53
Schließlich kann die Verwaltung im Rahmen der ihr eröffneten Wahlfreiheit ( Rn. 11) ihre Aufgaben auch in privatrechtlicher statt in öffentlich-rechtlicher Form wahrnehmen. Dies nicht nur dadurch, dass ein Verwaltungsträger für seine Handlungen die Form des Privatrechts wählt ( Rn. 22). Vielmehr kann er sich auch im Hinblick auf die Organisationsform derjenigen Einrichtung, der die Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben übertragen und deren Anteile vom jeweiligen Verwaltungsträger entweder zu 100% gehalten ( Eigengesellschaften) oder von diesem mehrheitlich beherrscht ( gemischt-wirtschaftliche Unternehmen[74]) wird, (juristischer Personen) des Privatrechts bedienen (z.B. Stadtwerke GmbH), sog. formelle bzw. Organisationsprivatisierung.[75] Diese „privatrechtlich organisierten Verwaltungsträger“ vermögen im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgern freilich ausschließlich in privat-, nicht aber auch in öffentlich-rechtlicher Form zu handeln (Ausnahme: Der privatrechtlich organisierte Verwaltungsträger wird beliehen, so z.B. gem. § 33 Abs. 1 S. 2 PostG die privatisierte Deutsche Post AG mit der Aufgabe der förmlichen Postzustellung; Rn. 29). Zieht sich der Staat aus der Erledigung der von ihm bisher wahrgenommenen Aufgaben dagegen ganz zurück und überlässt er diese dem privaten (gesellschaftlich-wirtschaftlichen) Bereich – in den er aber zwecks Gewährleistung der Gemeinwohlbelange weiterhin regulierend eingreift (z.B. durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, vgl. Art. 87f GG) –, so liegt ein Fall der materiellen bzw. Aufgabenprivatisierungvor.
Verfassungsrechtliche„ Privatisierungsgrenzen“ (z.B. bzgl. des Maßregelvollzugs und der Verkehrsüberwachung) können sich namentlich aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sowie aus Art. 33 Abs. 4 GG ergeben.[76] Denn „die Regelungs- und Sanktionsmacht, die [der Staat] von der Bevölkerung zur Begründung seiner eigenen Legitimation an sich zieht, [kann er nicht] so ohne Weiteres wieder an ,private Dienstleister‘ abgeben, damit diese dann für ihn als ,Subunternehmer‘ ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Mit dem Recht etwas zu ,dürfen‘, folgt nicht automatisch das Recht, mit diesem ,Dürfen‘ beliebig umzugehen. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat die ihm gewährte Macht im Rahmen der ihm gewährten Regelungskompetenz eigenverantwortlich ausübt und nach Prinzipien eines Rechtsstaates gerichtlich überprüfbar rechtfertigt. Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind, wozu insbesondere Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird.“[77]
[Bild vergrößern]
54
Des Weiteren muss die hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts von der Behörde „ zur Regelung“ getroffen worden sein, um Verwaltungsaktqualität i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG besitzen zu können.
Der Begriff „ Regelung“ meint die unmittelbare Herbeiführung (Setzung) einer verbindlichen Rechtsfolge, d.h. die Begründung, Aufhebung, Abänderung oder Feststellung eines Rechts oder einer Pflicht.[78] Im Zusatz „ zur“ kommt zum Ausdruck, dass das Ziel der behördlichen Tätigkeit gerade final auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet sein muss, die Regelung also nicht bloß faktischer Reflex des Verhaltens der Behörde sein darf.[79]
55
Der Inhaltder Regelung – der „verfügende Teil“ (§ 41 Abs. 4 S. 1 VwVfG) bzw. der „Tenor“ des Verwaltungsakts – ist im Wege der Auslegung analog §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. Rn. 42und das Beispiel in Rn. 205): „Öffentlich-rechtliche Willenserklärungen (Verwaltungsakte, Verwaltungserklärungen) sind auslegungsfähig und ggf. auslegungsbedürftig. Es handelt sich in der Regel um empfangsbedürftige Willenserklärungen [vgl. §§ 41 Abs. 1, 43 Abs. 1 VwVfG], die individualisiert sind, wenn von Allgemeinverfügungen abgesehen wird. Hierbei kommt dem Horizont des Erklärungsempfängers eine größere Bedeutung zu als im Fall abstrakt-genereller Regelungen […]. Eine Auslegung erfolgt […] nach dem objektiven Erklärungswert unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Erklärung. Abzustellen ist auf den erklärten Willen, wie ihn der Adressat von seinem Standpunkt aus bei verständiger Würdigung verstehen konnte“[80] – und nicht „auf den wirklichen Willen des Erklärenden (natürliche Auslegung)“[81]; etwaige Auslegungszweifel gehen zu Lasten der erklärenden Behörde. Insbesondere verbietet es sich „[w]egen des Bestimmtheitsgebots des § 37 Abs. 1 VwVfG […], in einen Verwaltungsakt verbindliche ,Zwischenentscheidungen‘ hineinzulesen, die dort nicht hinreichend klar zum Ausdruck kommen.“[82] Weil die Begründung die Erläuterung der Behörde ist, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat (vgl. Rn. 207 ff.), hat sie einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt und bestimmt daher den Inhalt der getroffenen Regelung mit, so dass sie in der Regel ein unverzichtbares Auslegungskriterium ist.[83] Im Einzelnen kann der jeweilige Regelungsinhalt namentlich bestehen in:
• |
einem Ge-/Verboteines bestimmten Verhaltens (Tun, Dulden, Unterlassen; sog. Verfügung[84] bzw. befehlender Verwaltungsakt), z.B. Abrissverfügung gem. § 82 S. 1 BauO NRW 2018, Versammlungsverbot gem. § 15 VersG, Vorschriftszeichen i.S.v. § 41 StVO; |
• |
der Gestaltung(Begründung, Beendigung, Veränderung) eines Rechtsverhältnisses (vgl. § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 VwGO), z.B. Beamtenernennung gem. § 8 BeamtStG bzw. § 10 BBG, Rücknahme/Widerruf eines Verwaltungsakts gem. §§ 48 f. VwVfG; |
• |
der Feststellungeines Rechts oder einer rechtlich erheblichen Eigenschaft (vgl. § 80 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 VwGO), z.B. der deutschen Staatsangehörigkeit gem. § 30 StAG.[85] |
56
Zusätzlich zu den vorgenannten Arten von Verwaltungsakten kann weiter differenziert werden zwischen begünstigenden (siehe § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG; z.B. Subventionsbewilligung) und belastenden (z.B. Gewerbeuntersagung, § 35 Abs. 1 S. 1 GewO) Verwaltungsakten, wobei allerdings auch Mischformen zwischen beiden existieren (z.B. Teilablehnung eines Leistungsantrags; Leistungsbescheid [nur] in bestimmter Höhe; Genehmigungserteilung mit integriertem Gebührenbescheid). Ferner untersagt der Gesetzgeber mitunter ein bestimmtes Verhalten aufgrund dessen Sozialschädlichkeit generell (z.B. Erwerb von Betäubungsmitteln, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) und gestattet es der Verwaltung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zwecks Vermeidung unbilliger Härten eine Ausnahmebewilligungzu erteilen (z.B. Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln zu wissenschaftlichen Zwecken, § 3 Abs. 2 BtMG), sog. repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt. Demgegenüber werden durch die Erteilung einer Kontrollerlaubnis(z.B. Baugenehmigung, § 74 Abs. 1 BauO NRW 2018) die im Interesse einer vorherigen behördlichen Prüfung nur vorübergehend eingeschränkten grundrechtlichen Freiheiten (z.B. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG) wieder hergestellt, sog. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.[86] Auch gibt es Fälle, in denen die im Verwaltungsakt ausgesprochene Regelung nicht nur Wirkung gegenüber dem Adressaten, sondern auch gegenüber Dritten entfaltet ( Verwaltungsakt mit Drittwirkung[87], vgl. §§ 80 Abs. 1 S. 2, 80a VwGO; z.B. kann die dem Bauherren erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung seinen Nachbarn in dessen Rechten beeinträchtigen).
Читать дальше