Hinweis
„Das Allgemeine Verwaltungsrecht muss beherrscht werden […]; das Besondere Verwaltungsrecht muss hingegen lediglich in […] Teilbereichen bekannt sein.“[14]
Kodifiziert worden ist das Verwaltungsverfahrensrecht auf Bundesebene erst mit Wirkung zum 1.1.1977[15]; zuvor wurde insofern auf allgemeine – ungeschriebene – Rechtsgrundsätze zurückgegriffen. Die Verwaltungsverfahrensgesetze der 16 deutschen Bundesländerentsprechen dem VwVfG des Bundes inhaltlich im Wesentlichen ( Rn. 152). Auf EU-Ebene fehlt es bislang dagegen an einem umfassend kodifizierten Verwaltungsverfahrensrecht, so dass insoweit v.a. auf die vom EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze des EU-Rechts zurückzugreifen ist.[16] Im Einzelnen ist zu unterscheiden zwischen einerseits dem – ausnahmsweisen – (sog. direkten) unionsinternen und -externen Vollzug des Rechts der EU durch deren Organe selbst sowie andererseits dem Regelfall des (sog. indirekten) Vollzugs sowohl des unmittelbar anwendbaren als auch des erst mittelbar – über entsprechende nationale Umsetzungsakte – wirkenden EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten der EU.[17] Zur im letzten Fall zu beachtenden Überformung namentlich des § 48 VwVfG durch das EU-Recht siehe Rn. 321.[18]
[1]
BVerfGE 9, 268 (279 f.).
[2]
BVerfGE 68, 1 (86); 98, 1 (15).
[3]
Innerhalb dieser kann noch zwischen der Gubernative(Regierung) und der Administrative(Verwaltung) differenziert werden, siehe Wienbracke Staatsorganisationsrecht S. 40 m.w.N.
[4]
Nachweise bei Ehlers in: ders./Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht § 1 Rn. 6.
[5]
Wolff in: ders./Bachof, Verwaltungsrecht I 9. Auflage 1974 § 2 Rn. 19: „Öffentliche Verwaltung im materiellen Sinn ist […] die mannigfaltige, konditional oder nur zweckbestimmte, also insofern fremdbestimmte, nur teilplanende, selbstbeteiligt entscheidend ausführende und gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die dafür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens“.
[6]
Mayer Deutsches Verwaltungsrecht Band I 3. Auflage 1924 (Nachdruck 1969) S. 7.
[7]
Jellinek Verwaltungsrecht 3. Auflage 1931 (Nachdruck 1966) S. 6.
[8]
BVerwGE 141, 122. Dazu vgl. auch Wienbracke Einführung in die Grundrechte Rn. 106 m.w.N.
[9]
Stern Staatsrecht II 1980 S. 736 ff.
[10]
Siehe Ehlers in: ders./Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht § 1 Rn. 3 ff. m.w.N.
[11]
Zum gesamten Folgenden siehe Maurer /Waldhoff Allgemeines Verwaltungsrecht § 1 Rn. 15 ff.
[12]
Vgl. aber auch Ehlers Jura 2016, 603: „Das Verwaltungsrecht regelt die Aufgaben unddie Organisation der Exekutivesowie deren Rechtsbeziehungen zum Bürger“ (i.S.v. „Privaten“).
[13]
Statt aller siehe nur Battis Allgemeines Verwaltungsrecht S. 24 f.; Ipsen Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 56 ff.
[14]
Peine/Siegel Allgemeines Verwaltungsrecht Rn. 56.
[15]
BGBl. I 1976, 1253.
[16]
Dazu siehe Kahl JuS 2018, 1025 (1029 ff.); Kment JuS 2011, 211 ff.
[17]
Wienbracke Grundwissen Europarecht S. 109 ff. m.w.N.
[18]
Dazu siehe auch Voßkuhle/Schemmel JuS 2019, 347 ff.
2. Teil Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Inhaltsverzeichnis
A. Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes
B. Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes
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Die „vollziehende Gewalt“ ist nach Art. 20 Abs. 3 GG „an Gesetz und Recht gebunden“. Aus diesem allgemeinen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltungfolgen konkret der „Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes“ ( Rn. 9 ff.) und der „Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes“ ( Rn. 18 ff.).[1]
Im Allgemeinen wird in Bezug auf den Begriff „Gesetz“ unterschieden zwischen Gesetzen im formellen Sinn und Gesetzen im materiellen Sinn:[2]
Gesetz im formellen Sinnist jeder Hoheitsakt, der vom Parlament (Bundestag, Landtag; nicht: Gemeinderat, vgl. Rn. 13) in dem hierfür durch die jeweilige Verfassung vorgesehenen Verfahren (auf Bundesebene: Art. 76 ff. GG) als Gesetz erlassen wurde.
Gesetze im materiellen Sinnsind allgemeine, d.h. für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (abstrakt) und Personen (generell) geltende, Regelungen, die ein Träger hoheitlicher Gewalt erlassen hat und die Rechte oder Pflichten für den Bürger oder sonstige Rechtspersonen begründen, ändern oder aufheben.
Zu den Gesetzen im materiellen Sinn gehören neben den meisten Parlamentsgesetzen (Ausnahmen: Haushaltsgesetz [ Rn. 16] und Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, die als Gesetze im nur formellen Sinn jeweils weder Ansprüche noch Pflichten für den Bürger normieren) auch Rechtsverordnungen ( Rn. 12), Satzungen ( Rn. 13) und Gewohnheitsrecht sowie unmittelbar anwendbares EU-Recht und innerstaatlich geltendes Völkerrecht, grundsätzlich nicht dagegen Verwaltungsvorschriften ( Rn. 15und Rn. 233, 238 ff.).[3]
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Speziell im Rahmen des „ Grundsatzes vom Vorrang des Gesetzes“ meint der Begriff „Gesetz“ solche sowohl im formellen als auch im materiellen Sinn.[4] Demgegenüber genügen Letztere dem „ Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes“ nur, sofern sie auf ein förmliches Gesetz rückführbar sind ( Rn. 10, 12 f.).[5]
[1]
Wienbracke Staatsorganisationsrecht S. 10 f. m.w.N.
[2]
Hierzu sowie zum gesamten Folgenden siehe Wienbracke Staatsorganisationsrecht S. 33 f. und im Skript „Juristische Methodenlehre“ Rn. 12 m.w.N.
[3]
Siehe im Skript „Juristische Methodenlehre“ Rn. 14 ff. m.w.N.
[4]
Wienbracke Staatsorganisationsrecht, S. 11 m.w.N.
[5]
Wienbracke Einführung in die Grundrechte, Rn. 161 m.w.N.
2. Teil Gesetzmäßigkeit der Verwaltung› A. Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes
A. Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes
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Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzesdarf die Verwaltung „ nicht ohneGesetz“ tätig werden, d.h. sie darf nur dann handeln, wenn hierfür eine gesetzliche (Ermächtigungs-)Grundlage vorhanden ist.[1] Dies ist unstreitig. Dagegen ist, soweit der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nicht ausdrücklich in einzelnen Bestimmungen (v.a. des Grundgesetzes[2], z.B. dessen Art. 2 Abs. 2 S. 3, 5 Abs. 2, 8 Abs. 2) enthalten ist, seine genaue normative Herleitung umstritten. Während das BVerfG[3] auch insoweit – ebenso wie bzgl. des Grundsatzes vom Vorrang des Gesetzes der Fall ( Rn. 18) – die Vorschrift des Art. 20 Abs. 3 GG bemüht, wird im Schrifttum[4] vornehmlich auf das Demokratie- (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG) und das Rechtsstaatsprinzip abgestellt.
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Aus dieser normativen Verankerung folgt zugleich der Inhaltdes Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes: Das Rechtsstaatsprinzip fordert berechenbare Rechtsbeziehungen im Verhältnis Staat-Bürger, d.h. eine gesetzliche Grundlage für das Verwaltungshandeln ( Gesetzesvorbehalt). Hierfür reichen neben (förmlichen) Parlamentsgesetzen auch Rechtsverordnungen und Satzungen als Gesetze im nur materiellen Sinn aus. Das Demokratieprinzip hingegen verlangt, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber alle für das Gemeinwesen wesentlichen Entscheidungen selbst trifft und sie nicht auf andere Normgeber – namentlich im Wege der Verordnungs- oder Satzungsermächtigung – delegiert ( Wesentlichkeitstheorie). Dieser Anforderung genügen nur Gesetze im formellen Sinn, sog. Parlamentsvorbehalt.[5]
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