172
Das Verwendungsverbot des § 19 BJagdG dürfte nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn die angestrebten Ziele nicht durch andere Maßnahmen hinreichend effektiv gewährleistet werden könnten, die den Handel innerhalb der Union weniger beschränken.[39]
Als weniger eingriffsintensive Maßnahme könnte in Betracht gezogen werden, die Verwendung von NZGs unter einen besonderen Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Dies würde allerdings dazu führen, dass das Wild immer noch nachts gejagt werden kann. Eine nächtliche Jagd möchte der boarische Gesetzgeber mit dem NZG-Verwendungsverbot jedoch aufgrund seiner Tier- und Umweltschutzerwägungen zugunsten des Ökosystems „Wald“ (tierschutzgerechter Schuss; keine Zunahme von Flur- und Waldschäden durch zusätzliche Wildwanderungen) verhindern. Daher trägt auch das Vorbringen der Kommission nicht, dass das Ökosystem „Wald“ doch gerade vor einem ausartenden Schwarzwildbestand geschützt werden müsse. Nach Wertung des boarischen Gesetzgebers muss dies vielmehr im Einklang mit den oben genannten Erwägungen geschehen. Folglich wäre ein Genehmigungsvorbehalt nicht gleich effektiv zur Zielerreichung wie das NZG-Verwendungsverbot ist. Das Verwendungsverbot ist somit erforderlich.
173
Hinweis:
Eine über die Prüfung der Erforderlichkeit hinausgehende Güterabwägung im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung nimmt der Gerichtshof in der Regel nicht vor. Wertende Aspekte lässt der Gerichtshof bereits in die Prüfung der Erforderlichkeit einfließen. Von Bearbeitern werden daher keine Ausführungen zur Angemessenheit erwartet.
c) Zwischenergebnis zur Verhältnismäßigkeit/Rechtfertigung
174
Das Verwendungsverbot ist verhältnismäßig und gerechtfertigt.
IV. Zwischenergebnis zur Prüfung des Art. 34 AEUV
175
Das Verwendungsverbot von NZGs bei der Jagd gemäß § 19 BJagdG verstößt nicht gegen das Beschränkungsverbot gemäß Art. 34 AEUV. Eine Vertragsverletzung durch B liegt nicht vor.
176
Das Vertragsverletzungsverfahren ist zulässig, aber unbegründet. Es hat keine Aussicht auf Erfolg.
[1]
Zum Vorverfahren siehe Thiele , Europäisches Prozessrecht, 2. Auflage 2014, § 5, Rn. 14 ff.
[2]
Karpenstein , in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 63. EL Dezember 2017, Art. 258 AEUV, Rn. 29.
[3]
Ibid., Rn. 40.
[4]
Ibid., Rn. 45.
[5]
Zum Rechtsschutzbedürfnis siehe Thiele , Europäisches Prozessrecht, 2. Auflage 2014, § 5, Rn. 36 ff.
[6]
Ibid., Rn. 36.
[7]
Ibid.
[8]
Gerichtshof, C-7/61, ECLI:EU:C:1961:31, S. 715 – Kommission der EWG/Italien.
[9]
Gerichtshof, C-353/89, ECLI:EU:C:1991:325, Rn. 28 – Kommission/Niederlande.
[10]
Siehe eine Zusammenfassung der Rechtsprechung von Thiele , Europäisches Prozessrecht, 2. Auflage 2014, § 5, Rn. 39.
[11]
Vgl. Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 968.
[12]
Siehe dazu u.a. Cremer/Bothe , Die Dreistufenprüfung als neuer Baustein der warenverkehrsrechtlichen Dogmatik, EuZW 2015, 413 (416/417); Haratsch/Koenig/Pechstein , Europarecht, 11. Auflage 2018, Rn. 907; Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 909 ff.
[13]
Haratsch/Koenig/Pechstein , Europarecht, 11. Auflage 2018, Rn. 908 mit Verweis auf Gerichtshof, C-456/10, ECLI:EU:C:2012:241, Rn. 33 ff. – ANETT.
[14]
Gerichtshof, C-108/09, ECLI:EU:C:2010:725, Rn. 54 – Ker-Optika.
[15]
Gerichtshof, C-142/05, ECLI:EU:C:2009:336, Rn. 28 – Mickelsson und Roos.
[16]
Gerichtshof, C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rn. 57 – Kommission/Italien; Gerichtshof, C-265/06, ECLI:EU:C:2008:210 – Kommission/Portugal.
[17]
Entsprechende Argumentation siehe auch bei Gerichtshof, C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rn. 49 – Kommission/Italien.
[18]
Zur Keck -Rechtsprechung siehe Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 909.
[19]
Gerichtshof, C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82, Rn. 5 – Dassonville.
[20]
Gerichtshof, C-267/91, ECLI:EU:C:1993:905, Rn. 16 – Keck und Mithouard.
[21]
Siehe dazu Haratsch/Koenig/Pechstein , Europarecht, 11. Auflage 2018, Rn. 906; vgl. insbesondere Gerichtshof, C-142/05, ECLI:EU:C:2009:336, Rn. 24 – Mickelsson und Roos.
[22]
Vgl. Generalanwältin Kokott, C-142/05, ECLI:EU:C:2006:782, Rn. 42 ff. – Mickelsson und Roos.
[23]
Zu den geschriebenen Rechtsfertigungsgründen gemäß Art. 36 AEUV siehe Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 915 ff.
[24]
Gerichtshof, C-120/78, ECLI:EU:C:1979:42, Rn. 8 – Cassis de Dijon.
[25]
Siehe W. Schroeder , in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 36 AEUV, Rn. 4.
[26]
Vgl. Gerichtshof, C-388/01, ECLI:EU:C:2003:30, Rn. 21 – Kommission/Italien.
[27]
Gerichtshof, C-379/98, ECLI:EU:C:2001:160, Rn. 89 – PreussenElektra.
[28]
Gerichtshof, C-72/83, ECLI:EU:C:1984:256, Rn. 34 – Campus Oil.
[29]
Kingreen , in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 36 AEUV, Rn. 197.
[30]
Ein Beispiel für die öffentliche Sicherheit stellt der Straßenverkehr dar, vgl. Gerichtshof, C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rn. 60 ff. – Kommission/Italien.
[31]
Müller-Graf , in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 36 AEUV, Rn. 58.
[32]
Kingreen , in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 36 AEUV, Rn. 205.
[33]
Vgl. Streinz , in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 13 AEUV, Rn. 3 und 10.
[34]
Zu den ungeschriebenen Rechtsfertigungsgründen i.S.d. der Cassis de Dijon -Rechtsprechung siehe Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 919 ff.
[35]
Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein , Europarecht, 11. Auflage 2018, Rn. 919 ff.; Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 919 ff.
[36]
Gerichtshof, C-152/78, ECLI:EU:C:1980:187, Rn. 15 ff. – Kommission/Frankreich.
[37]
Vgl. u.a. Gerichtshof, C-243/01, ECLI:EU:C:2003:597, Rn. 66 ff.– Gambelli u.a.
[38]
Siehe dazu ausführlich Forsthoff , in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Rechts der Europäischen Union, 63. EL Dezember 2017, Art. 45 AEUV, Rn. 401 ff.
[39]
Gerichtshof, C-473/98, ECLI:EU:C:2000:379, Rn. 40 – Toolex Alpha.
Fall 2 Wildschweinjagd im Binnenmarkt› Wiederholung und Vertiefung
Wiederholung und Vertiefung
177
Lehrbücher
Andreas Haratsch/Christian Koenig/Matthias Pechstein , Europarecht, 11. Auflage 2018, Rn. 871 ff., insb. Rn. 906 ff.
Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen/Martin Nettesheim , Europarecht – Ein Studienbuch, 7. Auflage 2016, § 22
Eckhard Pache/Matthias Knauff , Fallhandbuch Europäisches Wirtschaftsrecht, 2. Auflage 2010, §§ 3, 4
Rudolf Streinz , Europarecht, 10. Auflage 2016, Rn. 633-640 und Rn. 883-925
Alexander Thiele , Europäisches Prozessrecht, 2. Auflage 2014, § 5
Aufsätze
Alexander Brigola , Die Metamorphose der Keck- Formel in der Rechtssprechung des EuGH – Ein Eckpfeiler im System des freien Warenverkehrs im neuem Körper, EuZW 2012, S. 248-253
Alexander Brigola , Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Gefüge der EU-Grundfreiheiten – Steuerungsinstrument oder Risikofaktor?, EuZW 2017, S. 406-412
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