Kein Verwaltungsakt (Nichtverwaltungsakt) ist dagegen dann gegeben, wenn eine von einer Behörde beabsichtigte Regelung noch gar nicht nach außen bekannt gegeben wurde und somit nur ein Verwaltungsinternum darstellt (vgl zu einem anderen Fall eines Nichtverwaltungsakts auch Rn 209). Von einem Verwaltungsakt ist aber wiederum auszugehen, wenn eine Regelung mit Drittwirkung nur einem der Betroffenen bekannt gegeben wurde. Dies genügt bereits für dessen äußere Wirksamkeit. Für einen Verwaltungsakt iSd § 42 ist auch nicht essenziell, dass der Kläger formal Adressat des Verwaltungsakts ist. Deshalb kann zB ein Nachbar eine Baugenehmigung anfechten, die nicht an ihn adressiert ist und die von der Behörde nur dem Bauherrn (und ggf weiteren Dritten), nicht aber ihm mitgeteilt worden ist. Voraussetzung ist jedoch, dass er nach § 42 Abs. 2 klagebefugt ist (vgl Rn 519 ff). Selbst wenn der Verwaltungsakt nicht in die Rechtssphäre Dritter eingreift und diese daher nicht klagebefugt sind, bleibt er dennoch auch im Verhältnis zu diesen ein Verwaltungsakt (vgl Rn 229und Rn 242). Es gibt also keine relativen Verwaltungsakte( Gärditz/Gärditz , § 42, Rn 4; Koehl , BayVBl. 2003, 331, 332) und auch keine Verwaltungsakte mit Doppelnatur(str; s. hierzu auch Rn 228und Rn 535 sowie R.P. Schenke , VerwArch. Bd. 104 (2013), 486 ff und Kopp/Schenke-W. Schenke , Anh. § 42, Rn 8 ff).
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Ohne Bedeutung für das Vorliegen eines Verwaltungsakts ist, ob dieser rechtswirksamoder nichtigist. Das wird durch § 43 Abs. 2 S. 2 bestätigt, der von der Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage auch gegenüber nichtigen Verwaltungsakten ausgeht. Auf diese Weise wird ua vermieden, dass der Kläger bei der Wahl der statthaften Klageart die oft schwierige Frage beantworten muss, ob ein rechtswidriger Verwaltungsakt bereits nichtig ist. Die Anfechtung eines nichtigen Verwaltungsakts führt nach hM zur gerichtlichen Aufhebung des nichtigen Verwaltungsakts[5] und nicht – wie zT vertreten – nur zur gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit. Letzteres stünde im Widerspruch zu Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 43 (vgl BT-Drucks. 3/55, Anl. 1, S. 33). Daraus folgt, dass nichtige Verwaltungsakte ua Gegenstand einer Gestaltungsklage sein können; bei der hierfür (bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist) einzig in Betracht kommenden Anfechtungsklage ist aber nach § 113 Abs. 1 S. 1 eine Gestaltung durch Aufhebung des Verwaltungsakts vorgesehen. Dem entspricht, dass nichtige Verwaltungsakte richtigerweise auch verwaltungsbehördlich gem. § 48 VwVfG aufgehoben werden können[6]. Davon geht auch § 46 VwVfG aus. Aus § 43 Abs. 2 VwVfG lässt sich entgegen Hufen (§ 14, Rn 11) nichts Gegenteiliges ableiten, denn zum einen hat § 43 Abs. 2 VwVfG nicht die Aufhebung eines Verwaltungsakts zum Gegenstand, zum anderen bezieht er sich (s. § 43 Abs. 3 VwVfG) ohnehin nicht auf nichtige Verwaltungsakte. Ließe man eine verwaltungsgerichtliche Aufhebung angefochtener nichtiger Verwaltungsakte nicht zu, so wäre das Gericht konsequenterweise gezwungen, bei einem subjektive Rechte verletzenden Verwaltungsakt stets zu prüfen, ob dieser Verwaltungsakt nichtig ist. Träfe dies zu, müsste es gem. § 86 Abs. 3 anregen, den Aufhebungsantrag des Klägers auf einen Feststellungsantrag umzustellen. Zudem käme die Gegenmeinung zu dem nicht überzeugenden Ergebnis, dass der Rechtsschutz gegen einen nichtigen Verwaltungsakt schwächer ausfiele als der Rechtsschutz gegen einen rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt. Das die Nichtigkeit feststellende Feststellungsurteil entfaltet nämlich Wirkung nur zwischen den Parteien (inter partes), während das den Verwaltungsakt aufhebende Gestaltungsurteil inter omnes wirkt ( Ehlers , Jura 2004, 30, 32). Die Behauptung, etwas rechtlich nicht Existierendes könne nicht rechtgestaltend aufgehoben werden (so Hufen , § 14, Rn 11), überzeugt nicht, weil der Gesetzgeber selbstverständlich nicht gehindert ist, aus den oben aufgezeigten teleologischen Gründen die Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts wegen des von ihm ausgehenden Rechtsscheins zu fingieren, wie durch § 43 Abs. 2 S. 2 geschehen (s. auch Schnapp , DVBl. 2000, 247, 249 f).
§ 5 Die Anfechtungsklage› II. Der Verwaltungsakt als Gegenstand der Anfechtungsklage › 2. Die Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts
2. Die Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts
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Die Anfechtungsklage ist auf die gerichtliche Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtet. Was unter einem Verwaltungsakt iSd § 42 Abs. 1 zu verstehen ist, wird in der VwGO nicht geregelt. Bei der Bestimmung des prozessrechtlichen und damit bundesrechtlichen Begriffs des Verwaltungsakts iSd § 42 kann angesichts des engen funktionalen Zusammenhangs zwischen Verwaltungsprozessrecht und materiellem Verwaltungsrecht an die Legaldefinition des § 35 VwVfG– die allerdings unmittelbar nur das Verwaltungsverfahrensrecht betrifft – angeknüpft werden.
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Beachte:
Abzustellen ist im Prozessrecht immer auf den bundesrechtlichen Begriff des Verwaltungsaktsin § 35 VwVfG, nicht hingegen auf den landesrechtlichen Begriff in dem jeweiligen LVwVfG[7]. Das gilt selbst dann, wenn eine Landesbehörde gehandelt hat und deshalb für die Beurteilung materiellrechtlicher Fragen (wie etwa der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts) die inhaltlich gleichlautende Legaldefinition des jeweiligen § 35 LVwVfG heranzuziehen ist. Wäre man anderer Ansicht, so ergäbe sich das schwerlich überzeugende Ergebnis, dass der Landesgesetzgeber in der Lage wäre, über den Umfang der bundesrechtlich geregelten Anfechtungsklage zu disponieren.
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Da das Vorliegen eines Verwaltungsakts unter der Geltung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 nicht mehr Voraussetzung für die Gewährung verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist, besteht heute – anders als nach dem früheren verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzip – kein Bedürfnismehr, den Begriff des Verwaltungsakts möglichst extensiv zu interpretieren[8].
a) Die einzelnen Merkmale des Verwaltungsaktsbegriffs
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Die Legaldefinition des § 35 VwVfG wirft eine Reihe schwieriger Abgrenzungsfragen auf (dazu Kahl , Jura 2001, 505 ff). Voraussetzung für die Bejahung eines Verwaltungsakts ist danach, dass eine hoheitliche Maßnahme(dazu aa) einer Behörde(dazu bb) vorliegt, die eine Regelungtrifft (dazu cc), einen Einzelfall(dazu dd) zum Gegenstand hat und auf unmittelbare Rechtswirkung nach außengerichtet ist (dazu ee).
aa) Die hoheitliche Maßnahme
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Eine hoheitliche Maßnahme liegt dann vor, wenn die Maßnahme auf öffentlichem Recht beruht. In diesem Zusammenhang ist auf die für die Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht entwickelten Theorien, insbesondere die modifizierte Subjektstheorie, zurückzugreifen (vgl hierzu oben Rn 114 ff).
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Urheber der Verwaltungsmaßnahme muss grds. eine Behörde sein. Als Behörde ist gem. § 1 Abs. 4 VwVfG jede Stelle anzusehen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltungwahrnimmt. Die Stelle muss die Maßnahmen dabei gerade in ihrer Eigenschaft als Behörde treffen. Keine Behörden iSd § 35 VwVfG sind staatliche Stellen, soweit sie Aufgaben privatrechtlich wahrnehmen oder gesetzgeberisch, staatsleitend oder rechtsprechend tätig werden. Nach § 35a VwVfG, der durch G. v. 18.7.2016 (BGBl I S. 1679) neu erlassen wurde und durch § 24 Abs. 1 S. 3 VwVfG ergänzt wird, kann ein Verwaltungsakt nunmehr auch vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen werden, sofern dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist und weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht[9]. Fehlt es an diesen Voraussetzungen liegt dennoch ein grundsätzlich rechtswirksamer Verwaltungsaktvor. Allerdings ist dieser rechtwidrig ( Kopp/Schenke-W. Schenke , Anh. § 42, Rn 91). Seine Aufhebung wegen des ihm anhaftenden Verfahrensfehlers kann jedoch gem. § 46 VwVfG ausgeschlossen sein ( Martini/Nink , DVBl. 2018, 503, 517).
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