6. Täterschaft und Teilnahme
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Da es sich bei § 251 StGB gemäß § 11 Abs. 2 StGB auch bei nur leichtfertiger Erfolgsherbeiführung um ein Vorsatzdelikt handelt, erfolgt die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach der Art der Beteiligung am Grundtatbestand des § 249 StGB.[752] Hinsichtlich des gemeinsamen Tatplans bei § 25 Abs. 2 StGB dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; auch eine spontane Verabredung von tödlicher oder lebensgefährlicher Gewalt ist möglich.[753] Hat bei einem Raub mit Todesfolge lediglich einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg verursacht, so sind die übrigen nach § 251 StGB grundsätzlich nur strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Gewaltanwendungen erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist, und wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist.[754] Ein tödlich wirkender Exzesseines oder mehrerer Beteiligter wird nicht zugerechnet.[755] Ein Exzess liegt aber nicht bei jeder Abweichung des tatsächlichen Geschehens vom vereinbarten Tatplan vor, z.B. wenn zwar nicht die vereinbarte, aber doch eine gleichwertige lebensgefährliche Gewalt eingesetzt wird.[756] Ebenso ist der Beteiligte für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist und deswegen auf deren Billigung geschlossen werden kann.[757]
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Auch in diesem Zusammenhang stellt sich die Problematik der Möglichkeit einer sukzessiven Mittäterschaft, etwa in der Konstellation, bei der ein Beteiligter eine nicht vom Tatplan gedeckte Tötungshandlung begeht und die anderen Beteiligten diese billigen, sodass sich ihr Einverständnis auf die Gesamttat bezieht. Die Rspr. und ein Teil der Lehre hält eine sukzessive Mittäterschaft grundsätzlich für möglich.[758] Die h.L. lehnt eine sukzessive Mittäterschaft zu Recht ab.[759]
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Der Versuch des gemäß § 11 Abs. 2 StGB als Vorsatzdelikt zu behandelnden § 251 StGB ist strafbar gemäß §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB. Zu differenzieren ist zwischen dem erfolgsqualifizierten Versuchund dem Versuch der Erfolgsqualifikation. Ein erfolgsqualifizierter Versuch liegt vor, wenn die Raubtat im Versuch steckenbleibt, die schwere Folge aber eintritt; insbesondere wenn der Täter durch eine in finaler Verknüpfung mit der Wegnahme stehende räuberische Nötigungshandlung den Tod des Opfers verursacht, es aber nicht zur Vollendung der Wegnahme kommt.[760] Bei § 251 StGB ist der erfolgsqualifizierte Versuch möglich.[761] Der – seit dem 6. StrRG ( Rn. 30) unstreitig mögliche – Versuch der Erfolgsqualifikation (auch versuchte Erfolgsqualifizierung) liegt vor, wenn der Einsatz der i.S.d. § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt zugleich eine vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierten Erfolg nicht bewirkt.[762]
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Verursacht der Täter vor Vollendung des Raubes den Tod und sieht er unter den Voraussetzungen des § 24 StGB von einer Wegnahme ab, ist nach heute h.M.[763] ein freiwilliger Rücktritt vom (nicht fehlgeschlagenen) Versuch des Grundtatbestandsmöglich, wodurch auch der Qualifikation des § 251 StGB die Grundlage entzogen wird. Es kommt damit nicht darauf an, ob sich der Täter bemüht, den Todeseintritt zu verhindern.[764] Die gegenteilige Auffassung stützt sich darauf, dass sich bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden bereits die tatbestandsspezifische Gefahr in dem Erfolgseintritt realisiert habe, sodass sowohl nach dem Schutzzweck der erfolgsqualifizierten Delikte als auch nach dem Regelungsgrund des Rücktrittsprivilegs eine strafbefreiende Wirkung des Rücktritts ausscheide.[765] Die Rspr.[766] argumentiert mit dem eindeutigen Wortlaut des § 249 StGB, der nicht in ein Unternehmensdelikt umgedeutet werden dürfe. Die Gegenauffassung führe zu einer teleologischen Reduktion des § 24 StGB zu Ungunsten des Täters, die mit dem Gesetzlichkeitsgrundsatz nicht vereinbar ist. Die Todesverursachung wird dann durch § 222 StGB oder bei Vorliegen seiner Voraussetzungen durch § 227 StGB erfasst.
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Der Raub mit Todesfolge ist mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahrenbedroht. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist entgegen des Wortlauts nicht der gesetzliche Regelfall, sondern darf nur verhängt werden, wenn die Tat mindestens nahe an einen Mord herankommt.[767] Liegt lediglich eine leichtfertige Tötung vor, scheidet die lebenslange Freiheitsstrafe aus.[768] Die Tatsache, dass ein Mensch getötet wurde, darf dem Täter gemäß § 46 Abs. 3 StGB nicht strafschärfend zur Last gelegt werden.[769] Im Jahre 2018 wurde die lebenslange Freiheitsstrafe nicht in einem einzigen Fall verhängt.[770] Ein Blick in die Strafverfolgungsstatistik für die Jahre 2007–2016 zeigt, dass diese Strafe in diesem Zeitraum insgesamt in nur fünf Fällen verhängt wurde. Zu den möglichen Maßregeln der Sicherung und Besserung (Sicherungsverwahrung und Führungsaufsicht) vgl. Rn. 116.
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Tateinheit besteht mit §§ 211, 212 StGB, wenn der Tod vorsätzlich verursacht wird (Klarstellungsfunktion),[771] sowie mit § 227 StGB, wenn der Tod leichtfertig verursacht wird, da die raubrelevante Nötigung keine Körperverletzung sein muss (Klarstellungsfunktion).[772] § 222 StGB wird durch § 251 StGB verdrängt.[773] § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1c StGB werden immer von § 251 StGB verdrängt, weil sich die jeweilige Gefahr durch den Tod realisiert hat.[774] Mit anderen Begehungsweisen des § 250 StGB kann Idealkonkurrenz angenommen werden.[775]
8. Abschnitt: Schutz des Vermögens› § 30 Raub› E. Rechtsvergleich
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Der Tatbestand des Raubes ist anderen Rechtordnungen ebenfalls bekannt. Es finden sich dort entsprechende oder vergleichbare Regelungen, die aus dogmatischer Sicht (teils stärker, teils schwächer) von der deutschen Rechtslage divergieren. Bereits bei der bloßen Verortung im Deliktssystem lässt sich „eine große Vielfalt“ an Regelungsmodellenfeststellen.[776] Während beispielsweise das deutsche Recht dem Raub einen eigenständigen Abschnitt widmet (zwanzigster Abschnitt des StGB), wird der Raub im englischen Recht (robbery, sec. 8 Theft Act 1968) in einem Abschnitt zwischen Diebstahl und Einbruchsdiebstahl geregelt. Bildet der Raubtatbestand in Österreich (Raub, § 142 öStGB), der Schweiz (Raub, Art. 140 schwStGB) und Italien (rapina propria, Art. 628 Abs. 1 Codice penale) wie hierzulande einen eigenständigen Tatbestand, handelt es sich in Frankreich um eine besondere Form des Diebstahls (vol aggravé bzw. vol avec violence, Art. 311-4 Nr. 4 Code pénal), der sich nach deutschem Verständnis in einer enumerativen Aufzählung von unterschiedlichen Diebstahlsqualifikationen wiederfindet.
I. Ausgestaltung des Raubtatbestandes
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Untersucht man den Grundtatbestand des Raubes, so ist zunächst festzuhalten, dass die Tatbestände der untersuchten europäischen Länder entsprechend der deutschen Rechtslage das Tatbestandsmerkmal „Gewalt“ enthalten. Innerhalb dieses Tatbestandsmerkmals lässt sich zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen differenzieren. Ließ man im traditionellen, aber überholten Common Law für die Verwirklichung des Raubtatbestandes die Verübung von Gewalt gegen Sachen noch ausreichen, wurde die Rechtslage in der Folge dem Civil Law angepasst, wonach entsprechend dem deutschen Recht Gewalt gegen Personenerforderlich ist.[777]
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