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VGH BW Urteil vom 22.3.1979 – I 745/78.
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern
Inhaltsverzeichnis
A. Gelegenheit zur Äußerung – § 20 Abs. 2 S. 2 GemO
B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO
C. Einwohnerantrag – § 20b GemO
D. Fragestunde und Anhörung
E. Bürgerentscheid
F. Bürgerbegehren
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Neben der mittelbaren Mitwirkung der Bürger an der kommunalen Selbstverwaltung durch die Wahl des Gemeinderats und des Bürgermeisters sieht die Gemeindeordnung in den §§ 20 ff. verschiedene Regelungen vor, mittels derer die Einwohner und Bürger bei der Entscheidung von Sachfragen in unterschiedlicher Form Einfluss nehmen können. Differenziert werden können die Arten der Mitwirkung danach, wie stark die Einwohner bzw. Bürger in die Entscheidungsfindung eingebunden werden.
Hinweis
Verschaffen Sie sich einen ersten Überblick:
Formen der Mitwirkung, bei denen die Entscheidungskompetenz beim Gemeinderat bleibt, die Bürger aber im Vorfeld der Entscheidung aktiv beteiligt werden können, sind
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die Gelegenheit zur Äußerunggem. § 20 Abs. 2 GemO, die den Einwohnern bei wichtigen Angelegenheiten im Rahmen der Gemeinderatssitzung eingeräumt werden kann ( Rn. 76); |
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die Einwohnerversammlung, innerhalb derer wichtige Gemeindeangelegenheiten mit den Einwohnern erörtert werden sollen, § 20a GemO ( Rn. 77 ff.); |
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der Einwohnerantragnach § 20b GemO, der den Einwohnern das Recht einräumt, die Befassung des Gemeinderats mit einer bestimmten Angelegenheit zu erzwingen ( Rn. 85 ff.); |
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die Zuziehung sachkundiger Einwohnerzu Gemeinderatssitzungen, § 33 Abs. 3 GemO; entsprechendes gilt für Ausschüsse, § 40 Abs. 1 bzw. § 41 Abs. 1 GemO ( Rn. 193); |
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die Fragestundeinnerhalb der Gemeinderatssitzung, § 33 Abs. 4 S. 1 GemO ( Rn. 93); |
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die Anhörungder von Ratsentscheidungen betroffenen Personen, § 33 Abs. 4 S. 2 GemO ( Rn. 93). |
Daneben besteht die Möglichkeit, dass der Gemeinderat den Bürgern bestimmte Angelegenheiten der Gemeinde zur Entscheidung überträgt(§ 21 GemO) bzw. die Bürger durch Bürgerbegehrenbeantragen, dass ihnen eine bestimmte Frage zur Entscheidung übertragen wird ( Rn. 94 ff.).
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern› A. Gelegenheit zur Äußerung – § 20 Abs. 2 S. 2 GemO
A. Gelegenheit zur Äußerung – § 20 Abs. 2 S. 2 GemO
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Bei wichtigen Planungen und Vorhaben der Gemeinde sollen die Einwohner möglichst frühzeitig über die Grundlagen sowie die Ziele, Zwecke und Auswirkungen unterrichtet werden. Sofern dafür ein besonderes Bedürfnis besteht, soll den Einwohnern allgemein Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Sinn dieser Vorschrift ist die Einholung der Einwohnermeinung zu besonders bedeutsamen Angelegenheiten. Wie dies verfahrenstechnisch geschieht, ist in der GemO nicht vorgegeben. Insoweit bleibt die Umsetzung des § 20 Abs. 2 S. 2 GemO dem Gemeinderat überlassen. Besondere Sanktionen für die Nichtbeachtung des § 20 Abs. 2 S. 2 GemO bestehen nicht; insbesondere führt eine unterlassene Anhörung nicht zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses. Auch gewährt § 20 Abs. 2 S. 2 GemO kein einklagbares Recht der Einwohner.
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern› B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO
B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern› B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO› I. Allgemeines
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Gem. § 20a Abs. 1 GemO sollen wichtige Gemeindeangelegenheiten mit den Einwohnern erörtert werden. Eine solche Erörterung kann im Rahmen einer Einwohnerversammlung erfolgen. Die Einwohnerversammlung hat damit den Zweck, den Gedankenaustausch zwischen Einwohnern und Gemeinderat bzw. Bürgermeister über besonders relevante gemeindliche Sachverhalte zu gewährleisten. Hingegen ist die Einwohnerversammlung kein Entscheidungsorgan.
Beispiel
Die Gemeinde plant eine Umgehungsstraße zu bauen. Sie erörtert im Vorfeld die geplante Trassenführung, den zeitlichen Ablauf der Baumaßnahmen etc. mit den Einwohnern. Die Entscheidung, ob und ggf. wie die Umgehungsstraße gebaut wird, trifft sodann aber der Gemeinderat.
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Die bei der Einwohnerversammlung gemachten Vorschläge und Anregungen sind für die Gemeinde nicht bindend. Die Einwohnerversammlung hat als beratende Versammlungkeine Entscheidungskompetenz. § 20a Abs. 4 GemO verpflichtet die jeweiligen Gemeindeorgane lediglich, die Anregungen und Vorschlägen binnen drei Monaten nach Durchführung der Einwohnerversammlung zu behandeln.
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern› B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO› II. Anberaumung, Verhandlungsgang
II. Anberaumung, Verhandlungsgang
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Eine Einwohnerversammlung soll einmal pro Jahr, im Übrigen nach Bedarf anberaumt werden (§ 20a Abs. 1 GemO). Zuständig für die Anberaumung ist der Gemeinderat. Er legt die Zeit, den Ort sowie den Versammlungsgegenstand fest. Auch kann er bestimmen, dass nur Einwohner der Gemeinde ein Teilnahmerecht haben. Unabhängig davon haben nur Einwohner ein Rederechtinnerhalb der Versammlung; anderen Personen kann vom Vorsitzenden jedoch das Wort erteilt werden (§ 20a Abs. 3 GemO). In Gemeinden mit Ortschaftsverfassung können in den Ortschaften die Einwohnerversammlungen auch vom Ortschaftsrat anberaumt werden; die Tagesordnung muss sich in diesen Fällen auf die Ortschaft beziehen.
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Zuständig für die Einberufung ist der Bürgermeister. Er hat die Durchführung der Einwohnerversammlung den Einwohnern unter rechtzeitiger ortsüblicher Bekanntgabe von Zeit, Ort und Tagesordnung mitzuteilen (§ 20a Abs. 1 GemO). Er (oder ein von ihm benannter Vertreter) hat den Vorsitz in der Versammlung und entscheidet über die Worterteilung. Besondere Verfahrensvorschriften über die Durchführung der Einwohnerversammlung bestehen im Übrigen nicht. Wird die Einwohnerversammlung vom Ortschaftsrat anberaumt, lädt der Ortsvorsteher ein. Der Bürgermeister hat in diesen Fällen ein Teilnahmerecht und kann jederzeit das Wort verlangen.
6. Teil Beteiligung von Einwohnern und Bürgern› B. Einwohnerversammlung – § 20a GemO› III. Anberaumung auf Antrag der Einwohner
III. Anberaumung auf Antrag der Einwohner
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Während § 20a Abs. 1 GemO dem Gemeinderat die Möglichkeit einräumt, eine Einwohnerversammlung durchzuführen, wenn er dies für tunlich hält, statuiert § 20a Abs. 2 GemO die Möglichkeit, dass die Einwohner eine Durchführung beantragen.
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Formelle Voraussetzungen des Antrags sind dessen Schriftform sowie die Bezeichnung der zu erörternden Angelegenheit. Eine Antragsstellung auf elektronischem Wege ist nicht möglich, wie sich aus dem Ausschluss der Anwendbarkeit des § 3a LVwVfG in § 20a Abs. 2 GemO ergibt. Inhaltlich muss sich der Antrag auf eine Gemeindeangelegenheit beziehen: der Vorbehalt des Absatzes 1, wonach „wichtige“ Angelegenheiten mit den Einwohnern zu erörtern sind, gilt hier nicht, weshalb die Angelegenheit kein besonderes Gewicht haben muss. Weiterhin darf der Antrag nur solche Angelegenheiten umfassen, die nicht bereits innerhalb der letzten sechs Monate Gegenstand einer Einwohnerversammlung waren. Ferner muss es sich um Sachverhalte handeln, die innerhalb der Befassungskompetenzder Gemeinde liegen (hingegen ist eine Entscheidungskompetenz des Gemeinderats nicht zwingend erforderlich, da in der Einwohnerversammlung selbst keine Entscheidungen getroffen werden).
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