Die G-GmbH ist bundesweit als Kontrollstelle im ökologischen Landbau tätig. Sie überprüft landwirtschaftliche Unternehmen auf die Einhaltung der Standards des ökologischen Landbaus und zertifiziert Betriebe und Erzeugnisse nach dem Öko-Landbaugesetz. In Bayern nimmt die G-GmbH diese Kontrollaufgaben auf Grund eines Beleihungsbescheids mit folgender Nebenbestimmung wahr: „Bei Schäden, die die Kontrollstelle in Wahrnehmung ihrer Aufgaben Dritten zufügt, hat die Kontrollstelle – sofern sie in Anspruch genommen wird – keinen Ausgleichsanspruch gegen den Freistaat Bayern. Wird der Freistaat Bayern in Anspruch genommen, hat die Kontrollstelle diesen von der Haftung freizustellen.“ Hat die von der G-GmbH in zulässiger Weise gegen diese Nebenbestimmung erhobene Anfechtungsklage Erfolg, wenn für die Haftungsregelung keine gesetzliche Grundlage existiert?
Ja. Die zulässige Anfechtungsklage ist auch begründet und hat damit Erfolg, weil die in der Nebenbestimmung getroffene Haftungsregelung schon mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig ist und die G-GmbH in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dass die vorliegende Haftungsregelung einer gesetzlichen Grundlage bedarf, ergibt sich aus Art. 33 Abs. 4 GG sowie den Verfassungsgrundsätzen des Rechtsstaats- und des Demokratiegebots (Art. 20 Abs. 1, 3 GG). Denn die Beleihung Privater mit hoheitlichen Befugnissen stellt eine staatsorganisatorische Maßnahme dar, die von dem Regelbild der Verfassungsordnung abweicht, nämlich dass hoheitliche Befugnisse i.d.R. Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen sind, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen (Funktionsvorbehalt für Beamte). Muss der Gesetzgeber hiernach jedenfalls das „Ob“ der Beleihung regeln, so können darüber hinaus aber auch einzelne Modalitäten der Beleihung (das „Wie“) derart wesentlich sein, dass sie der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten sind. Dies ist bzgl. der hier in Frage stehenden Haftungsregelung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Regelbilds des Art. 34 S. 2 GG der Fall, wonach bei Pflichtverletzungen, welche den Staat Dritten gegenüber zum Schadensersatz verpflichten, ein Rückgriff des Staates gegenüber dem jeweils Handelnden nur oberhalb der Schwelle von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit vorbehalten ist. Der hiermit u.a. verfolgte Zweck, die Entschlussfreude und damit die Effizienz hoheitlichen Verwaltungshandelns zu stärken, hat unabhängig davon Bedeutung, ob der Staat durch eigenes Personal selbst handelt oder – wie hier – mittels eines privaten Beliehenen. Die vorliegende Regelung enthält eine derartige Haftungsbeschränkung auf schweres Verschulden jedoch gerade nicht.
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Demgegenüber ist eine (materiell-)gesetzliche Grundlage im Rahmen der Leistungsverwaltung, d.h. für die Gewährung staatlicher Leistungen (z.B. Subventionen[27]), nach h.M.[28] grundsätzlich nichtnotwendig.[29] Vielmehr genügt es insoweit regelmäßig, wenn im jeweiligen Haushaltsplan, der als Gesetz im rein formellen Sinn keine Wirkungen im Außenverhältnis des Staates zum Bürger entfaltet (vgl. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG; § 3 Abs. 2 BHO, § 3 Abs. 2 HGrG; siehe auch das Beispiel in Rn. 236) – bzw. bei Selbstverwaltungsträgern wie den Gemeinden in der Haushaltssatzung –, eine Bewilligung hinsichtlich des „Ob“ der Verwendung staatlicher Mittel für bestimmte Zwecke[30] enthalten ist. Das „Wie“ der Leistungsgewährung kann dann in einer Verwaltungsvorschrift geregelt werden ( Rn. 238 ff.). Ausnahmsweisebedürfen allerdings auch Subventionen dann einer formell-gesetzlichen Grundlage, wenn
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sie in besonders (grundrechts-)sensiblen Bereichenerfolgen (so z.B. bei der Finanzierung eines die Öffentlichkeit vor bestimmten Sekten warnenden privaten Vereins [vgl. Art. 4 Abs. 1 , 2 GG], bei der Gewährung von die Staatsfreiheit, Kritikbereitschaft und Freiheitlichkeit des Pressewesens gefährdenden Subventionen [vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG], bei Zahlungen an einen die Berufsfreiheit anderer einschränkenden Dritten [vgl. Art. 12 Abs. 1 GG] sowie bei der Gewährung von Zuwendungen an politische Parteien [vgl. Art. 20 Abs. 2 , 21 GG ]) oder |
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die durch ihre Vergabe bewirkte Begünstigung des Subventionsempfängers in unerträglichem Maßin die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Wettbewerbsfreiheiteines nicht subventionierten Konkurrenten eingreift (vgl. Übungsfall Nr. 4).[31] |
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Ein Verstoß gegen den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes führt auf der Rechtsfolgenseitegrundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der betreffenden Verwaltungsmaßnahme (zum Verwaltungsakt siehe Rn. 138, 270 ff.). Ausnahmsweise ist das Vorhandensein einer wirksamen und anwendbaren Ermächtigungsgrundlage allerdings dann für einen Übergangszeitraum bis zur Schaffung der notwendigen gesetzlichen Regelung verzichtbar, wenn eine sonst etwa eintretende Funktionsunfähigkeit staatlicher Einrichtungen der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als der bisherige Zustand, sog. Chaosgedanke. Innerhalb dieses Zeitraums kann die Verwaltung daher auch ohne gesetzliche Grundlage in rechtmäßiger Weise tätig werden – allerdings nur insoweit, als dies zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Staates unerlässlich ist.[32]
JURIQ–Klausurtipp
Ist in der Fallbearbeitung die Rechtmäßigkeit einer hoheitlichen Einzelmaßnahme (z.B. Verwaltungsakt) zu begutachten, so beginnt die Prüfung mit dem Gliederungspunkt „ Ermächtigungsgrundlage“ ( Rn. 123 ff.). Dies ist unmittelbarer Ausfluss des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes. Näher zu thematisieren ist die Erforderlichkeit ( Rn. 9 ff.) sowie die Wirksamkeit ( Rn. 129 ff.) und Anwendbarkeit ( Rn. 135 ff.) der Ermächtigungsgrundlage in der Klausur allerdings nur dann, wenn hierin im jeweiligen Fall ein Problem liegen sollte (z.B. Informationshandeln der Verwaltung). Andernfalls reicht die bloße Benennung der Ermächtigungsgrundlage aus.[33]
[1]
Statt aller siehe nur Maurer /Waldhoff Allgemeines Verwaltungsrecht § 6 Rn. 3.
[2]
Der Vorbehalt des Gesetzes ist in Art. 70 Abs. 1 bay. LVerf landesverfassungsrechtlichund in § 31 SGB I einfachgesetzlichpositiviert.
[3]
BVerfGE 40, 237 (248).
[4]
Ehlers in: ders./Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht § 2 Rn. 42 m.w.N.; Maurer /Waldhoff Allgemeines Verwaltungsrecht § 6 Rn. 4, 6.
[5]
Wienbracke Staatsorganisationsrecht S. 9 m.w.N. Wird das Verwaltungshandeln auf eine Ermächtigungsgrundlagegestützt, die in einem Gesetz im nur-materiellen Sinnenthalten ist, so mussdiese daher ihrerseits aufein formelles Gesetz rückführbar sein( Rn. 8, 12, 132).
[6]
Zum gesamten Vorstehenden siehe Bull/Mehde Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre Rn. 159 ff.; Hufen Staatsrecht II § 9 Rn. 4 ff.; Wienbracke Einführung in die Grundrechte Rn. 180 f.; ders . Staatsorganisationsrecht S. 12, jew. m.w.N.
[7]
BVerwG NVwZ 2019, 1291 (1292).
[8]
Vgl. BVerfGE 116, 24 (59 ff.); BVerfG KommJur 2013, 73 (75); NVwZ 2019, 890 (892 f.); OVG Lüneburg NVwZ 2016, 164 (165 f.).
[9]
Vgl. Ipsen Staatsrecht I Rn. 788; Peine /Siegel Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 68; Voßkuhle/Wischmeyer JuS 2015, 311 (312).
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