Claus Dieter Claasen , Verbote im Binnenmarktrecht, EuZW 2015, S. 854-859
Wolfram Cremer , Die Grundfreiheiten des Europäischen Unionsrechts, JURA 2015, S. 39-55
Wolfram Cremer/Alexander Bothe , Die Dreistufenprüfung als neuer Baustein der warenverkehrsrechtlichen Dogmatik, EuZW 2015, S. 413-418
Sara Dietz/Thomas Streinz , Das Marktzugangskriterium in der Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 2015, S. 50-73
EuGH, Warenverkehrsfreiheit: Nationales Verbot der Einfuhr von Tabakerzeugnissen für Tabakeinzelhändler europarechtswidrig (m. Anm. von Rudolf Streinz ), EuZW 2012, S. 508-512
James Kröger , Nutzungsmodalitäten im Recht der Warenverkehrsfreiheit, EuR 2012, S. 468-479
Norbert Reich , „Nutzungsmodalitäten“ als „Verkaufsmodalitäten“ oder „Marktzugangssperren“? – Kurzbesprechung der Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 8.7.2008 in der Rechtssache C-110/05 (Kommission/Italien), EuZW 2008, S. 485-486
Inhaltsverzeichnis
Vorüberlegungen
Gliederung
Lösungsvorschlag
Wiederholung und Vertiefung
178
Der EU-Mitgliedstaat Schwerland (S), der auch Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) ist, hat mit zunehmendem Übergewicht bei seiner Bevölkerung zu kämpfen. S erlässt daher das „Gesetz zur Besteuerung ungesunder Lebensmittel“. Nach diesem Gesetz werden beispielsweise Lebensmittel, die einen Zuckeranteil von mindestens 20% aufweisen, mit einer Zusatzsteuer i.H.v. 15% belegt. Traditionell hergestellte Lebensmittel, die Ausdruck einer besonderen Esskultur oder einer regionalen Identität sind, etwa das seit dem 17. Jahrhundert in S hergestellte Brotgebäck „Schwerer Stollen“ oder die aus S stammenden Karamellbonbons „Nascher Klümpchen“, sind dagegen von der zusätzlichen Steuer befreit. Voraussetzung ist allerdings die Aufnahme in eine dafür vorgesehene Liste, die vom in S zuständigen Verbraucherschutzministerium geführt wird. Hierzu bedarf es eines entsprechenden Antrags, über den ebenfalls das Verbraucherministerium entscheidet. Eine nähere Definition des Begriffs „traditionell hergestellte Lebensmittel“ ist gesetzlich allerdings nicht normiert. Aufgenommen werden können sowohl traditionell hergestellte Lebensmittel aus S als auch solche aus den anderen EU-Mitgliedstaaten. Dagegen sind Lebensmittel aus Drittstaaten, die wie das aus D stammende Brotgebäck „Zuckerbrot“ traditionell hergestellt werden, nicht von der Ausnahmeregelung erfasst.
Die Europäische Kommission ist über das neue Gesetz in S entsetzt. Durch dieses würden die Grundsätze des Binnenmarktes völlig über Bord geworfen und der Zugang für Lebensmittel aus anderen EU-Mitgliedstaaten, aber auch aus Drittstaaten erheblich erschwert. Der Grenzwert für den Zuckeranteil sei überdies völlig willkürlich und zudem derart gestaltet, dass die Produkte inländischer Hersteller gerade nicht unter die neue Steuer fielen. So weist etwa die in S beliebte einheimische Limonade „Freedom Juice“ einen Zuckeranteil i.H.v. nur 19% auf, während der Zuckeranteil der im EU-Mitgliedstaat M bzw. in D hergestellten Cola jeweils bei 20% liegt. S verletze daher sowohl seine Verpflichtungen aus den Unionsverträgen als auch aus den internationalen Abkommen, die die Union und S mit ihren Handelspartnern geschlossen haben. Insbesondere das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das für S auch unionsrechtlich verbindlich sei, lasse solche Regelungen nicht zu. Das Verhalten von S löse daher eine Verantwortlichkeit der Union gegenüber den Handelspartnern aus, weswegen die Kommission gegen S vorgehen müsse.
Die Kommission bittet den Beamten B, in einem Gutachten die Erfolgsaussichten einer Klage gegen S vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (GHEU) wegen der Unionsrechtswidrigkeit des vorgenannten Gesetzes von S zu prüfen.
Bearbeitervermerk:
Fertigen Sie das Gutachten des B an. Gehen Sie dabei auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen – gegebenenfalls hilfsgutachtlich – ein.
Fall 3 Schwerland› Vorüberlegungen
179
Der vorliegende Fall erscheint ausgehend von der relativ kurzen Sachverhaltsdarstellung zwar übersichtlich, beinhaltet allerdings teils sehr komplexe dogmatische Rechtsfragen des Unionsrechts und des WTO-Rechts.
Der prozessuale Einstieg in die Bearbeitung erfolgt vergleichsweise einfach im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 AEUV. In der Begründetheit stellt sich allerdings sodann bereits zu Beginn die Frage, ob bzw. inwiefern der Gerichtshof WTO-Recht als Rechtmäßigkeitsmaßstab für die vorliegenden mitgliedstaatlichen Maßnahmen heranziehen kann. Dies ist zwar grundsätzlich durch die Inkorporierung des in Rede stehenden internationalen Abkommens der Union in die Unionsrechtsordnung sowie die unmittelbare Anwendbarkeit der Regelungen bedingt, allerdings ist im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens als objektives Beanstandungsverfahren fraglich, inwiefern die unmittelbare Anwendbarkeit als Anforderung überhaupt erforderlich ist.
Mit Blick auf die rechtliche Prüfung der mitgliedstaatlichen Steuerregelungen, d.h. der Zusatzsteuer sowie deren Ausnahme für traditionell hergestellte Lebensmittel, bietet es sich an, diese nach dem jeweiligen Prüfungsmaßstab, nämlich dem Unionsrecht, insbesondere Art. 110 AEUV, sowie dem WTO-Recht, insbesondere Art. III:2 S. 1 GATT sowie Art. I:1 GATT, auszurichten. Hinsichtlich des Art. 110 AEUV sollte die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur „objektiven Rechtfertigung“ bekannt sein, die u.a. Auswirkungen auf die Gleichartigkeitsprüfung haben kann. In Bezug auf die WTO-rechtliche Untersuchung der Steuerausnahme für traditionell hergestellte Lebensmittel ist vor allem problematisch, dass die traditionelle Herstellungsmethode grundsätzlich bei der Bestimmung der Gleichartigkeit in- und ausländischer Waren außer Betracht bleibt, sodass sich möglicherweise das Vergleichspaar im Verhältnis zur Gleichartigkeit im Rahmen des Art. 110 AEUV verschiebt. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass etwaige Verstöße der Steuerregelungen gegen das GATT gemäß Art. XX GATT (z.B. lit. b (Schutz der Gesundheit) oder lit. f (Schutz von Kulturgütern)) sowie gemäß Art. XXIV GATT gerechtfertigt sein können.
Fall 3 Schwerland› Gliederung
180
A. |
Zulässigkeit |
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I. |
Zuständigkeit |
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II. |
Parteifähigkeit |
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III. |
Tauglicher Klagegegenstand |
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1. |
Verstoß gegen warenverkehrsrechtliche Vorschriften |
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2. |
Verstoß gegen das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) |
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IV. |
Ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens |
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V. |
Form und Frist |
B. |
Begründetheit |
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I. |
Überprüfbarkeit der behaupteten Rechtsverletzungen durch den Gerichtshof |
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1. |
Verletzung des AEUV |
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2. |
Verletzung von WTO-Recht bzw. des GATT |
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II. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen in S mit dem Unionsrecht |
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1. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen mit Art. 30 S. 1 AEUV |
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2. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen mit Art. 110 AEUV |
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3. |
Vereinbarkeit mit Art. 34 AEUV |
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III. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen mit dem WTO-Recht |
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1. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen mit Art. III:2 S. 1 GATT |
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2. |
Vereinbarkeit der Steuerregelungen mit Art. I:1 GATT |
C. |
Gesamtergebnis |
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