3. Teil Gefahrenabwehrverfügungen nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht› C. Formelle Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrverfügung› II. Verfahren
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Wiederholen Sie ggf. zunächst diesen grundlegenden Aspekt im Skript „Allgemeines Verwaltungsrecht“!
Im zweiten Schritt untersuchen Sie, ob die Gefahrenabwehrverfügung in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen wurde. Da es sich bei der Gefahrenabwehrverfügung um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG NRW handelt, geht seinem Erlass ein Verwaltungsverfahren i.S.d. § 9 VwVfG NRWvoraus.
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Soweit besondere Verfahrensvorschriftenbestehen, prüfen Sie zunächst, ob diese Vorschriften beachtet wurden. Besondere Verfahrensvorschriften können insbesondere bei den polizei- und ordnungsrechtlichen Standardmaßnahmen existieren. So können z.B. andere Hoheitsträger, Behörden oder Organe zu beteiligen sein (z.B. § 14a Abs. 2 S. 1 PolG NRW; § 36 PolG NRW), besondere Beteiligungsrechte Betroffener zu beachten sein (z.B. § 34a Abs. 2, Abs. 4 PolG NRW), bestimmte Modalitäten einzuhalten sein (z.B. § 39 Abs. 3 PolG NRW).
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Im Übrigen untersuchen Sie die Einhaltung der allgemeinen Verfahrensvorschriften. Dazu gehört insbesondere die Anhörung i.S.d. § 28 VwVfG NRW.
JURIQ-Klausurtipp
Sofern die Einhaltung der Verfahrensvorschriften problemlos bejaht werden kann, genügt eine kurze Feststellung unter Nennung der einschlägigen Verfahrensvorschriften. Sofern die handelnde Behörde in Ihrer Fallbearbeitung jedoch Verfahrensvorschriften verletzt hat, sind die Rechtsfolgen dieser Verletzungen erörtern. Besonders prüfungsrelevant sind Verletzungen bei der Anhörung. Oftmals wird sie – entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW – unterlassen. Falls nicht bereits § 28 Abs. 2 VwVfG NRW eingreift, sollten Sie an § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW denken. Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW kann die Anhörung bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, und – sofern noch ein Widerspruchsverfahren statthaft sein sollte – durch die Widerspruchsbehörde, nicht aber durch ein Gericht, nachgeholt werden.[7] Sofern ein Widerspruchsverfahren statthaft sein sollte, erfolgt die Nachholung der Anhörung in der Praxis häufig mittels Durchführung des Widerspruchsverfahrens. Schließlich ist im Rahmen der Beurteilung der Verfahrensfehlerfolgen auch § 46 VwVfG NRW zu berücksichtigen.
3. Teil Gefahrenabwehrverfügungen nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht› C. Formelle Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrverfügung› III. Form
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Im dritten Schritt gehen Sie der Frage nach, ob die Gefahrenabwehrverfügung unter Einhaltung etwa bestehender Formvorschriften erlassen wurde. Gefahrenabwehrverfügungen der Ordnungsverwaltungbedürfen grundsätzlichgemäß § 20 S. 1 OBGder Schriftform. Von diesem Formerfordernis kann nur bei Gefahr im Verzug abgesehen werden (vgl. § 20 S. 2 OBG). Gefahrenabwehrverfügungen der Polizeisind dagegen formfrei(vgl. § 37 Abs. 2 VwVfG NRW).
JURIQ-Klausurtipp
Falls sich keine Formprobleme in Ihrer Fallbearbeitung stellen, können Sie diesen Prüfungspunkt kurz abhandeln, indem sie die Einhaltung der Form bzw. die Formfreiheit bei Erlass der Verfügung unter Nennung der einschlägigen Paragraphen kurz feststellen. Sofern die Gefahrenabwehrverfügung aber unter Verletzung einer Formvorschrift erlassen wurde, sind die Rechtsfolgen dieser Verletzung wieder anhand der §§ 44–46 VwVfG NRW zu untersuchen.
3. Teil Gefahrenabwehrverfügungen nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht› C. Formelle Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrverfügung› IV. Begründung
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Im vierten Schritt prüfen Sie, ob die Gefahrenabwehrverfügung begründet wurde. U.a. schriftliche oder elektronisch erlassene Verfügungenmüssen grundsätzlich begründetwerden (vgl. § 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW; zu den Ausnahmen s. § 39 Abs. 2 VwVfG NRW). Die Anforderungen an die Begründung sind in § 39 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VwVfG NRW geregelt. Danach sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründemitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogenhaben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkteerkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangenist.
JURIQ-Klausurtipp
Hinsichtlich der Abhandlung dieses Prüfungspunktes gelten die Ausführungen oben ( Rn. 102) entsprechend.
3. Teil Gefahrenabwehrverfügungen nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht› C. Formelle Rechtmäßigkeit der Gefahrenabwehrverfügung› V. Bekanntgabe
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Gefahrenabwehrverfügungen sind grundsätzlichgemäß § 41 VwVfG NRW bekanntzumachen. Die Bekanntgabe hat nach § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gegenüber demjenigen Beteiligten zu erfolgen, für den er bestimmtist (d.h. Adressat der Verfügung) oder der von ihm betroffenwird. § 41 Abs. 2 VwVfG NRWregelt die einfache Bekanntgabe; § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRWhält Vorschriften für die öffentliche Bekanntgabebereit. Eine Bekanntgabe der Verfügung mittels förmlicher Zustellungnach dem LZG NRW[8] durch die in § 1 LZG NRW genannten Stellen bleibt unberührt (vgl. § 41 Abs. 5 VwVfG NRW).
JURIQ-Klausurtipp 1
Eine wirksame Bekanntgabe der gefahrenabwehrrechtlichen Verfügung ist Voraussetzung für den Eintritt der Wirksamkeit der Verfügung (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG NRW). Eine unwirksame Bekanntgabe kann nicht rückwirkend geheilt werden; in diesem Falle muss die Verfügung neu erlassen werden. Eine Heilung mit Wirkung für die Zukunft kann dagegen möglich sein.[9]
JURIQ-Klausurtipp 2
In Fallbearbeitungen ist die Bekanntgabe von Verkehrszeichenein Klausurklassiker. Als Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 S. 2 VwVfG NRW mit Dauerwirkung[10] werden Verkehrszeichen gemäß §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 Hs. 1 StVOdurch ihre wahrnehmbare Aufstellung bekanntgegeben und damit wirksam (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG NRW); unerheblich ist also, ob ein Verkehrsteilnehmer das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt. Das Bundesverwaltungsgericht steht auf dem Standpunkt, dass es sich bei der Aufstellung von Verkehrszeichen nach Maßgabe der Straßenverkehrsordnung um eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabehandelt, die § 41 Abs. 3 VwVfG NRW verdrängt.[11] Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts [12] äußern Verkehrszeichen nach dem so genannten Sichtbarkeitsgrundsatzihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht, wenn Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht sind, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon „mit einem raschen und beiläufigen Blick“[13] erfassen kann. Eine ordnungsgemäße Bekanntgabe liegt auch dann vor, wenn das Verkehrszeichen erst aufgestellt wird, nachdem ein Pkw abgestellt wurde.[14]
Beispiel
Familie B fliegt am 1.5. für zwei Wochen in Urlaub und stellt ihren Pkw vor ihrem Haus ab. Am 3.5. wird vor ihrem Haus ein mobiles Verkehrszeichen aufgestellt, das vom 11.5. bis 14.5. das Halten vor dem Haus der Familie B wegen Straßenbauarbeiten absolut verbietet. – Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts hängt die Wirksamkeit eines ordnungsgemäß aufgestellten oder angebrachten Verkehrszeichens nicht von der subjektiven Kenntnisnahme des davon betroffenen Verkehrsteilnehmers ab. Verkehrsteilnehmer ist dabei nicht nur derjenige, der sich im Straßenverkehr bewegt, sondern auch der Halter eines am Straßenrand geparkten Pkw, solange er Inhaber der tatsächlichen Gewalt über den Pkw ist. Es verstößt grundsätzlich auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn ein zunächst ordnungsgemäß geparkter Pkw vier Tage nach Aufstellen eines Haltverbotszeichens auf Kosten des Halters abgeschleppt wird.[15] Die Rechtsprechung stellt also hohe Anforderungen an die Sorgfalt des Halters oder Fahrers eines Pkw. Bei längerer Abwesenheit muss der Halter oder der Fahrer Vorsorge treffen, wenn er eine „böse Überraschung“ durch ein nachträglich aufgestelltes Halte- oder Parkverbotszeichen vermeiden will.
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