JURIQ-Klausurtipp
Das Einverständnis des Gewahrsamsinhabers ist mithin im Rahmen der Tathandlung im objektiven Tatbestand zu diskutieren. Sofern Eigentümer und Gewahrsamsinhaber auseinanderfallen, ist es möglich, dass zwar der Eigentümer, nicht aber der Gewahrsamsinhaber mit dem Gewahrsamswechsel einverstanden ist. Dieses „Einverstandensein“ des Eigentümersmuss dann in der Klausur auf der Prüfungsebene der Rechtswidrigkeit als rechtfertigende Einwilligung geprüft werden. Achten Sie also auf eine sorgfältige Differenzierung!
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Folgende Anforderungen werden an das tatbestandsausschließende Einverständnis gestellt:
1. Voraussetzung |
2. Voraussetzung |
3. Voraussetzung |
Es muss tatsächlich vorhandensein und auf einem natürlichen Willenberuhen. |
Es muss auf die vollständige Gewahrsamsübertragunggerichtet sein. |
Es muss freiwilligerlangt sein. |
aa) Das Einverständnis muss tatsächlich vorhanden sein und auf einem natürlichen Willen beruhen
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Ein mutmaßliches Einverständnis gibt es nicht, d.h. das Einverständnis muss beim Gewahrsamsinhaber tatsächlich vorhandensein, auch wenn es nicht ausgesprochen zu werden braucht.
Beispiel
Dieb D nimmt in einem vermeintlich unbeobachteten Moment das Feuerzeug vom Tisch des X und steckt es in seine Manteltasche. X hat tatsächlich das Geschehen schweigend beobachtet, ist aber mit der Wegnahme einverstanden, da das Feuerzeug kaputt ist und er sich so die Entsorgung gespart hat.
Objektiv liegt kein Diebstahl vor, da der Gewahrsamsbruch tatsächlich nicht gegen den Willen des X erfolgte. Zu prüfen ist in der Klausur aber versuchter Diebstahl, der auch bejaht werden muss, da der Tatentschluss des „unwissenden“ D auf die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache gerichtet war.
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Das Einverständnis muss sich auf die konkret weggenommene Sachebeziehen, wobei es bei verpackten Sachen problematisch sein kann, was vom Einverständnis erfasst ist.
Beispiel
A nimmt sich in einem SB-Warenhaus einen Staubsauger aus dem Regal. In der Verpackung versteckt er noch einige CDs. An der Kasse geht die Verkäuferin davon aus, dass sich in dem Karton lediglich ein Staubsauger befindet. Deshalb berechnet sie dem A lediglich den Preis für den Staubsauger.
Hier könnte sich das Einverständnis nur auf den auf der Verpackung abgebildeten Staubsauger beziehen, nicht auf die CDs, von deren Vorhandensein die Kassiererin keine Ahnung hatte. Bezüglich der CDs läge mithin eine Wegnahme vor. Man kann aber auch vertreten, dass sich das Einverständnis auf den gesamten Inhalt bezog, dann käme ein Betrug in Betracht.[48] Wir werden uns diese Problematik näher beim Betrug, dort beim Verfügungsbewusstsein ansehen (Rn. 547).
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Das Einverständnis kann an faktische(nicht rechtsgeschäftliche!) Bedingungengeknüpft sein.
Beispiel
A wirft in den Colaautomaten statt eines Euros eine nachgemachte wertlose Münze ein. Der Automat wirft die Cola in den Ausgabeschacht. In der Ausgabe könnte ein tatbestandsausschließendes Einverständnis gesehen werden. Nach herrschender Meinung ist ein derartiges Einverständnis des Automateninhabers mit dem Gewahrsamsübergang jedoch nur anzunehmen, wenn der Automat ordnungsgemäß bedient worden ist, was vorliegend nicht der Fall ist. A hat somit die Coladose weggenommen.[49]
Auch bei SB-Kassen, bei denen die Kunden die Ware selber über den sich auf den Waren befindlichen Strichcode einscannen und dann entsprechend bezahlen, ist ein Diebstahl möglich, wenn statt des auf der Ware stehenden Strichcodes ein anderer Strichcode gescannt und dann der naturgemäß günstigere Preis entrichtet wird. Der Wille des Betreibers der SB Kasse ist darauf gerichtet, den Gewahrsam nur bei ordnungsgemäßer Bedienung der Kasse zu übertragen, welche nicht vorliegt. Auch bliebt der Gegenstand fremd, da das Übereignungsangebot unter der Bedingung der Kaufpreiszahlung in voller Höhe steht.[50]
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Eine Täuschungist für die Wirksamkeit des Einverständnisses unerheblich. Es reicht, dass derjenige, der einverstanden ist, aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten einen entsprechenden Willen bilden kann und gebildet hat. Man spricht insofern von einem „natürlichen“ Willen. Dieser natürliche Wille kann auch bei Minderjährigen vorliegen, die noch nicht rechtsgeschäftsfähig sind.
Beispiel
Nachbar N erklärt dem draußen spielenden, sechsjährigen A, dass ihn seine Mutter gebeten habe, das Fahrrad mitzunehmen, um es sauber zu machen. A glaubt N und stimmt kein Kriegsgeschrei an, als N das Fahrrad in sein Auto lädt.
bb) Das Einverständnis muss auf eine vollständige Gewahrsamsübertragung und nicht nur auf eine Gewahrsamslockerung gerichtet sein
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Es ist denkbar, dass der Täter zur Erleichterung der Wegnahme Täuschungsmittel einsetzt. Man spricht in diesen Fällen vom sog. „Trickdiebstahl“, der ebenfalls gerne in Klausuren geprüft wird. Diese Form des Diebstahls muss sorgfältig abgegrenzt werden vom Sachbetrug.
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Diebstahl und Betrug stehen nach überwiegender Auffassung in einem sog. Alternativverhältnis zueinander. Diebstahl wird als Fremdschädigungsdeliktverstanden, bei welchem das Opfer gegen seinen Willen den Gewahrsam verliert. Betrug hingegen ist ein Selbstschädigungsdelikt, bei welchem das Opfer, wenn auch täuschungsbedingt, mit seinem Willen, der in der Vermögensverfügung zum Ausdruck kommt, den Gewahrsam verliert.
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Für die Klausur bedeutet das, dass bezüglich ein und derselben Handlungentweder Diebstahl oder Betrug in Frage kommt. Haben Sie bereits eines der beiden Delikte bejaht, verbietet sich eine Prüfung des anderen Delikts.
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Die Abgrenzung zwischen beiden Delikten erfolgt anhand des Willens des Gewahrsamsinhabers:
Richtet sich dieser Wille zum Zeitpunkt der Tathandlung des Täters auf die vollständige Gewahrsamsübertragung, so liegt ein Betrugvor, sofern der Wille durch Täuschung erschlichen wurde. Richtet sich der Wille hingegen nur auf eine Gewahrsamslockerung, so erfolgt der letztendliche Gewahrsamsbruch gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers, so dass ein Diebstahlangenommen werden kann.
Beispiel
A verkleidet sich als Gepäckträger und erklärt Reisenden am Kölner Hauptbahnhof wahrheitswidrig, dass sie ihren Koffer nicht mit in den Warteraum nehmen könnten. Er bietet ihnen aber an, den Koffer für sie in ein Schließfach zu bringen. Tourist T fällt auf A herein und übergibt ihm seinen Koffer, den A in das Schließfach 242 verbringt. Im Anschluss gibt A dem T einen Schlüssel zum leeren Schließfach 263 und behält den Schlüssel zum Schließfach 242. In einem unbeobachteten Moment nimmt er dann den Koffer aus Schließfach 242 und verschwindet.
In diesem Fall war der Wille des T nicht auf einen Gewahrsamsverlust gerichtet, da T davon ausging, den Schlüssel zum Schließfach zu bekommen, in welchem sein Koffer deponiert ist. Er wollte sich also die Möglichkeit, jederzeit auf den Koffer zugreifen zu können, erhalten. Als er den Koffer übergab, war der Wille mithin lediglich auf eine Gewahrsamslockerung gerichtet. Der Gewahrsamsbruch durch Wegschließen des Koffers geschah damit gegen den Willen.
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