FolterÜbk) |
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2. |
Wirksamkeit des unzulässigen Vorbehalts?→ keine Annahme möglich, Wirksamkeit würde Art. 19 lit. c WVK entwerten (str.), kein Art. 19 WVK derogierendes Gewohnheitsrecht (Praxis uneinheitlich) |
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III. |
Wirksamkeit des Beitritts?→ (+), sofern nicht feststeht, dass Vorbehalt conditio sine qua non für Vertragsbindung war (vgl. ILC 2011; str.); Bestätigung durch Schweigen auf Stellungnahme von K (acquiescence) |
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IV. |
Ergebnis zu C |
D. |
Erklärung zum Abkommen mit Tutelien→ „Vorbehalt“ bei bilateralen Abkommen = Nichtratifikation + Angebot neuer Verhandlungen |
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Bei den Erklärungen könnte es sich um Vorbehalte zu völkerrechtlichen Verträgen handeln, deren rechtliche Wirkungen sich nach den Art. 19 ff WVK bestimmen. Von den Vorbehalten abzugrenzen sind bloße Interpretationserklärungen. Dabei ist gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK die Bezeichnung einer Erklärung unerheblich für die Einordnung als Vorbehalt, solange diese Erklärung von einem Staat einseitig bei der Unterzeichnung, Ratifikation etc.[1] eines Vertrags oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegeben wird und der Staat damit bezweckt, die Rechtswirkungen einzelner Bestimmungen für sich auszuschließen oder abzuändern. Es ist nun im Einzelnen zu untersuchen, welche der Erklärungen tatsächlich Vorbehalte im Sinne der WVK sind und ob diese rechtswirksam sind.
A. Erklärung zu Art. 27 IPBPR
I. Rechtsnatur der Erklärung
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Mit der Ausnahme von Art. 27 IPBPR bezweckt Sinistrien, die Rechtswirkungen dieser Bestimmung für sich auszuschließen. Da die Bezeichnung insoweit irrelevant ist (Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK), handelt es sich zweifelsfrei um einen Vorbehalt im Sinne der WVK.
II. Wirksamkeitsvoraussetzungen
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Um wirksam zu sein, muss der Vorbehalt regelmäßig gemäß Art. 19 WVK zulässig sein, in Form und Verfahren Art. 23 WVK entsprechend angebracht werden und bedarf der Annahme nach Art. 20 WVK.
1. Zulässigkeit des Vorbehalts
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Vorbehalte sind gemäß Art. 19 WVK grundsätzlich zulässig, sofern nicht der Vertrag den Vorbehalt verbietet oder nur bestimmte Vorbehalte zulässt oder der Vorbehalt mit Ziel und Zweck des Vertrags unvereinbar ist. Der IPBPR enthält keine Bestimmung, derzufolge das Anbringen von Vorbehalten unzulässig wäre. Auch existiert keine Vorschrift, die nur bestimmte Vorbehalte zuließe. Insofern kann es nur darauf ankommen, ob der Vorbehalt im Sinne von Art. 19 lit. c WVK mit Ziel und Zweck des IPBPR unvereinbar ist.
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Teilweise wird angenommen, dass Vorbehalte zu menschenrechtlichen Verträgen generell unzulässig sind: Anders als sonstige völkerrechtliche Verträge würden menschenrechtliche Verträge nicht nur zwischenstaatliche Beziehungen betreffen, sondern normativ Schutz und Rechte für Individuen bestimmen. Hiermit seien die Regelungen der WVK, die auf Reziprozität der Bindungen zwischen Staaten ausgerichtet seien, nicht vereinbar.[2] In diesem Sinne hat Richter Álvarez in seinem abweichenden Votum zum IGH-Gutachten zur Völkermordkonvention ausgeführt, Menschenrechtsverträge seien als Teil der Verfassung der Internationalen Gemeinschaft von der Möglichkeit des – auch nur teilweisen – opting-out ausgenommen.[3] Auch der UN-Menschenrechtsausschuss hat sich in seinen General Comments zum IPBPR dieser Sicht angeschlossen.[4] Dem steht indes eine Vielzahl von Vorbehalten auch bei menschenrechtlichen Verträgen gegenüber.[5] Diese deutliche Staatenpraxis lässt auf eine Rechtsüberzeugung schließen, dass es auch bei menschenrechtlichen Verträgen nicht a priori ausgeschlossen ist, Vorbehalte anzubringen. Wann Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen unzulässig sind, bedarf daher einer differenzierenden Antwort entlang der Linien, die die ILC 2011 in ihrem Praxisleitfaden gegeben hat.[6] Danach sind solche Vorbehalte unvereinbar mit Sinn und Zweck menschenrechtlicher Abkommen, die vage oder allgemein gefasst sind (Pauschalvorbehalte) oder die eine Verpflichtung, die im Vertrag als unabdingbar ausgewiesen ist, oder eine Norm des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) abbedingen sollen. Außerdem kann sich die Unzulässigkeit aus der untrennbaren Verbindung mit anderen Vertragsnormen ergeben, die ihrerseits von zentraler Bedeutung für das betreffende Abkommen sind.
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Der Vorbehalt zu Art. 27 IPBPR schließt die Geltung einer konkret bezeichneten Paktpflicht für Sinistrien aus und stellt nicht die Paktpflichten insgesamt unter einen Pauschalvorbehalt. Art. 27 ist in Art. 4 Abs. 2 IPBPR auch nicht für unabdingbar im Notstandsfalle benannt (dort sind nur die Art. 6, 7, 8 Abs. 1 und 2, 11, 15, 16 und 18 angeführt); die dort genannte Pflicht, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten bestimmte Rechte einzuräumen, dürfte auch nicht zum Kanon des zwingenden Völkerrechts zu rechnen sein. Zwar können auch Gleichheitsrechte zu jenem Kanon gehören; dass z. B. Sklaverei und Apartheid gegen das völkerrechtliche ius cogens verstoßen, ist allgemein anerkannt. Zu jenen fundamentalen Garantien der Gleichheit aller Menschen weist Art. 27 IPBPR jedoch keinen so engen Bezug auf, dass aus der abgeleiteten Pflicht ihrerseits eine zwingende würde.
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Am ehesten käme noch in Betracht, den Vorbehalt wegen einer untrennbaren Verbindung zu Art. 26 für unzulässig zu erklären. Art. 26 dürfte als Zentralnorm zur Gleichheit der Menschen im Rahmen des IPBPR durchaus besondere Bedeutung zugebilligt werden. Allerdings beschränkt sich Art. 26 darauf, Diskriminierungen wegen eines der dort genannten Merkmale zu verbieten. Art. 27 enthält im Gegensatz dazu eine ausdrückliche Verpflichtung zum „fördernden“ Minderheitenschutz.[7] Auch wenn die Grenze zu einem Diskriminierungsverbot nicht immer ganz leicht zu ziehen ist, gehen die dort genannten Pflichten doch über das Verbot des Art. 26 erkennbar hinaus und unterscheiden sich von diesen. Art. 27 erscheint daher als eine abtrennbare Vorschrift.
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